„Epizentrum des Obskurantismus“

Mark Lynas: „Österreich ist das Epizentrum des Obskurantismus“

Interview. Der Umweltaktivist Mark Lynas über Genfood und Österreich als Hafen des Obskurantismus

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Interview Anna Giulia Fink und Gunther Müller

profil: Vor wenigen Jahren wurden Sie noch als Guru der grünen Bewegung gefeiert, traten radikal gegen genmanipulierte Nahrungsmittel auf. Heute sind Sie ein starker Befürworter von Genfood. Was ist passiert?
Lynas: 2008 wurde mir bewusst: Wir Genfood-Gegner wiederholen gebetsmühlenartig unsere Wünsche und Ängste, stemmen uns aber gegen jede Ansicht von ­außen. Damals begann ich mit Wissenschaftern zu sprechen. Nach und nach war ich gezwungen, meine Ideen zu überdenken und mich der Realität zu stellen. Und diese heißt: Gentechnik ist etwas Gutes, es ist ein taugliches Mittel im Kampf gegen den Hunger.

profil: Mit Verlaub: Es wirkt nicht besonders glaubwürdig, wenn jemand binnen weniger Monate zuerst das eine Extrem und dann plötzlich exakt das Gegenteil vertritt.
Lynas: Dessen bin ich mir bewusst. Dieser Prozess ist vor allem persönlich ein schmerzhafter. Wenn einem klar wird, dass man sich fundamental geirrt hat, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man negiert die Fakten weiterhin und schweigt. Oder man erleichtert sein schlechtes Gewissen, stellt sich der Öffentlichkeit und gibt zu, einen Fehler begangen zu haben. Ich musste das vor allem deshalb tun, weil meine Genfood-Kampagne öffentlich und obendrein sehr erfolgreich war. Ich habe damit sehr viel Schaden angerichtet.

profil: 2008 erklärten Sie in einem Kommentar der britischen Zeitung „Guardian“ noch glaubhaft, dass Genfood einzig den multinationalen Konzernen nütze. Dann erklären Sie uns doch bitte, warum das überhaupt nicht stimmt.
Lynas: Meine Kommentare von damals waren wissenschaftlich völlig unfundiert. Es ist ungefähr so, wie wenn von Öko-Fanatikern behauptet wird, homöopathische Mittel könnten die Schulmedizin ersetzen oder der Verzicht auf Kinderimpfungen verhindere Krankheiten. Das hat nichts mit Wissenschaft zu tun. Fast alles, was über die Gefahren, über Pestizide, Umweltverschmutzung und die angeblich bösen multinationalen Konzerne gesagt wird, ist reine Propaganda. Es wird noch lange dauern, bis das die breite Masse erkennt.

profil: Noch einmal: Warum soll genetisch manipuliertes Saatgut eingesetzt werden?
Lynas: Weil es ein enormes Potenzial hat, nachhaltige Nahrungsmittelproduktion zu garantieren und den Einsatz von Chemie in der Landwirtschaft und damit die Umweltverschmutzung zu reduzieren. Ein ganz gutes Beispiel ist die Kartoffel. Nachdem der öffentliche Druck zu groß wurde, stellte McDonald’s vor ein paar Jahren die Produktion von genetisch manipulierten Kartoffeln ein. Heute werden jedoch wieder viele Pestizide eingesetzt, was extrem umwelt- und gesundheitsschädlich ist.

profil: Wenn das bekannt ist, warum sind dann alle großen Umweltorganisationen und grünen Parteien nach wie vor strikt gegen Genfood?
Lynas: Die Umweltaktivisten und grünen Parteien sperren sich beim Thema Genfood gegen wissenschaftliche Studien – wie auf der anderen Seite die Rechte Fakten über den Klimawandel negiert. Da ist einfach zu viel Ideologie im Spiel. Achten Sie einmal darauf: Die Grünen berufen sich nur beim Umweltschutz gern auf Studien, niemals aber bei der Gennahrung. In dieser Hinsicht ist ihnen ganz egal, wie viele seriöse Wissenschafter und Institutionen versichern, dass Genfood genauso gesund ist wie „normales“ Essen. Ich behaupte auch: Viele von diesen Aktivisten kennen die Wahrheit, trauen sich aber nicht, das öffentlich zuzugeben.

profil: Man könnte den Eindruck gewinnen, dass Sie von Genfood-Konzernen wie etwa Monsanto für Ihre Aussagen bezahlt werden.
Lynas: Diesen Vorwurf kenne ich nur allzu gut, und natürlich ist er lächerlich. Ich werde von niemandem für meine Aussagen bezahlt, mir wurde auch nie Geld angeboten. Das ist doch nur eine plumpe Ausrede, um sich nicht mit den Fakten auseinandersetzen zu müssen.

profil: Wie stehen Sie denn zu Monsanto, diesem Hassobjekt für Globalisierungsgegner, Umweltschützer und grüne Politiker?
Lynas: Das sind inquisitorische Fragen, die man nicht pauschal beantworten kann. Vieles von dem, was Monsanto produziert, ist sehr nützlich: etwa Baumwolle, die resistent gegen Insekten ist, oder Genfood, das den Einsatz von Pestiziden – etwa in Indien – massiv verringert hat. Natürlich gibt es immer Probleme, wenn Multis in ärmeren Ländern aktiv sind. Aber die Wahrheit ist viel komplexer, als sie von der grünen Lobby dargestellt wird.

