Luftfahrt: Künstliche Thermik
Der Meinungsumschwung erfolgte binnen weniger Stunden. Am -Vormittag des 25. Juli präsentierte das Manage-ment von Austrian Airlines (AUA) im Wiener Hotel Hilton die Geschäftszahlen für das erste Halbjahr 2006. Auf die Frage eines Journalisten an Vorstandschef Alfred Ötsch, ob die AUA einen Partner braucht, antwortete dieser nur sehr vage. Sinngemäß: nicht unbedingt; nicht dringend; nicht um jeden Preis.
Gegen 14 Uhr desselben Tages fand der Austrian-Airlines-Chef dann, etwas überraschend, deutlich klarere Worte. Die AUA war noch nie so eigenständig wie heute, erklärte er gegenüber Aktienanalys-ten in einer Telefonkonferenz.
Was dazwischen geschah, ist nicht überliefert. Doch liegt die Vermutung nahe, dass der Vorstandsvorsitzende in der Zwischenzeit, von wem auch immer, auf diese deutlichere Aussage eingeschworen wurde. Schließlich galt es, die Aktienexperten zu überzeugen, dass der eingeschlagene Weg Erfolg verspricht und eingehalten wird.
Es braucht so etwas wie unerschütterlichen Optimismus, um Ötschs Worte für bare Münze zu nehmen. Fakt ist, dass die wirtschaftliche Lage der AUA trotz leichter Verbesserung der Zahlen nach wie vor extrem angespannt ist. Fakt ist auch, dass die Fluggesellschaft dieses Jahr neuerlich Verluste schreiben wird. Fakt ist aber vor allem, dass auf die Airline im Jahr 2006 noch eine zusätzliche finanzielle Belastung zukommt: In der Bilanz zum 31. Dezember 2005 fanden sich in Summe Bankverbindlichkeiten von 1,3 Milliarden Euro, 470 Millionen davon als kurzfristige Schulden. Und die müssten, so Aktien-analyst Bernd Maurer von der Raiffeisen Centrobank, noch vor Jahresende 2006 getilgt werden.
Bleibt die Frage nach dem Wie.
Ausgelaugt. Aus eigener Kraft kann die AUA ihre Finanzlöcher wahrscheinlich nicht mehr stopfen. Selbst wenn man alle werthaltigen Assets wie Wertpapiere und ausständige Forderungen zu Geld macht, würden immer noch rund 100 Millionen fehlen, sagt ein Börsenexperte. Viel hat die Fluglinie ohnedies nicht mehr zu versilbern. Die komplette Flotte von 104 Maschinen ist geleast, und selbst in ihren Hangars ist die AUA mittlerweile nur noch Mieterin.
Auch eine Ende Mai dieses Jahres beschlossene Kapitalerhöhung funktioniert zumindest derzeit nicht: Der aktuelle Börsenkurs der AUA-Aktie liegt knapp über sechs Euro und damit unter dem Nennwert von 7,27 Euro das Stück. Billiger als zu diesem dürfen die Papiere laut Aktiengesetz aber nicht emittiert werden.
Eine nicht unwichtige Gruppe an Geschäftspartnern wird ob dieser Bredouille langsam nervös: die Banken. Bank Austria Creditanstalt (BA-CA), Raiffeisen Zentralbank und Bawag sind jene Institute, bei denen die AUA den Großteil ihrer Kredite offen hat. Gleichzeitig halten diese Ins-titute gemeinsam mit der Wiener Städtischen Versicherung ein Aktienpaket von 10,3 Prozent (siehe Grafik).
Für die skandalumwitterte Bawag mag das Engagement bei der AUA derzeit eines der geringeren Probleme darstellen. BA-CA und Raiffeisen hingegen spielen mittlerweile hinter verschlossenen Türen grundlegend neue Szenarien durch, die, wie es ein involvierter Banker formuliert, in Österreich vor Kurzem noch als Sakrileg gegolten hätten.
Von einem scheinen die Involvierten überzeugt zu sein: Aus eigener Kraft wird es die AUA eher nicht schaffen. Die Sanierung kann, wenn überhaupt, nur gemeinsam mit der Staatsholding ÖIAG gelingen. Und: Die nötigen Schritte können erst nach der Wahl, mit der neuen Regierung, akkordiert werden.
Konkret tüfteln die Financiers klammheimlich an drei Varianten.
• Kapitalschnitt. Um die Kapitalerhöhung trotz des zu niedrigen Kurses durchzubringen, könnte das Grundkapital zunächst herabgesetzt und anschließend in einem zweiten Schritt erhöht werden. Ein alarmierendes Signal an den Kapitalmarkt: Solche Maßnahmen werden in aller Regel nur bei dringend notwendigen Sanierungen gesetzt. Klar, dass das AUA-Management mit diesem Quasi-Eingeständnis seines Versagens wenig Freude hätte.
• Das Modell Alitalia. Die italienische Fluglinie konnte vergangenes Jahr nur durch eine Notmaßnahme gerettet werden. Alitalia begab junge Aktien zu einem über dem damals aktuellen Marktwert liegenden Preis. Die Deutsche Bank kaufte die überteuerten Papiere, hatte aber im Hintergrund mit der Regierung (damals Mehrheitseigentümer) einen Deal ausgehandelt. Demnach würde der Staat, gemeinsam mit einer Gruppe italienischer Investoren, die Aktien zu einem späteren Zeitpunkt zu einem garantierten Kurs zurückkaufen. Alitalia wurde de facto subventioniert, die EU gab, weil der Schein einer marktkonformen Transaktion gewahrt blieb, grünes Licht. Der Charme einer solchen Konstruktion ist, behauptet ein Investmentbanker, dass man damit die Probleme hinter verschlossenen Türen lösen kann und am Markt eine weiße Weste behält.
