Mangelwirtschaft in der Kulturpolitik

Mangelwirtschaft in der Kulturpolitik: Claudia Schmied geht in ihre zweite Spielzeit

Claudia Schmied geht in ihre zweite Spielzeit

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In der Kulturnation ist etwas faul. Wenn sich der Grad der Verzweiflung der hiesigen Kunstszene an der Absurdität ihrer Aktionen bemisst, ist die Depression zuletzt sprunghaft gestiegen. Kunst braucht Öffentlichkeit. Dafür ist an sich das zuständige Ministerium verantwortlich. An dessen Kampfbereitschaft scheint aber inzwischen niemand mehr ernsthaft zu glauben. Selbst konservative Institutionen sehen sich dieser Tage daher zu unerhörten Maßnahmen gezwungen: Am 9. November marschierte Ariel Muzicant, Wiener Immobilienmagnat und Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, an der Spitze eines kleinen Demonstrantenzugs auf das Wiener Leopold Museum zu und begann, den Eingang des Ausstellungshauses mit gelben Spruchbändern abzusperren, die mit der Aufschrift „Tatort Raubkunst“ markiert waren. Da sich das Ausstellungshaus seit Jahren weigere, NS-Raubgut wie Egon Schieles „Häuser am Meer“ an die rechtmäßigen Erben zu restituieren, und da sich auch das zuständige Kunstministerium nur zögerlich dafür einsetze, sei der Kultusgemeinde nichts anderes geblieben, als auf diese anarchistische Weise auf sich aufmerksam zu machen, erklärte Muzicant die Aktion.

Kollektiv griffen am vorvergangenen Wochenende auch prominente Wiener Museumsdirektoren zu aktionistischen Methoden: In der Tageszeitung „Die Presse“ schalteten Agnes Husslein vom Belvedere, Edelbert Köb vom Museum Moderner Kunst (Mumok), Peter Noever vom Museum für angewandte Kunst (MAK) und Klaus Albrecht Schröder von der Albertina in seltener Eintracht ein gemeinsames Inserat, in dem sie nicht nur „mehr politisches Gewicht für die Gegenwartskunst“ forderten, sondern sehr konkret auch „die längst fällige Indexanpassung“ ihrer Subventionen verlangten. „Es wurden in den vergangenen Jahren keinerlei Anstalten unternommen, unsere Budgets aktuell zu halten“, erklärt Noever. „Für zeitgenössische Kunst gibt es seitens der Politik so gut wie kein Interesse, nur Ignoranz.“ Edelbert Köb sekundiert: „Es ist doch grotesk, dass sich Österreich stets als Kulturnation präsentiert, aber die Kultur nun bei den Regierungsverhandlungen und im Wahlkampf praktisch kein Thema war.“

Die gute Laune lässt sich SP-Kulturministerin Claudia Schmied von solchen Anwürfen indes nicht verderben. Der neue Aktionismus sei auch nur ein (legitimes) Mittel, „um Aufmerksamkeit zu erringen“. Die Kritik an ihrer Museumspolitik nehme sie daher „nicht an“, stellt Schmied im profil-Gespräch freundlich, aber selbstsicher fest (siehe Interview Seite 116): „Gerade im Museumsbereich haben wir in den letzten 20 Monaten einen intensiven Dialog mit den Direktionen der einzelnen Häuser geführt, um museumspolitische Leitlinien zu klären.“ So werde in Österreichs Ausstellungslandschaft „alles neu belebt und neu aufgesetzt“.

Tatsächlich ist die Person Claudia Schmied in der Kunstszene keineswegs unbeliebt. Als Kritik an der Ministerin selbst, der immerhin guter Willen attestiert wird, will kaum einer der heimischen Kunst-Player seine Vorwürfe verstanden wissen. Im Gegenteil: Die einstige Bankerin hat ihren Sympathiebonus in den ersten beiden Amtsjahren trotz kaum sichtbarer Ergebnisse durchaus gehalten. „Ich bin froh, dass sie im Amt bestätigt wurde“, betont etwa Helga Rabl-Stadler von den Salzburger Festspielen. „Sie hat große Leidenschaft für die Kunst und genießt offenbar den für die politische Durchsetzungskraft so wichtigen Respekt in ihrer Partei. Ich bin optimistisch für ihre zweite Amtszeit.“ Und Silvia Stantejsky, Geschäftsführerin des Burgtheaters, meint: „Die Schwächen Schmieds waren die Schwächen der ganzen Regierung. Dass viel geredet und wenig gehandelt wurde, kann man ihr nicht zum Vorwurf machen. Ihre Stärke liegt darin, dass sie sich für ihre Arbeit engagiert.“

