„Man muss kein Kommunist sein …“

Investkredit-Chef Stadler plädiert für die Tobin Tax

Drucken

Schriftgröße

profil: Die Postgewerkschaft droht gegen die Teilprivatisierung der Post zu streiken. Hielten Sie das für eine legitime Ausübung des Streikrechts?
Stadler: Ich bin ein dezidierter Befürworter der Privatisierung der Post und denke, dass die Streikdrohung im Zusammenhang mit den im Herbst bevorstehenden Wahlen zu sehen ist. Das wird aber den Privatisierungsprozess hoffentlich nicht aufhalten.
profil: Dass Sie Privatisierungen befürworten, ist weder neu noch überraschend. Die Frage war: Ist es legitim, gegen eine bevorstehende Privatisierung zu streiken?
Stadler: Ich glaube, dass es sehr problematisch ist, dafür das Streikrecht einzusetzen. Ein Streik sollte sich allenfalls gegen konkrete Benachteiligungen von Mitarbeitern richten. Solche sind aber nicht erkennbar. Ich will zwar einem Streik nicht grundsätzlich die Legitimität absprechen, aber ich hielte ihn nicht für gerechtfertigt.
profil: Die Gewerkschaft argumentiert unter anderem, dass Postdienste in den meisten Ländern, auch in den besonders marktwirtschaftlich orientierten, mehrheitlich oder gänzlich im Eigentum des Staates sind.
Stadler: Ich denke, dass es in Bereichen der leitungsgebundenen Infrastruktur, also bei den Verkehrswegen, im Energiesektor und in Kernbereichen des Telefonfestnetzes, durchaus Argumente dafür gibt, dass der Staat Kernbeteiligungen hält. Bei der Post sehe ich diese Argumente nicht.
profil: Sie sind Aufsichtsrat der Telekom Austria und meinen, dass es vernünftig wäre, wenn die Republik auf Dauer Kernaktionär bei der Telekom Austria bleibt?
Stadler: Bei einer reinen Festnetzgesellschaft halte ich das aus heutiger Sicht für vernünftig. Bei der Post sehe ich diese Notwendigkeit allerdings nicht. Ich hätte es aber für erfreulich gehalten, wenn man sich entschieden hätte, der Post im Wege des Börsenganges die Möglichkeit zu geben, sich über eine Kapitalerhöhung zusätzliche Mittel für die künftige Expansion zu beschaffen.
profil: Das ist aber nicht vorgesehen.
Stadler: Das ist richtig, und ich bedauere das.
profil: In Deutschland wird gerade recht animiert darüber diskutiert, ob es zulässig ist, dass ein Bundeskanzler unmittelbar nach seinem Ausscheiden aus der Politik in den Aufsichtsrat eines teilweise russischen Pipeline-Unternehmens wechselt. Wie würden Sie diese Frage beurteilen?
Stadler: Ich will mich da nicht einmischen. Aber es wirft natürlich ein sehr problematisches Licht auf die vorangegangene Beziehung von Gerhard Schröder zum Regime von Wladimir Putin. Wenn sich politische und wirtschaftliche Funktionen und Interessen so eng verknüpfen, dann ist das sicher problematisch.
profil: In Österreich hat der Vizekanzler bekannt gegeben, nach dem Ende seiner Regierungstätigkeit in die Geschäftsführung eines Tourismusunternehmens zu wechseln. Und parallel dazu verkaufen die zu seinem Ministerium ressortierenden ÖBB eine Seeschifffahrtsgesellschaft teilweise an dieses Unternehmen. Ist das in Ordnung?
Stadler: Also, ob das okay ist, kann ich wirklich erst beurteilen, wenn ich die Sachlage näher kenne. Es ist aber absolut unvermeidlich, im Überschneidungsfeld von Politik und Wirtschaft gelegentlich auf formelle Inkompatibilitäten zu stoßen. Da kommt es dann darauf an, wie die handelnden Personen mit solchen Konfliktsituationen umgehen.
profil: Für EU-Kommissare gilt nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt eine „Abkühlungsphase“, während deren sie nicht in ihrem früheren Zuständigkeitsbereich tätig werden dürfen. Wäre eine ähnliche Regelung nicht auch für österreichische Regierungsmitglieder wünschenswert?