Möglicher Haken im Fall der AUA: Das Modell kann nur funktionieren, wenn die derzeit beteiligten Banken alle Aktien zeichnen. Sie bilden zusammen mit der ÖIAG ein Syndikat, das derzeit knapp über 50 Prozent an der Fluglinie hält. Würden ausländische Investoren die jungen Aktien zeichnen, ginge diese syndizierte Mehrheit verloren und mit ihr möglicherweise bilateral ausgehandelte Landerechte (siehe Kasten).
• Das Modell Bawag. Die von zahlreichen Bankern favorisierte Variante ist die Aufnahme neuer Kredite, die jedoch mit einer Staatshaftung ausgestattet sein sollen. Der Bawag musste im Lichte des Refco-Debakels und der damit verbundenen Schadenersatzzahlungen jüngst mit einer solchen unter die Arme gegriffen werden. Im Gegenzug muss die Bank an den Staat eine jährliche Haftungsgebühr von 0,2 Prozent der aushaftenden Summe zahlen. Vergleichsweise wenig Geld für viel Sicherheit. Für die Garantie der öffentlichen Hand bedarf es allerdings erstens eines -Regierungsbeschlusses und zweitens der Zustimmung der EU-Kommission. Die aber hat bis heute noch nicht einmal den Bawag-Deal abgesegnet.
Erst jüngst hatte Walter Rothensteiner, Generaldirektor der Raiffeisen Zentralbank, in Richtung Staatshilfe argumentiert. In einem Interview mit der Illustrierten News forderte er, dass der Staat die AUA notfalls über eine Geldspritze retten solle.
Struktur. Was immer man sich an derartigen Finanzkonstruktionen einfallen lässt, kann der AUA zwar kurzfristig Luft verschaffen. Doch an ihren strukturellen Problemen ändern derlei Künste wenig.
Anders als viele große und zuletzt wirtschaftlich erfolgreiche Fluglinien hat die AUA darauf verzichtet, sich gegen die stetig steigenden Treibstoffpreise durch entsprechende Finanzinstrumente abzusichern. Dass sich die Kosten für Kerosin in den vergangenen Jahren auf zuletzt 586 Euro je Tonne mehr als verdoppelt haben, drückt direkt auf das Ergebnis. Die Wartungskosten für die uneinheitliche Flotte Airbus, Boeing, Fokker, Canadair und Bombardier sind unverhältnismäßig hoch, eine Bereinigung derzeit nicht in Sicht. Letztlich sind auch die Personalausgaben im Branchenvergleich immer noch überdurchschnittlich hoch.
Weshalb unabhängig von den kurzfris-tigen Schritten zur finanziellen Sanierung auch Pläne für die mittelfristige Zukunft gewälzt werden. Stichwort: Partnersuche.
Partnersuche. In den kommenden Wochen dürfte der eine oder andere maßgebliche Aktionärsvertreter nach Frankfurt reisen, um bei Lufthansa-Vorstandschef Wolfgang Mayrhuber vorzusprechen. Die Lufthansa, schon jetzt wichtigster Partner der AUA im Star-Alliance-Verbund, soll für ein direktes Engagement gewonnen werden. Mayrhuber, ein gebürtiger Österreicher, hat jedoch schon mehrfach abgewunken. Und auch unter den sonstigen europäischen Fluglinien dürfte das Interesse an einem Aktienpaket der Austrian Airlines recht überschaubar sein: Ein Gutteil von ihnen ist derzeit mit eigenen Problemen beschäftigt oder will sich zumindest keine neuen aufhalsen. Und die wenigsten sehen in einer AUA-Beteiligung strategischen Nutzen.
Bereitwilliger, wenn auch im wahrsten Sinne etwas weit hergeholt, wären da möglicherweise schon Kandidaten aus dem arabischen Raum. Die Fluglinie Emirates zum Beispiel schwimmt förmlich im Geld und könnte durchaus auch strategisches Interesse haben: Der Einstieg bei der AUA wäre zugleich der Einstieg in den europäischen Markt samt der kostbaren Landerechte. Der vorgebliche Kulturschock dürfte so groß nicht sein: Fast die komplette zweite Führungsebene von Emirates ist mit Europäern besetzt.
Alfred Ötsch werkt, ungeachtet all dieser schon recht konkreten Sandkastenspiele, akribisch weiter. Gebetsmühlenartig spricht er vom Erhalt der rot-weiß-roten Schwanzflosse und preist seine bisherigen Erfolge. Der Konzern verfüge über eine solide Liquiditätsbasis, sagt er und kündigt weitere umfangreiche Maßnahmenprogramme an. Nicht zuletzt ist er stolz darauf, dass es gelungen ist, das Ergebnis im ersten Halbjahr 2006 um 16 Millionen Euro zu verbessern auf minus 47,8 Millionen Euro.
Auch schon was.
Starke europäische Airlines wie die Lufthansa schreiben derweil solide Gewinne.
Von Martin Himmelbauer und Liselotte Palme