Frohbotschaften. Seit Claudia Schmied am 11. Jänner 2007 im Maria-Theresien-Zimmer der Hofburg als neue Ministerin für Unterricht, Kunst und Kultur angelobt wurde, scheint sie auf Frohbotschaften abonniert zu sein. Im Juli 2007 gab sie bekannt, das Budget der Bundestheater um fünf Millionen Euro aufstocken zu können; im darauffolgenden September schraubte sie die Basisabgeltung der Bundesmuseen um sechs Millionen Euro nach oben. Doch seltsam: Statt blumiger Dankesschreiben erhielt Schmied für ihren Einsatz aus den Direktionen vor allem verärgerte Repliken. Die Museumsdirektoren könnten ein­ander „nur Beileid wünschen“, ätzte 2007 etwa Wilfried Seipel, der scheidende Chef des Kunsthistorischen Museums, nachdem sein Budget gerade um 1,8 Millionen Euro angehoben worden war.

Wenn man den Intendanten und Direktoren Österreichs führender Kulturinstitutionen Glauben schenken will, wurden ihre Kulturbetriebe in den vergangenen zehn Jahren an den Rand des Zusammenbruchs gespart. „Es war eine karge Zeit für den Kulturbereich, viele Jahre lang“, erklärt Schmied – und verkündet jenen Paradigmenwechsel, an den derzeit niemand so recht glauben will: „Wenn man das neue Regierungsprogramm mit dem vorhergehenden vergleicht, das ich fliegend übernommen habe, ohne es selbst mitverhandelt zu haben, so war damals viel von Evaluierung und Studien die Rede – und überall dort, wo es um Finanzierung ging, stand: ,nach Maßgabe der verfügbaren Mittel‘. Das ist nun anders. Von der Zielrichtung her ist unser Regierungsprogramm in viel höherem Maße handlungsorientiert.“

Ob guter Wille allein da schon reicht, steht angesichts der gegenwärtigen Kulturmisere allerdings zu bezweifeln: Das Museum für angewandte Kunst kann keinerlei neue Exponate mehr ankaufen, die Salzburger Festspiele können sich Künstler wie die Geigerin Anne-Sophie Mutter nicht mehr leisten, und im Kunsthistorischen Museum (KHM) verstaubt tonnenweise Kulturgut in Depots, weil weiterhin nicht genügend Geld vorhanden ist, um die Kunstkammer wie geplant zu sanieren und wieder aufzusperren. Als „viel zu vage“ bezeichnete die von Schmied designierte Direktorin des KHM Sabine Haag enttäuscht das Regierungskulturabkommen.

„So wie im Augenblick der Staat den Finanzdienstleistungssektor stützt, so ist es notwendig, den österreichischen Bundesmuseen die wegbrechenden Sponsorenleistungen zu kompensieren“, forderte die Direktorenkonferenz der Bundesmuseen Anfang November in einer Presseaussendung. Helga Rabl-Stadler, die Präsidentin der Salzburger Festspiele, verweist ebenfalls auf die Wirtschaftskraft der Kultur: „Kulturbetriebe sind für die Konjunktur genauso wichtig wie jeder Industriebetrieb. Die Festspiele zählen zu den größten Arbeitgebern der Region. Die Albertina füllt mit ihrer Van-Gogh-Ausstellung die Betten der Hotels.“

Auch Schmieds aktueller Verhandlungserfolg, der laut Regierungsübereinkommen eine Erhöhung des Kulturbudgets um 20 Millionen Euro vorsieht, sorgte weniger für Euphorie als für den Start neuer ­erbitterter Verteilungskämpfe. Zwischen 2001 und 2008 sei das Budget für Kunst und Kultur um nicht einmal 27 Millionen Euro erhöht worden, stellt Schmied klar. Nun gelinge es in einem Schritt, die Förderungen um weitere 20 Millionen aufzustocken. Was die Ministerin rundum zufrieden stimmt, wird in der Branche aber höchst pessimistisch kommentiert. Die politisch Verantwortlichen behandelten die zigtausend Beschäftigten im Kulturbereich mit einer „Ignoranz sondergleichen“, polterte vergangene Woche etwa Günter Rhomberg, der sonst so zurückhaltende Präsident der Bregenzer Festspiele. „Diese Politik ist mir völlig unverständlich; ich sehe für Österreichs Kunst und Kultur sehr dunkle Wolken am Horizont.“
Die Begehrlichkeiten der Kulturtanker übersteigen Schmieds Möglichkeiten de facto bei Weitem. Dem Burgtheater, dem Mumok und dem MAK stehen ab 2009 Defizite ins Haus, und auch die Salzburger Festspiele rechnen damit, 2010 trotz erhöhter Subvention nicht mehr positiv bilanzieren zu können. Insgesamt belaufen sich schon die Wünsche der Museen und Theaterhäuser auf 40 Millionen Euro. Und Schmied müsste, um ihre Versprechungen zu erfüllen, allein für die Filmförderung fast 40 Prozent ihrer neu erkämpften Subventionsmillionen aufwenden.

