Mainstreampop als Konzeptkunst

Mainstreampop als Konzeptkunst: Lady Gaga tritt erstmals in Österreich auf

Lady Gaga tritt erstmals in Österreich auf

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Als Stefani Germanotta vor ein paar Tagen auf der Couch von Ellen DeGeneres saß, ging sie ganz nach Popstarlehrbuch vor: Schmeicheleien für die Gastgeberin (immerhin eine der beliebtesten Talkshowmasterinnen der USA), ein freundliches Hallo an die lesbische Community (zu deren Ikonen DeGeneres zählt) sowie, für die eher visuell veranlagten Zuseher: ein ziemlich schrulliger Kopfputz, nämlich eine Art metallenes Planetensystem, das ihr vorm Gesicht hing, sich in einem fort drehte und die weitgehend harmlose Talkshowplauderei damit ein ganzes Stück weit Richtung Dadaismus trieb. Beziehungsweise: Gagaismus. Für ihre Popstarkarriere hat sich Germanotta nämlich, ganz lehrbuchgemäß, auch einen Künstlernamen überlegt: Lady Gaga. Angeblich soll sich das auf Queens alten Superhit „Radio Gaga“ beziehen. Womöglich klingt es aber einfach nur schön schrill.

Montaigne, Marx, Rilke. Das wirklich Seltsame an Germanottas Talkshowauftritt bei DeGeneres war aber, dass sie dabei nicht besonders clever wirkte, im Gegenteil. Was deshalb seltsam ist, weil ihr Image gerade darauf beruht, eben kein doofes Popsternchen zu sein, sondern in Interviews gerne auch einmal über Montaigne, Marx und Rilke zu parlieren. Was sie, andererseits, nicht daran hindert, in ihren Musikvideos vor allem körpersprachlich aktiv zu werden und Liveauftritte gern mit pyrotechnisch aufgemotzten Büstenhaltern zu bestreiten. Aber vielleicht ist das ja auch nur philosophisch gemeint; in einer Seminararbeit schrieb Germanotta anno 2004, damals noch Kunststudentin an der Tisch School der New York University: „Es ist die Befreiung sowohl des natürlichen als auch des künstlichen Körpers, die letztlich Kunst erzeugt.“

Kunst und, in ihrem Fall, auch ganz schön viel Geld. Mit ihrem Debütalbum „The Fame“ und den ersten beiden Singles „Just Dance“ und „Poker Face“ dominiert Lady Gaga seit Monaten die internationalen Hitparaden, in Österreich hat „Poker Face“ Anfang Februar die Top Ten erreicht und sie seither nicht mehr verlassen. Auch die seriöse Presse pflegt ein Faible für Gaga, offenbar löst ihr betont überkandideltes Gehabe einen feuilletonistischen Erklärreflex aus: Die Londoner „Sunday Times“ bezeichnete Lady Gaga bereits als „die Zukunft des Pop“, der „New Yorker“ widmete ihr ein mehrseitiges Porträt, und das Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ ergründete – nicht ganz erfolgreich – „Das Prinzip Lady Gaga“.

Madonna 2.0. Diese Aufmerksamkeit ist zum Teil berechtigt, nur handelt es sich bei diesem Teil beileibe nicht um den musikalischen: „The Fame“ klingt, nun ja, nach Hitparade eben: modern discoid, mit ansatzweise schweren Bässen und durchgehend leichten Texten, also so, wie Madonna klingen würde, wenn sie noch auf der Höhe der Zeit wäre. Womit der interessante Teil beginnt. In gewisser Weise recycelt Lady Gaga Madonnas Erfolgsstrategien für die 2.0-Ära: eine Spur Provokation, eine Prise Warhol, ziemlich viel Sex und einen Hauch Konzeptkunst. „Lady Gaga ist eine Lüge“, sagt Lady Gaga und bezeichnet sich im gleichen Atemzug als „Robin Hood des Ruhms“. Wer in diesem Fall der Sheriff von Nottingham wäre, bleibt unklar, die Botschaft kommt trotzdem an: Pop gehört uns allen. Wir müssen ihn nur machen.

Stefani Germanotta wurde vor 23 Jahren in New York geboren, wuchs an der Upper West Side auf, besuchte teure Eliteschulen, brach eine teure Eliteuni ab und fuhr schließlich einmal quer durch Manhattan, um sich in der Performance-Szene der Lower East Side einen Namen zu machen. Diese Vorgeschichte bleibt unverkennbar: Lady Gaga lebt la vie en pose, oszilliert mit großer Konsequenz zwischen Kinderfasching und Haute Couture und gibt dem Popbetrieb damit ein wenig von dem zurück, was er in den letzten Jahren so sehr vermissen ließ: Künstlichkeit, Verwirrung, Aufregung. Pop, das hieß in den letzten Jahren vorwiegend: bodenständiger Rock, straßenkluger HipHop, biedere Schlagersternchen von nebenan, authentische, natürliche Figuren vom Format einer Jessica Simpson. Lady Gaga wohnt nicht nebenan. Lady Gaga ist, ohne jede Ironie und ganz offensichtlich: eine Kunstfigur. Früher hätte man gesagt: ein Popstar wie aus dem Lehrbuch.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.