profil: Der wissenschaftliche Beweis, dass gentechnisch veränderte Nahrungsmittel nicht schädlich sind, wurde bisher nicht erbracht.
Lynas: Bislang ist noch kein Fall bekannt, der zeigt, dass gentechnisch manipulierte Nahrung jemandem geschadet hätte. Man muss das Risiko abwägen: Auf der einen Seite gibt es die angeblichen Risiken von Gennahrung, auf der anderen das erwiesene Wachstum der Weltbevölkerung, die bei gleichbleibendem Flächenangebot ernährt werden muss. Der Widerstand gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel ist ein Luxus der Reichen, also des wohlgenährten Westens. Man kann es sich nur leisten, an der Irrationalität und dem Aberglauben festzuhalten, wenn man an keinem Tag seines Lebens Hunger leiden musste.

profil: In Österreich könnten Sie mit diesen Thesen zum erklärten Staatsfeind werden. Sie sind für Gennahrungsmittel und auch für den Einsatz von Atomkraft. Das passt so gar nicht zum Image eines Umweltaktivisten.
Lynas: Tatsächlich aber ist Nuklearenergie die umweltschonendste Energiegewinnung unserer Zeit. Der Verzicht auf Kernkraft bedeutet einen größeren Einsatz des fossilen Energieträgers Kohle. Und das wiederum bringt mehr Luftschadstoffe und damit automatisch eine Temperaturerhöhung mit sich. Österreich hat das Glück, vorwiegend von Wasserkraft abhängig zu sein. Dennoch brachte die Abkehr der Österreicher von Kernkraft mit sich, dass Ihr Land in den vergangenen 30 Jahren Hunderte Millionen Tonnen CO2 mehr ausgestoßen hat als mit Atomkraft. In Wahrheit sind die Grünen, die diese Kampagne begonnen haben und sie heute fortsetzen, eine der schädlichsten Kräfte im Kampf gegen den Klimawandel.

profil: Die Angst vor Atomkraft ist doch absolut legitim, vor allem nach dem Unfall von Fukushima.
Lynas: Nein, das ist sie nicht. Ich war selbst vor Ort, habe mit Flüchtlingen gesprochen und die radioaktive Strahlung gemessen. In Wahrheit ist noch niemand aufgrund der radioaktiven Strahlung gestorben, und vermutlich wird auch niemand daran sterben. Bedenken Sie nur: 53 Menschen sind in Deutschland im Jahr 2011 an Sojasprossen gestorben und Tausende erkrankt. Es gibt sehr viele organische, „natürliche“ Wege, krank zu werden oder vorzeitig zu sterben. Dass moderne Techniken mehr Risiko bedeuten, bleibt eine irrationale, weit verbreitete Annahme.

profil: Die Österreicher sind jedenfalls stolz darauf, ein nuklear- und gentechnikfreies Land zu sein.
Lynas: Ich muss Ihnen sagen: Österreich ist heute das Epizentrum des Obskurantismus, es ist die Avantgarde des antiwissenschaftlichen Umweltschutzes und Umweltbewusstseins. Man hält sich selbst für sehr grün und schadet gleichzeitig enorm der Umwelt.

profil: Wann könnten die alternativen, grünen Energien so weit sein, dass man Atomkraft durch sie ersetzen kann?
Lynas: Das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen. Ich denke andersherum und sage: Im Moment brauchen wir weniger alternative Energien, um von Kernkraft abzukommen, sondern die Kernkraft, um von Kohle abzukommen. Kohle ist mittlerweile der Hauptverursacher des Klimawandels, darüber hinaus sterben jährlich Millionen Menschen an Vergiftungen durch Luftschadstoffe. Und auch hier sind die Grünen wieder der Kern des Problems: Es ist schockierend und eine Schande, dass diese Partei sich auf den Kampf gegen die Nuklearindustrie konzentriert, die Auswirkungen des Einsatzes von Kohle negiert und damit praktisch einen Pakt mit der Kohle-Industrie eingeht.

Zur Person
Lange war Mark Lynas ein international gefeierter Umweltaktivist: Der 39-jährige Brite kämpfte an vorderster Front gegen die Klimaerwärmung, multinationale Konzerne in Schwellenländern und den Einsatz von gentechnisch veränderten Lebensmitteln. Ein überzeugter Umweltaktivist ist Lynas bis heute – allerdings einer, der viele seiner Ansichten radikal geändert hat und dafür von Umweltorganisationen, Globalisierungsgegnern und grünen Parteien gleichermaßen verachtet wird. Der Buchautor und Kolumnist – er schreibt regelmäßig für den britischen „Guardian“ und den „Observer“ – ist nicht nur ein Befürworter von Nuklearenergie. Er konvertierte auch vom radikalen Gegner gentechnisch manipulierter Lebensmittel zu einem euphorischen Befürworter dieser Technologie.