„Angespannt, aber hoffnungsvoll“. „Ich weiß, dass jetzt schon kritisiert wird, was eigentlich als positives Signal zu werten ist“, kommentiert Schmied die schlechte Laune unter Österreichs Kulturmanagern. „Ich erinnere nur daran, dass etwa im Jahr 2002, also in wirtschaftlich besseren Zeiten, das Kunst- und Kulturbudget gekürzt worden ist.“ Schützenhilfe erhält die bedrängte Ministerin immerhin von der Burgtheater-Geschäftsführerin Silvia Stantejsky. „Die Lage ist angespannt, aber hoffnungsvoll“, erklärt sie gegenüber profil. „Man hat das Gefühl, dass unsere Probleme endlich ernst genommen werden.“

Solche Einschätzungen sind indes nicht unbedingt mehrheitsfähig. Die Politikverdrossenheit ist zum Grundgefühl unter Österreichs Künstlern und Intellektuellen geworden, mit der in öffentlichen Debatten kaum je präsenten Ministerin scheinen auch sie verstummt zu sein. Mit Ausnahme von Essayisten wie Robert Menasse oder Konrad Paul Liessmann hat sich auch die Schriftstellerszene aus dem öffentlichen Diskurs verabschiedet. „Nach dem politischen Wechsel von Schwarz-Blau zu Rot-Schwarz waren die Erwartungen zu hoch gesteckt“, analysiert der Schriftsteller Gerhard Roth. „Die vielen kleinmütigen Entscheidungen der SP-VP-Koalition, ihre ständigen Vor- und Rückschritte haben einem bald die Lust genommen, sich in irgendeiner Form zu engagieren. Das Mittelmaß ist in den Vordergrund gerückt. Viele Kunstschaffende haben zehn Jahre lang gegen Haider, gegen die FPÖ und später das BZÖ argumentiert. Herausgekommen ist, um es satirisch zu formulieren, das Haider-Begräbnis, das einen Kärntner Nationalhelden, vielleicht sogar einen bürgerlichen Helden geschaffen hat.“ Roths Resümee: Er kenne kein anderes Land, das ein so starkes Misstrauen gegen seine Künstler hege.

Die Auswirkungen der Ära Morak würden erst allmählich virulent, meint die Wiener Kultursprecherin der Grünen, Marie Ringler: „Unter Franz Moraks Führung wurde die Gesprächskultur nachhaltig zerstört. Viele Künstler legen inzwischen unverhohlenen Pessimismus an den Tag. Die großen Kulturinstitutionen haben zudem mächtige Fürsprecher und betreiben Lobbying. Es steht zu befürchten, dass Ministerin Schmied nur diese hört – und kleineren Kulturinitiativen keine Aufmerksamkeit schenken wird.“ Die Amtsauffassung von Claudia Schmied sei Ausdruck der Zeit, bemerkt Rabenhof-Intendant Thomas Gratzer: „Letztlich wendet sie in der Kultur die Gesetze des Bankwesens an: Fakten, Fakten, Fakten.“ Die Sehnsucht nach kulturpolitisch bewegteren Zeiten ist explizit. „Unter Rudolf Scholten wurden noch öffentliche Kämpfe ausgefochten“, so Romanautor Thomas Glavinic. „Von Claudia Schmied habe ich nicht viel gehört, als jüngst die Kabarettisten Stermann und Grissemann unter BZÖ-Beschuss gerieten – und etwas, das als Mordanschlag auf ihren Manager zu werten ist, vom Kärntner Landeshauptmann Gerhard Dörfler als Reifenwechselmalheur verwitzelt wurde. Ein Scholten hätte da wohl anders reagiert.“
Den Kampf der Kultur um eine nennenswerte Rolle im realpolitischen Geschehen scheint Schmied längst verloren zu haben; ihr Weg ist offenbar ein anderer: der Rückzug nämlich in die Feinheiten der Budgetverteilung. In der Kunstpolitik stellt sich damit aber eine existenzielle Frage: Kann Claudia Schmied Österreichs Kulturlandschaft überhaupt noch aktiv gestalten – oder nur deren Mangelwirtschaft möglichst fair verwalten?

Von Stefan Grissemann, Wolfgang Paterno und Peter Schneeberger