Stadler: Es würde dem Einzelnen nur wieder ein Stück seiner ganz persönlichen Verantwortung abnehmen. Formelle Regelungen, die den Einzelnen fesseln und zu einem Ersatz der persönlichen Verantwortlichkeit führen, sind mittlerweile schon in viel zu vielen Bereichen in Kraft. Es gibt eine auch aus der amerikanischen Gesetzgebung kommende Tendenz, dass man Verantwortlichkeit durch den Versuch ersetzen möchte, alles und jedes, was es an persönlichen Entscheidungsspielräumen gibt, durch immer genauere Detailbestimmungen regeln zu wollen. Das werden wir aber nicht schaffen.
profil: Wenn Eigenverantwortlichkeit so gut funktioniert, dann würden ja auch die Zehn Gebote reichen, und man müsste Diebstahl und Mord nicht unter Strafe stellen?
Stadler: Hier geht es aber nicht um den Kernbestand des Strafrechts, sondern um die Übergangszonen zwischen politischer und wirtschaftlicher Sphäre. Und die vollständig regulatorisch einfangen zu wollen ist nicht möglich. Eigenverantwortlichkeit zu fordern und das mit einer Berichterstattungsverpflichtung, beispielsweise an ein parlamentarisches Gremium, zu verbinden schiene mir ein besserer Weg.
profil: Aber was spricht gegen Abkühlungsfristen?
Stadler: Dass es möglicherweise eine zu scharfe Regelung ist. Wenn wir in der Politik erstklassige Leute wollen, die sich in der Privatwirtschaft bewährt haben, dann müssen wir diesen Menschen danach auch den Umstieg aus der Politik in verantwortungsvolle Positionen offen halten. Ich glaube, dass man den Respekt vor der Eigenverantwortlichkeit hochhalten muss.
profil: Da Sie auf Moral und Anstand anstatt auf Gesetze und verpflichtende Regelungen setzen, lehnen Sie vermutlich auch den neuen Corporate Governance Codex ab, der börsenotierten Unternehmen und deren Managern strengere Pflichten auferlegt?
Stadler: Der Corporate Governance Codex ist gerade noch im Rahmen dessen, was verantwortbar ist. Was an zusätzlichen Elementen dazugekommen ist, dient einem Stück mehr Transparenz. Diskutiert wurden ja unter anderem auch verpflichtende Regeln im Bereich der so genannten Corporate Social Responsibility, die aber erfreulicherweise unterblieben sind. Wenn man wirklich dazu übergehen würde, freiwilliges verantwortliches Verhalten gegenüber der Gesellschaft, gegenüber der Umwelt und gegenüber den Mitarbeitern auch wieder mit Verpflichtungen zu versehen, dann wäre das ungefähr so, wie wenn wir im Privatleben solche Regeln mit verpflichtendem Charakter aufstellen würden.
profil: Was wäre so übel daran, wenn manche dieser Verhaltensregeln ein bisschen mehr Nachdruck erhielten?
Stadler: Es wäre ein weiterer Schritt, der dazu führt, dass auf dem wirtschaftlichen Spielfeld immer mehr Schiedsrichter herumstehen und die Spieler immer weniger Raum haben, sich die Bälle zuzuspielen.
profil: Manche haben allerdings den Eindruck, dass es sich um ein sehr großes Spielfeld handelt, auf dem es eher zu wenige als zu viele Schiedsrichter gibt.
Stadler: Auch diese Fälle gibt es. Wenn ich das Bankgeschäft als Beispiel nehme, dann existiert ein übergroßer Ehrgeiz in der Regulierung des klassischen Kreditgeschäfts. Ich nenne nur das Stichwort Basel II. Und andererseits gibt es unglaubliche regulatorische Lücken im Bereich der Hedgefonds, die mir absolut unbegreiflich sind. 1,2 Billionen Dollar werden in Hedgefonds gemanagt, von denen man zum Teil nicht einmal die Adressen oder Eigentümerstrukturen kennt. Und die Notenbanken scheinen damit leben zu können. Ich halte es für ein bedenkliches finanzmarktpolitisches Risiko, dass so große Beträge in Finanzgesellschaften disponiert werden, die keiner effektiven Kontrolle unterliegen, die auf den Röntgenschirmen nicht aufscheinen.
profil: Ursprünglich war vorgesehen, dass der Corporate Governance Codex eine Verpflichtung zur Offenlegung von Vorstandsgehältern enthalten sollte. Davon ist nach recht heftigen Kontroversen nun bloß eine unverbindliche Empfehlung geblieben.
Stadler: Ich finde es gut, dass keine verpflichtende Regulierung erfolgt ist. Man soll es den Vorständen der börsenotierten Unternehmen überlassen, ob sie die individuellen Bezüge bekannt geben. Ich halte es aber für richtig, wenn sie das tun.
profil: Wie viel verdienen Sie?
