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Titelgeschichte. Übersteigerter Perfektionismus macht unglücklich oder krank. Experten empfehlen mehr Mut zum Fehler

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Von Norbert ­Regitnig-Tillian

Wenn sich die Historikerin Gabriele S. in ein Thema vertieft, kennt sie nur eine Devise: keine Kompromisse. Oberflächlichkeiten und Halbwissen sind ihr ein Gräuel. Sie misstraut jedem geschriebenen Wort, gräbt unermüdlich nach noch verlässlicheren Quellen und verbringt oft ganze Tage damit, ein einzelnes Zitat in mühevoller Bibliotheksrecherche auf inhaltliche Richtigkeit zu prüfen. Wenn sie nach Hause geht, ist ihr Arbeitstag meist noch lange nicht zu Ende. Denn, so ihr Leitsatz: „Entspannung gibt es erst im Himmel.“

S. ist bekennende Perfektionistin, die einer unstillbaren Leidenschaft frönt. Wie gar nicht so wenige andere Menschen auch kann sie sich nicht an lediglich gutenLeistungen erfreuen. Und selbst wenn sie ein Thema noch so gründlich bearbeitet hat – immer bleibt der bittere Nachgeschmack des unvollkommenen Werks. Denn unter dem strengen Blick der Perfektionisten sticht stets etwas hervor, was erbarmungslos die Perfektion zerstört: der potenzielle Fehler.

Was die Menschheit im Regelfall ungerührt die Achseln zucken lässt, ist für Perfektionisten eine Tortur. In ihrer Welt lauern hinter jeder Kehre Unmengen an Fehlerquellen. Kein E-Mail verlässt den Computer, ohne mindestens dreimal auf Punkt und Beistrich kontrolliert worden zu sein. Offen gebliebene Häkchen auf der Checklist verursachen Hyperventilation oder führen zu Überstunden bis zum ­Morgengrauen. Jedem Detail wird volle Aufmerksamkeit geschenkt, selbst ein Komma oder die nicht penibel gefaltete Bügelwäsche kann Unwohlsein in der Magengrube erzeugen. Im Universum des Perfektionismus ist kein Platz für Halbheiten, Fehlerhaftes und Unerledigtes.

Lesen Sie die Titelgeschichte von Norbert ­Regitnig-Tillian in der aktuellen Printausgabe oder in der profil-iPad-App.