„Ich habe von der Kirche viel gelernt“

Maria Happel: „Ich habe von der Kirche viel gelernt“

Interview. Schauspielerin Maria Happel über Kritiker und den Teufel

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Interview: Karin Cerny

profil: Eine unangenehme Frage zu Beginn: Haben Sie die Kritiken zu „Lumapazivagabundus“ gelesen?
Happel: Nicht wirklich, aber so wie Sie die Frage stellen, mache ich das wohl auch besser nicht.

profil: Bekommt man nicht ohnehin mit, wie eine Inszenierung aufgenommen wurde?
Happel: Natürlich, aber Kritiken werden oft überschätzt. Jeder Abend bringt doch eine andere, sehr direkte Reaktion der Zuschauer. Leider geht der Spagat zwischen Feuilleton und Publikum immer weiter auseinander.

profil: Wie erklären Sie sich das?
Happel: Es gibt noch Kritiker, die aus ­Liebe zum Theater und den Menschen schreiben. Vielen geht es aber nur mehr darum, Noten zu verteilen. Die vergessen, dass man als Mensch angreifbar ist. Was über einen gesagt wird, geht doch immer an die Substanz. Über mich hat ein Kritiker einmal geschrieben, ich sei ein „kleiner dicker Mops“, obwohl ich mich gerade für jene Rolle total heruntergehungert hatte. Glauben Sie, so etwas liest man gerne?

profil: Ist Kritik, die gar keine Meinung hat, nicht noch viel schlimmer?
Happel: Im Grunde bin ich für Kritik ja sehr offen. Ich mag nur nicht, wenn jemand behauptet, er wisse, wie es geht. Ich mag nicht, wenn Kritik unter die Gürtellinie zielt. Meine härteste Kritikerin war meine Mutter, der hat fast nichts gefallen. Auch mein Mann, selbst Schauspieler, ist sehr streng.

profil: In „Lumpazivagabundus“ legen Sie die Glücksfee Fortuna als Persiflage auf die deutsche Bundeskanzlerin an. Wie ist diese Idee entstanden?
Happel: Das ist doch nur eine zufällige Ähnlichkeit! Im Ernst: Als wir die Feenwelt einrichteten, entwickelte sich die Szene immer mehr in Richtung einer Parlamentsversammlung. Plötzlich war die EU da. Und wir dachten: Wie passend – eine Angela Merkel als Glücksfee, die in Europa das Geld verteilt! Ich habe sofort angebissen, das ist doch tolles Futter für die Figur.

profil: Die echte Merkel hat sich aber noch nicht bei Ihnen gemeldet?
Happel: Die hat das sicher gehört, es waren doch Fotos in allen großen Zeitungen. Vielleicht meldet sie sich ja noch, wenn sie Stress hat. Ich springe gern ein! Obwohl ich sagen muss: Es gibt Kollegen, die können sie noch besser nachmachen. Ich habe diese Rolle aus zweiter Hand studiert. Mein Vorbild war Nicholas Ofczarek als Kanzlerin in „Wir Staatskünstler“. Er hat mir das Video geliehen.

profil: Es gibt ohnehin nicht mehr viele Politiker, die als Karikatur etwas hergeben.
Happel: Leider nicht. Es gibt da keine Eigenheiten mehr. Alles wird konform. Egal, wo man hinkommt, überall die gleichen Geschäfte – und so ist das auch mit den Menschen geworden. Es gibt immer mehr EU-Schauspieler und EU-Politiker, alles Manager. Die erfüllen ein Klischee, wie man zu sein hat: möglichst glatt und unauffällig. Aber die Persönlichkeit schwächelt, wenn sie überhaupt noch vorhanden ist.

profil: Wie sieht der EU-Schauspieler aus?
Happel: Anpassungsfähig. Wo sind die Hans Mosers? Die Theo Lingens? Oder die Adele Sandrocks? Schauspieler, die aufgrund ihrer Persönlichkeit oder ihrer Haltung berühmt sind. Alles weicht sich auf, seit jeder ein Star sein kann, zumindest für 15 Minuten.

profil: Sie kamen mit Claus Peymann ans Burgtheater. Wurden Sie damals oft als Piefke beschimpft?
Happel: Ich wurde relativ schnell herzlich aufgenommen. Ich habe natürlich einen sehr günstigen Nachnamen in einer Stadt, in der sogar ein Stadion so heißt wie ich. Eigentlich wurde man immer nur in Verbindung mit Peymann angefeindet. Ich musste einmal sogar aus dem Taxi aussteigen, weil der Fahrer meinte, er könne es nicht unterstützen, dass das Burgtheater in deutscher Hand sei. Solche Gedanken sind in einem vereinten Europa zum Glück längst obsolet.