Stadler: Letztes Jahr brutto 480.000 Euro.
profil: Ihr Kollege Andreas Treichl, der Chef der Erste Bank, hat mit 4,5 Millionen Euro fast das Zehnfache von Ihnen verdient. Treichls Entlohnungspaket hat zu durchaus angeregten Diskussionen über die Höhe und Angemessenheit von Managergehältern geführt. Gibt es eine Betragsgrenze, oberhalb deren Sie Managergehälter als obszön oder unmoralisch betrachten würden?
Stadler: Treichls Gehalt hat diese Grenze sicher nicht überschritten. Weiter will ich das nicht kommentieren, weil das eine Angelegenheit des Aufsichtsrats und der Aktionäre der Erste Bank ist. Trotzdem ist es wichtig, dass wir uns auch im Kreis der Führungskräfte mit dem Thema „Maß und Ziel“ auseinander setzen.
profil: Zu welchem Ergebnis kommen Sie bei der Beschäftigung mit diesem Thema?
Stadler: Ich glaube, dass sich Führungskräfte bewusst sein sollten, dass es sich dabei um ein ordnungspolitisches Thema handelt, mit dem sie verantwortungsvoll umgehen müssen. Ich nehme als konkretes Beispiel die Zahlungen, die an Klaus Esser, den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von Mannesmann, im Gefolge der Übernahme des Unternehmens geleistet wurden. Das wurde meiner Einschätzung nach in sehr erklärungsbedürftiger Weise gehandhabt.
profil: Die Angelegenheit ist ohnedies Gegenstand von Strafprozessen.
Stadler: Sicher ist, dass es ein sträflicher Umgang mit diesem Thema war. Ich hätte mir von den Verantwortlichen erwartet, dass sie wenigstens im Nachhinein die Demut haben zu sagen: Wir bedauern das und würden das heute anders entscheiden.
profil: Kritiker der Entlohnungspraxis von Spitzenmanagern bemängeln immer wieder den Umstand, dass Manager wegen lukrativer Aktienoptionen, die ihnen gewährt wurden, allzu sehr die kurzfristige Entwicklung des Aktienkurses im Auge hätten.
Stadler: Ich glaube, dass es hier einen „Clash of Cultures“ zwischen Kontinentaleuropa und dem angloamerikanischen Raum gibt. Ich persönlich lehne es ab, Managementgehälter in einem zu großen Umfang an die Entwicklung des Börsenkurses zu knüpfen.
profil: Manager sollen durch derartige erfolgsabhängige und auch am Börsenkurs orientierte Gehaltsbestandteile dazu angehalten werden, den Shareholder Value, also den Unternehmenswert und Aktienkurs, zu steigern. Was ist falsch daran?
Stadler: Was ich kritisiere, ist die vielfach entstandene Shareholder-Value-Ideologie. Als Manager ist es meine Aufgabe, für nachhaltige Wertschöpfung im Unternehmen zu sorgen. Das entspricht auch dem im Aktienrecht festgelegten Zielsystem eines Unternehmens. Es widerspricht dem Zielsystem eines Unternehmens aber, den Shareholder Value, also die Interessen der Aktionäre, gegenüber den Interessen der Mitarbeiter, der Öffentlichkeit, aber vor allem auch gegenüber den Interessen der Kunden so stark in den Vordergrund zu rücken.
profil: Ein Zitat: „Allein im letzten Jahrzehnt stieg im Gefolge eigennütziger Überdehnungen des im Interesse des Managements anonymer Kapitalgesellschaften gelegenen Shareholder-Value-Modells der Einkommensunterschied zwischen einfachen Beschäftigten der größten Unternehmen und ihren Vorständen gegenüber den achtziger Jahren um eine Zehnerpotenz.“
Stadler: Das stammt von mir und bezieht sich auf die 500 größten US-Unternehmen. Wenn wir derartige Verhältnisse kritiklos importieren, dann würde das bei uns mittelfristig zu einer Legitimierungsschwäche der Marktwirtschaft führen.
profil: Ich lese Ihnen ein anderes Zitat vor: „Mit dem Konzept des Shareholder Value gehen die Aktiengesellschaften im Interesse kurzfristiger und rein spekulativer Anleger zur Substanzverschleuderung der Betriebe über, nur um die Aktienkurse permanent nach oben zu treiben.“
Stadler: Das ist aber nicht von mir.
profil: Wissen Sie, woher das Zitat stammt?
Stadler: Nein.
profil: Es ist aus dem Wahlkampfprogramm der steirischen KPÖ.
