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Luftfahrt: Auf Fliegen und Brechen

Auf Fliegen und Brechen

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Ryanair-Chef Michael O’Leary mutet seinen Passagieren neuerdings ganz schön viel zu: Verstellbare Sitzlehnen, Kopflehnen und Jalousien an den Fenstern sollen aus seinen Jets verschwinden, der ohnehin spartanische Bordservice weiter reduziert werden – und die werte Kundschaft sollte doch künftig gleich ihr Gepäck selber tragen. „Die Leute haben kein Problem damit, Gepäck mit in einen Bus zu nehmen. Warum also nicht auch in ein Flugzeug“, so O’Leary.

Verwöhnt hat die Ryanair ihre Gäste noch nie. Von Beginn an war Sparsamkeit oberste Maxime. Seit der Gründung im Jahr 1985 gab es für potenzielle Passagiere nur ein Argument, einen Jet des britischen Billig-Anbieters zu besteigen: den Preis.

Die erste Strecke, die Ryanair bediente, ein täglicher Flug von London nach Dublin und retour, unterbot die Preise der staatlichen Linie British Airways um gut 50 Prozent. Seither hat das Unternehmen seine Verbindungen sukzessive ausgebaut und beförderte im Vorjahr mit einer Flotte von 44 Flugzeugen mehr als zwölf Millionen Fluggäste – zu niedrigen Tarifen zwar, aber zu noch niedrigeren Kosten.

Auch Niki Lauda setzt auf Sparsamkeit. Anfang November hatte der einstige Gründer der Lauda Air die Österreich-Tochter des insolventen deutschen Ferienfliegers AeroLloyd gekauft und fliegt nun unter dem Namen „Niki“. Um sich die Kosten von fünf bis zehn Millionen Euro für den Aufbau eines eigenen Vertriebs zu sparen, holte sich Lauda den deutschen Billig-Flieger Air Berlin als Partner. Seither vermarkten die beiden Unternehmen ihre Tickets gemeinsam. Bei der Beschaffung der Flugzeuge nützte der Wiedereinsteiger die herrschenden Überkapazitäten und erkämpfte Top-Leasingraten bei der einstigen AeroLloyd-Hausbank. Auch an Bord wird gespart: Das Catering stammt zwar aus dem exquisiten Haus Do & Co. Doch dessen Chef Attila Dogudan verzichtet auf jedweden Schnickschnack. „50 Prozent der Cateringkosten entfallen auf die Logistik, also das Waschen und Transportieren des Geschirrs. Wir servieren die Speisen im Karton und ersparen uns damit natürlich einiges“, so Lauda. Spartanisch auch das lediglich aus einem billigen Cape bestehende Outfit seiner Bordcrew. Lauda: „Die Leute wollen billig fliegen und haben nix davon, wenn ich 1500 oder 2000 Euro für Uniformen ausgebe.“

Lauda startete mit beachtlichem Erfolg: Allein über die Internetseite wurden bislang fast 20.000 Tickets verkauft. Und Pionier Ryanair ist bis heute in Europa die unangefochtene Nummer eins im Segment der so genannten Low Cost Carrier, obwohl die Zahl dieser Billig-Fluglinien mittlerweile auf 56 gestiegen ist.

Denn nicht nur das Angebot, auch die Nachfrage steigt: Waren es 1998 bescheidene zwei Prozent der europäischen Passagiere, die auf Komfort verzichteten und bei Billigfliegern an Bord gingen, so überstieg der Anteil im Vorjahr die Zehn-Prozent-Marke. Wolfgang Kurth, Präsident der European Low Fares Airline Association, prognostiziert für die nächsten Jahre „einen Marktanteil von 25 Prozent“.

Hohe Zuwächse. Im Jahr 2002 haben die Billig-Anbieter auch die Schlacht um Österreich eröffnet. Zwölf Gesellschaften sind es mittlerweile, die ab Wien, Graz, Klagenfurt, Linz, Salzburg und den nahe gelegenen Flughafen Bratislava europäische Destinationen zu Preisen ab 30 Euro anbieten (siehe Kasten). In Salzburg lag der Billig-Passagieranteil im Vorjahr bei 16 Prozent, in Graz und Klagenfurt waren es ebenfalls bereits mehr als zehn Prozent. Am Wiener Flughafen konnten die Diskonter sechs Prozent für sich verbuchen. In den ersten zwei Monaten dieses Jahres waren es laut Flughafen-Vorstand Herbert Kaufmann sogar acht Prozent: „Nach Köln werden 50 Prozent der Passagiere von Low Cost Carriern gebracht.“