profil: Peymann sagte einmal zu Ihnen, er möge Schauspieler, die keine Angst hätten. Waren Sie wirklich so mutig? Peymann gilt als Choleriker.
Happel: Wenn man ihn studiert, ist er höchst amüsant. Peymann ist oft unfreiwillig komisch. Wenn man das versteht, hat man auch keine Angst mehr vor ihm, selbst wenn er einen anschreit. Starke, schwierige Regisseure bilden ja auch eine Gemeinschaft im Ensemble. Natürlich haben wir vorher und nachher über ihn gelacht. Es gibt Schauspieler, die haben nie mit Peymann gearbeitet und können ihn trotzdem perfekt imitieren. Ich finde, wenn man persifliert wird, hat man es geschafft.

profil: Peymann ist ein Anekdotenfundus?
Happel: Absolut. Eine meiner liebsten Aussagen von ihm ist: „Ich konnte siegen wie kein Zweiter.“ Ein großartiger Satz! Und er sagt so viel über ihn. Wenn man Angst vor Peymann hatte, war es schon schwierig. Er ist ja wie ein Trüffelschwein, der so etwas sofort spürt und selbst nicht damit umgehen kann. Thomas Bernhard war übrigens auch ein Anekdotenschatz. Ich habe ihn zwar nur aus der zweiten Reihe miterlebt, nie im direkten Kontakt, aber man hatte immer das Gefühl, er notierte sich alles in seinem Kopf.

profil: Wird Burgchef Matthias Hartmann denn auch nachgemacht?
Happel: Ja, wird er. Aber dazu sage ich jetzt lieber nichts. Das macht man ja schon in der Schule: den Lehrer imitieren. Jeder, der vorne steht, bewegt sich auf unsicherem Boden.

profil: Ist es wichtig für Sie, dass auf Proben eine harmonische Stimmung herrscht?
Happel: Ich habe es gern, wenn die Arbeit in Harmonie stattfindet, was nicht heißt, dass man um Dinge nicht ringt und streitet. Das gehört doch zu unserem Beruf. Aber ich mag es nicht, wenn Menschen am Theater vorsätzlich gequält werden. Das habe ich früher einige Male erlebt, und es tut mir heute noch leid, dass ich nicht aufgestanden und für meine Kollegen in die Bresche gesprungen bin.

profil: Interessieren Sie sich als Deutsche denn auch für österreichische Politik?
Happel: Ich lebe ja in Wien, meine beiden Töchter wachsen hier auf, natürlich beschäftigt mich die hiesige Politik. Ich hatte mir erhofft, dass meine Kinder hier anders aufwachsen als in einem hoch verschuldeten Berlin.

profil: Sie finden Berlin arm, aber nicht sonderlich sexy?
Happel: Sexy finde ich meinen Mann, der ist Berliner. Ich spiele ja auch noch in Berlin, aber leben muss ich dort nicht. Ich empfinde die Stadt im Moment als sehr rau. Ich habe das Gefühl, der Charme ist Berlin ein wenig abhanden gekommen, aber das kann sich ja wieder ändern. Jeder will da Erster sein, alle laufen, es gibt aber kein Ziel.

profil: In Wien gibt es weniger Konkurrenzdenken?
Happel: Man hat hier seinen Platz, man muss nicht rennen. Das sieht man auch im Theater: Es gibt nur ein Burgtheater, das muss sich nicht dauernd selbst hinterfragen. Man hat nicht 27 Theater, die alle den Anspruch stellen, die beste Bühne der Stadt zu sein.

profil: Wenn Sie hier wählen könnten, wem würden Sie in vier Wochen Ihre Stimme geben?
Happel: Wissen Sie das denn? Es fehlen doch auch in der Politik die Persönlichkeiten. Man sieht bei einem Politiker: Der geht ins Solarium. Aber ist das schon ein Wahlprogramm? Die gesamte Weltpolitik fällt doch von einer Ohnmacht in die nächste. Sicher hofft man, dass es einen gibt, der alles anders machen könnte, aber letztlich ist der Handlungsspielraum von Politik doch sehr gering. Man kann für gute Stimmung sorgen. Aber wie viel kann man tatsächlich verändern?

profil: Als Kind besuchten Sie regelmäßig die Kirche, haben bei Messen die Orgel gespielt. Sind Sie noch gläubig?
Happel: Ja, bin ich. Natürlich war ich auch oft erschüttert in meinem Glauben. Die Missbrauchsfälle in der Kirche haben mich tief getroffen, trotzdem bin ich nie ausgetreten. Ich habe in der Kirche oft Trost gefunden. Und ich habe mir vorgenommen, das nie zu vergessen. Außerdem habe ich in der Kirche viel gelernt: wie man einen Monolog hält, wie man einen Auftritt anlegt. Es gibt viele verwandte Elemente zwischen der katholischen Kirche und dem Theater.