Stadler: Das erklärt den Akzentunterschied. Aber ich stehe zu meinen Aussagen. Man muss kein Kommunist sein, um zur Auffassung zu gelangen, dass übertriebenes, ideologisiertes Umgehen mit dem Begriff des Shareholder Value zu gesellschaftspolitischen Fehlentwicklungen führt. Wie könnten es ethisch und wirtschaftlich verantwortliche Führungskräfte auf Dauer rechtfertigen, dass sie sich einen so überproportionalen Anteil am unternehmerischen Erfolg zumessen? Das ist auch nicht mit der Rolle eines Eigentümers vergleichbar, der ein viel größeres Risiko trägt und daher durchaus berechtigt ist, entsprechende, vielleicht auch kurzfristige Vorteile zu lukrieren.
profil: Anders ausgedrückt, Ihr Verständnis sozialer Marktwirtschaft besteht aus einer starken Betonung auf „sozial“ und einer geringeren Betonung auf „Markt“.
Stadler: Nein, das wäre ein Missverständnis. Ich meine, dass der Markt Rahmenbedingungen braucht, die ihm die Gesellschaft gibt. Darauf bezieht sich das Wort „sozial“. Am Ende des Tages schaffen nur Wettbewerb und der Markt Wertschöpfung. Ich bin ein begeisterter Marktwirtschafter.
profil: In den Verdacht, als Neoliberaler bezeichnet zu werden, kommen Sie aber nicht.
Stadler: Das ist richtig. Da gibt es auch eine klare Differenzierung.
profil: Sie sind einer der wenigen Banker, die die Einführung einer Steuer auf spekulative Finanztransaktionen, eine so genannte Tobin Tax, befürworten. Eine solche Steuer würde aber doch zu dramatischen Kapitalabflüssen führen?
Stadler: Eine Bagatellsteuer führt zu keiner Umleitung der Kapitalflüsse. So wenig wie die Tatsache einer geringen Gebühr für Bankomat-Abhebungen oder Überweisungen dazu führt, einen Einkauf zu unterlassen oder ein Geschäft nicht zu tätigen.
profil: Bankomat-Abhebungen sind gratis.
Stadler: Sind sie das? Als Investkredit haben wir kein Privatkundengeschäft. Ich war der Meinung, da zahlt man.
profil: In Österreich zahlt man dafür nicht.
Stadler: Na gut. Aber eine solche marginale Steuer auf Finanztransaktionen würde jedenfalls zu keiner Kapitalflucht führen. Das wäre ein Mitläufer bei Buchungsvorgängen und hätte weder den Effekt noch den Zweck, Sand ins Getriebe zu streuen.
profil: Dann hätte sie aber auch keine lenkungspolitischen Effekte.
Stadler: Nein. Überhaupt nicht.
profil: Sie wäre bloß eine Einnahmequelle.
Stadler: Richtig. Es würde eine andere Besteuerungsquelle herangezogen als die menschliche Arbeit. So viele Besteuerungsquellen haben wir ja nicht. Wir können Rohstoffe besteuern, aber die werden ohnehin von selbst teurer. Wir haben die menschliche Arbeit, die schon sehr stark besteuert wird. Und wir haben uns entschieden, die Besteuerung von Vermögen gering zu halten oder überhaupt abzuschaffen. Aber wir haben Kapitaltransaktionen, die derzeit nicht besteuert werden.
profil: Dass man sich innerhalb der EU in einigermaßen absehbarer Zeit auf die Einführung einer solchen Steuer einigen kann, ist aber doch eher unwahrscheinlich.
Stadler: Wenn Sie vor 20 Jahren jemandem gesagt hätten, wir sollten eigentlich eine europäische Einheitswährung schaffen, dann hätte der vermutlich gesagt: „Wie bitte, sind Sie wahnsinnig?“ Und mittlerweile ist das Realität und ein riesiger Erfolg.
profil: Mit den Einnahmen einer solchen Tobin Tax sollte dann die Entwicklungshilfe für die Dritte Welt aufgestockt werden?
Stadler: Das sollte keinen ideologischen Hintergrund haben, das kann, muss aber nicht für die Dritte Welt sein. Die Einnahmen könnten auch ins EU-Budget fließen.
profil: Viele Globalisierungskritiker wollen mit einer solchen Steuer aber die Spekulation an den Finanzmärkten bremsen.
Stadler: Das halte ich auch für ein illusionäres Ziel. Aber es könnte eine mögliche Quelle von Steuereinkünften für die Europäische Union sein.

Interview: Stefan Janny