Wie das Beispiel Köln zeigt, lockt die neue Billig-Konkurrenz sogar Kunden an, die bisher gar nicht geflogen sind: Durch die Offensive der neuen Konkurrenten hat sich das Passagieraufkommen dorthin verdoppelt. Die Billig-Airlines schnappen aber auch den etablierten Fluglinien immer mehr Geschäft weg. Stefan Maxian, Aktienanalyst bei der Raiffeisen Centrobank: „Die Preiskonzepte haben sich völlig geändert und sind durch das Internet viel leichter vergleichbar geworden. Und vielen Leuten ist es schlichtweg egal, mit welcher Linie sie fliegen.“

Im Gegensatz zu anderen Branchen, wo billig gleichgesetzt wird mit minderwertig, ist das Fliegen mit Low-Cost-Anbietern nicht nur keine Schande, sondern sogar in Mode gekommen. „Billig gilt nicht als schlecht“, so Maxian, „auch viele Manager steigen mittlerweile um.“

Große unter Zugzwang. Entsprechend groß ist der Druck auf die konventionellen Anbieter. Durch Irak-Krieg, die Lungenerkrankung SARS und die zuletzt flaue Konjunktur waren viele Konzerne zuletzt ohnedies in arge Bedrängnis geraten: Die skandinavische SAS machte im Vorjahr einen Verlust von 164 Millionen Euro und soll nun aufgeteilt werden. Die nach der Pleite der Swissair erst vor gut zwei Jahren neu gegründete Swiss steckt in Turbulenzen, die erst kürzlich zum Rücktritt des Vorstandschefs führten. Die Alitalia schreibt laut italienischen Medienberichten täglich einen Verlust von einer Million Euro und ist in Existenzgefahr. Und selbst British Airways, lange Zeit von der Luftfahrtkrise scheinbar unbeeinträchtigt, wird nun nach Aussage des Vorstands knapp 600 Millionen Euro zusätzlich für Sanierungsmaßnahmen aufwenden zu müssen. Die Austrian Airlines haben zwar in den vergangenen drei Jahren wichtige Restrukturierungsmaßnahmen gesetzt, schleppen aber nach wie vor eine Schuldenlast von über drei Milliarden Euro mit.

Hohe Schulden und deutlich teurere Konzernstrukturen machen es einigen Unternehmen fast unmöglich, mit dem Preisdiktat der neuen Konkurrenz Schritt zu halten. Eine meist einheitliche Flugzeugflotte, schnellere Bodenabfertigung, dichtere Sitzreihen und nicht zuletzt die niedrigeren Gebühren auf den vielfach angesteuerten Regionalflughäfen führen dazu, dass beispielsweise die Ryanair mit den Durchschnittskosten pro Passagier und geflogenem Kilometer um 63 Prozent unter jenen der großen Anbieter liegt (siehe Grafik S. 51). Laut einer Studie des Beratungsunternehmens McKinsey liegen die Kosten pro Passagier und Kilometer bei den großen Fluglinien bei zwölf Cent, während Ryanair mit 4,5 Cent das Auslangen findet.

Diese viel niedrigeren Kosten führten dazu, dass die Ryanair bereits Gewinn bringend fliegen kann, wenn 55 Prozent der Plätze besetzt sind. Gesellschaften wie die Austrian Airlines hingegen brauchen laut Vorstandschef Vagn Sørensen „auf Langstrecken 75 Prozent, auf Kurzstrecken immer noch mindestens 65 Prozent Auslastung“.

Potenzial für Neue. Diese Rahmenbedingungen haben letztlich auch Niki Lauda im vergangenen Herbst dazu bewogen, wieder ins Fluggeschäft einzusteigen: „Ich hab einfach den Vorteil gehabt, dass ich mit einem weißen Blatt Papier anfangen, meine Kostenstruktur planen konnte und keine Altlasten mitschleppen musste.“ Beflügelt durch die neue Partnerschaft mit Niki hat sich Air-Berlin-Chef Joachim Hunold für 2004 das Ziel gesetzt, „den Umsatz um 13 Prozent auf mehr als eine Milliarde Euro zu steigern und schwarze Zahlen zu schreiben“. Die Zahl der beförderten Passagiere soll um 21 Prozent auf 11,6 Millionen steigen, so Hunold.