profil: Sie erzählen in Ihrem biografischen Erinnerungsbuch „Das Schnitzel wird umbesetzt“, Ihr Religionslehrer habe in der Schule die Stimme des Teufels auf Tonband vorgespielt. Wie klang die denn?
Happel: Sehr unheimlich. Ich wusste lange nicht, ob ich über dieses Thema überhaupt schreiben wollte. Schließlich gab es diesen Fall von Exorzismus, bei dem ein Mädchen gestorben war, in einem Nachbardorf. Hans-Christian Schmid hat den Fall in seinem Film „Requiem“ behandelt. Meine beiden Religionslehrer hatten diesen Exorzismus durchgeführt. Man kann sich das gar nicht vorstellen, aber bei uns im Dorf wird dieses Thema bis heute verdrängt.

profil: Hat Sie diese Geschichte sehr beschäftigt?
Happel: Im Grunde bis heute. Ich konnte lange nicht im Dunkeln einschlafen. Ich empfinde noch immer Beklemmung, wenn ich daran denke. Wahrscheinlich traue ich mich deshalb auch nicht, aus der Kirche auszutreten. Das sind tiefe Urängste, die der Exorzismus bei mir ausgelöst hat. Ich habe dieses Mädchen ja gekannt, wir waren gemeinsam in der Messe.

profil: Waren Sie selbst denn auch anfällig für religiösen Fanatismus?
Happel: Als der Pfarrer mir sagte, das Mädchen sei gestorben und erlöst, aber der Teufel habe ihm anvertraut, er suche ein neues Opfer, war mir mit 13 Jahren völlig klar, dass ich dieses Opfer sein würde. Wer denn sonst? Wer spielte Orgel? Wer war so oft in der Kirche? Das war extrem schlimm für mich. Ich habe vor dem Schlafengehen unter dem Bett nachgeschaut, ob der Teufel auf mich lauerte.

profil: Haben Sie mit Ihren Eltern darüber gesprochen?
Happel: Ja, aber die glaubten auch an den Teufel. Es blieb immer diese Restangst: Was, wenn alles stimmte? Wenn es das Böse doch gab?

profil: Dafür sind Sie aber ein ziemlich positiver und optimistischer Mensch geworden.
Happel: Ich bin einfach so veranlagt. Anscheinend liegt das in meiner Familie. Meine Töchter finden auch in allem etwas Gutes. Wenn sie in der Schule eine Fünf schreiben, sagen sie: „Toll, ich kann mich noch verbessern.“

Zur Person
Maria Happel, 50, begann ihre Schauspielkarriere in ­Bremen, wo sie mit ihrer Verkörperung der französischen ­Chan­teuse Edith Piaf Erfolge feierte. Claus Peymann holte sie 1991 ans Burgtheater, sie folgte ihm 2000 ans Berliner Ensemble. Seit der ­Saison 2002/03 ist sie wieder fix am Burgtheater, führte aber auch bei den Festspielen Reichenau selbst Regie. Sie ist mit dem ­Schauspieler Dirk Nocker ver­heiratet, die beiden haben zwei Töchter.

Foto: Franz Neumayr für profil

Infobox
Liebe und andere ­Katastrophen
Früher Saisonstart: Eine Vorschau auf die ersten Premieren im Burgtheater.

Die „Süddeutsche Zeitung“ diagnostizierte der Inszenierung „abgeschmackte Haudrauf-Art“ und „grobhumorige Arg­losigkeit“, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ sprach abfällig von „Comedy-Remmidemmi“. Matthias Hartmanns fidele, aber nicht sonderlich tiefgründige Version von Nestroys Zauberposse „Lumpazivagabundus“ hatte bereits bei den Salzburger Festspielen Premiere. Ab 6. September ist sie nun am Burgtheater zu sehen. Einen Tag später hat ein eher selten gespieltes Stück im Akademietheater Premiere: Ibsens symbolschwangeres Spätwerk „Die Frau vom Meer“ erzählt von der Tochter eines Leuchtturmwärters, die in ihrer Fantasiewelt lebt und auf einen geheimnisvollen Seemann wartet. Die Hauptrolle spielt Christiane von Poelnitz, Regie führt die junge Regisseurin Anna Bergmann, die von der „Süddeutschen“ 2011 als „das Fräuleinwunder des deutschen Theaterbetriebs“ ­tituliert wurde. Ab 25. September ist eine neue Arbeit des deutschen Diskursregisseurs René Pollesch im Akademietheater zu sehen: In „Cavalcade or Being a Holy Motor“ geht es um das Paradoxon von großen Gefühlen im Theater, die doch stets nur gespielt sind. Pollesch bringt Birgit Minichmayr, die zuletzt vermehrt am Münchner Residenztheater gespielt hat, wieder nach Wien. Und ab 28. September inter­pretiert Andrea Breth im Burgtheater den Shakespeare-Klassiker „Hamlet“ mit ­August Diehl in der Titelrolle.

www.burgtheater.at