Zahlen, die nicht nur das Wachstumspotenzial für die Billig-Airlines widerspiegeln, sondern auch deutlich machen, dass die Preise weiter sinken werden. Bereits im Vorjahr sind Tickets generell um etwa zehn Prozent billiger geworden. Austrian-Airlines-Chef Sørensen rechnet damit, „dass die Preise auf Kurzstrecken weiter sinken werden, aber den Boden bald erreicht haben dürften“. Viel stärker beschäftigt die österreichische Linie aber einen anderen Faktor. Sørensen: „Wir spüren nach wie vor einen Wechsel von der Business Class zur Economy Class. Das führt natürlich dazu, dass sich die Renditen weiter verschlechtern.“

Die Konkurrenzsituation dürfte sich heuer weiter verschärfen. Nach Ryanair, Niki und Air Berlin haben sich weitere Anbieter im Billig-Segment eingefunden. Erst vor wenigen Wochen startete die neu gegründete Gesellschaft Fairline mit Flügen ab Graz. Das im Besitz privater Investoren stehende Unternehmen begann sein Geschäft im Jänner mit Flügen nach Italien. Geschäftsführer Georg Pommer: „Wir haben bemerkt, dass es dafür den größten Bedarf gibt, und haben mit Flügen nach Rom, Florenz und Mailand begonnen. Jetzt bauen wir unser Angebot weiter aus, bieten ab Anfang April auch Flüge nach Stuttgart und Berlin an und werden ab 19. April auch von Linz aus starten.“

Es ist bereits die zweite von Graz aus operierende Fluglinie. Fast auf den Tag genau vor einem Jahr hob die erste Maschine der Styrian Spirit von Graz ab. Das kleine Unternehmen sollte in erster Linie den Bedarf seiner Gesellschafter decken. Unter ihnen: Magna-Manager Siegfried Wolf. Er und andere Unternehmer aus dem steirischen Automobilcluster müssen häufig in deutsche Großstädte, etwa wenn es gilt, mit DaimlerChrysler in Stuttgart zu verhandeln oder Investoren im Börseplatz Frankfurt zu treffen. Erst später wurden Urlaubsdestinationen mit ins Programm aufgenommen. Heute heben im Schnitt 11.000 Passagiere im Monat mit Styrian Spirit ab, wie Geschäftsführer Othmar Lenz berichtet: „Fairline wird sicher auch ein Konkurrent für uns, weil wir den derzeitigen Bedarf für Flüge von Graz in die deutschen Großstädte zur Gänze abdecken.“

Flüge nach Deutschland bieten auch Hapag Lloyd Express, Intersky, die Eurowings-Tochter Germanwings und die niederländische V-Bird an. Flybe und Duo laden zu Billig-Trips nach Großbritannien. SkyEurope agiert seit der Gründung im Februar 2002 vom slowakischen Flughafen Bratislava aus und offeriert Destinationen in halb Europa. Die Gäste kommen großteils mit Shuttlebussen aus Österreich.

Neue Abnehmer. Lief der Vertrieb der Billig-Tickets anfangs ausschließlich via Internet, so zeigen nun auch Reisebüros und Reiseveranstalter wachsendes Interesse. Touropa Austria, ein Unternehmen der Tui-Gruppe, bietet in seinem Städteflug-Katalog 2004 erstmals Flüge mit Air Berlin und Fairline an. Und auch die Schwestergesellschaft Tui-Austria ReiseveranstaltungsgmbH will laut Geschäftsführer Josef Peterleithner in diesen Markt: „Es wird sicher im Low-Cost-Carrier-Segment künftig bei uns auch Angebote geben.“ Peter Balluch, Chef von Thomas Cook/Neckermann, will sich das Segment der Billig-Flüge ebenso wenig entgehen lassen: „Wir machen jetzt genau das, was die Low Cost Carrier tun. Wir kaufen auch außerhalb der Hauptreisezeit Kontingente ein und bieten Flüge zu besonders günstigen Tarifen an. Die Devise lautet: Mehr Geschäft zu noch günstigeren Tarifen.“

Martin Fast, Geschäftsführer von ITS Billa Reisen, zieht angesichts der aktuellen Preisschlacht einen Vergleich zu den USA vor knapp 20 Jahren: „Damals sind dort auch die Tarife schlagartig gesunken. Und irgendwann stellt sich dann die Frage, wer in diesem Verdrängungswettbewerb letztlich übrig bleibt.“

Um sich abzusichern, schmieden einige Anbieter bereits Allianzen. Lauda-Partner Hunold hat erst vor wenigen Wochen eine Kooperation mit Germania Express für einige Flüge von und nach Österreich geschlossen und will diese künftig weiter ausbauen. Friedrich-Wilhelm Weitholz, Chef der Germanwings-Muttergesellschaft Eurowings, bastelt an einer Kooperation mit der britischen Billig-Linie BMIBaby. Allianzen mit der skandinavischen Billig-Linie Snowflake und der polnischen Lot werden derzeit verhandelt. Weitholz: „Der Billig-Flugsektor hat die gesamte Branche revolutioniert und ist aus dem Reisegeschäft nicht mehr wegzudenken.“ Kooperationen sind für den Eurowings-Chef lebensnotwendig: „Der Billig-Flugmarkt ist angesichts ständiger Neugründungen und Überkapazitäten ein echtes Haifischbecken.“