Marken-Kriminalität: Die Imitäter

Wie Banden mit Fälschun-gen Milliarden umsetzen

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Marko hat keinen guten Tag erwischt. „Nix los, schlechtes Wetter“, grantelt er und kratzt sich mit der rechten Hand beiläufig den Dreitagebart. Die linke Hand steckt in einer der zahllosen Taschen seiner zerschlissenen Weste. „Kommst du mit?“ Marko, der wahrscheinlich nicht so heißt, ist etwa Mitte 30 und stammt vermutlich irgendwo aus Ex-Jugoslawien. Gesprächig ist er nicht. Wozu auch. Ein paar geflüsterte Worte müssen reichen. Schließlich wollen die Kunden, die ihn hier, am Mexikoplatz nahe dem Wiener Prater, aufsuchen, nicht seine Bekanntschaft. Sie wollen seine Ware. „Neue Seiko?“, zischt Marko, „oder Breitling?“ Er zieht eine schwere silberfarbene Armbanduhr aus der Tasche. Eine echte Breitling aus dem schweizerischen Grenchen ist hierzulande kaum unter 4000 Euro zu haben. Markos Breitling sieht bloß echt aus, kommt vermutlich aus Südostasien, kostet dafür aber nur 75 Euro.

Der Wiener Mexikoplatz, die italienische Adriaküste, die Straßen von Phuket, der Nachtmarkt von Taipei – die Ware ist überall die gleiche. Die Kundschaft genauso. Sonnenbrillen, Uhren, Mode und Accessoires, Zigaretten, DVDs, CDs – alles mehr oder weniger astrein gefälscht. Und selten teurer als ein paar Euro.

Ferienzeit, Reisezeit, Schnäppchenzeit. Wenn die Urlauber strömen, haben die Schwarzhändler und ihre Lieferanten Hochkonjunktur.

Auch heuer werden sich Touristen mit Versace-Brillen zu 20 Euro, Rolex-Chronometern zu 50 Euro und Marlboro-Stangen zu 18 Euro eindecken. Und damit möglicherweise Probleme bekommen. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben der Produktpiraterie den Kampf angesagt. Und das trifft erstmals nicht nur die Hersteller und Händler, sondern vielmehr auch die Käufer selbst.

Im italienischen Riviera-Städtchen Ventimiglia wurde ein Exempel an einer 60-jährigen Dänin statuiert, die sich eine gefälschte Dior-Sonnenbrille zulegt hatte. Die Polizei verdonnerte sie zu einem Bußgeld in Höhe von 10.000 Euro. Nachdem sie 3333 Euro bar hingelegt hatte, durfte sie – ohne Sonnenbrille – gehen. Die italienischen Behörden stützen sich dabei auf einen Regierungserlass zur Bekämpfung des illegalen Handels mit gefälschten Markenartikeln. Er wurde jetzt zum ersten Mal angewendet. Inzwischen sind zwei weitere ähnliche Fälle bekannt geworden. Dabei ging es um imitierte Louis-Vuitton-Handtaschen und Marken-T-Shirts.

Auch österreichische Touristen sollten sich nicht länger darauf verlassen, dass der Erwerb gefälschter Ware ein reines Kavaliersdelikt darstellt. Die Rechtslage in den Staaten der EU ist zwar höchst unterschiedlich, spätestens aber bei der Heimreise kann es am Zoll zu Komplikationen kommen (siehe Kasten rechts).

Längst hat sich die Produktpiraterie zu einer ernst zu nehmenden globalen Bedrohung ausgewachsen. Nach jüngsten Erhebungen der EU-Kommission werden jährlich weltweit bereits 200 Milliarden Euro mit gefälschten Markenartikeln umgesetzt. Andere Schätzungen sprechen gar von 500 Milliarden Euro. Keine andere Industrie verbucht auch nur annähernd so große Wachstumsraten: So dürfte der Umsatz mit gefälschten Waren seit 1994 um das 17-Fache gestiegen sein. Verlässliche Zahlen sind naturgemäß nicht zu haben. Fälscher veröffentlichen keine Bilanzen und zahlen in aller Regel auch keine Steuern.

Dunkelziffer. „Gefälscht wird so ziemlich alles, was Rang und Namen hat“, so die Markenrechtler Guido Kucsko und Julia Schachter der Wiener Anwaltskanzlei Schönherr, „und zwar in jeder Qualität. Plumpe Plagiate von Markentextilien tauchen ebenso auf wie hochqualitative Nachbauten von High-Tech-Geräten.“

So sie überhaupt auftauchen: Der österreichische Zoll beschlagnahmte im Vorjahr insgesamt 3,8 Millionen gefälschte Markenartikel mit einem Originalwert von 11,1 Millionen Euro. Um satte 70 Prozent mehr als 2003. Der weitaus größte Teil der Plagiate kam, wie schon in den Jahren zuvor, aus Thailand, Hongkong, China und der Türkei. Die Dunkelziffer freilich dürfte erheblich höher liegen. Spätestens mit der Erweiterung der Europäischen Union Richtung Osten und den damit verbundenen Erleichterungen im Grenzverkehr haben sich Fälschern neue Handelskanäle geöffnet.

Allein in Österreich waren Ende Juni fast 200 Anträge renommierter Hersteller aus verschiedensten Branchen auf Beschlagnahmung gefälschter Waren anhängig: darunter BMW, Opel, Seat, KTM, Caterpillar, Canon, Jean-Paul Gaultier, Versace, Nintendo und Nokia. Einen besonders pretiosen Fund machten die Ermittler am 10. Juni dieses Jahres: In Wien wurden 1266 gefälschte Uhren der Marken IWC, A. Lange & Söhne, Vacheron-Constantin und Jaeger-LeCoultre konfisziert.

„Wir haben es mit organisierter Kriminalität zu tun“, so der Geschäftsführer der Internationalen Handelskammer Österreich (ICC Austria), Maximilian Burger-Scheidlin, „es geht nicht mehr um fliegende Händler am Urlaubsstrand, sondern um international agierende Banden.“

Im Hamburger Hafen stellte der deutsche Zoll vor wenigen Wochen auf Containerschiffen 216 Millionen gefälschte Zigaretten sicher: der bisher größte Einzelfund in Europa. Die in China hergestellten Glimmstängel hatten einen Marktwert von 30 Millionen Euro und waren offenbar für die gesamte EU bestimmt. Unter den in weiterer Folge arretierten Verdächtigen: drei Ungarn, ein Belgier, zwei Deutsche und ein Österreicher.

Die Produktpiraten von heute tun dabei nichts anderes als die Konzerne, deren Marken sie kopieren: Sie denken global und schauen auf die Kosten. Es ist kein Zufall, dass das Gros der gefälschten Waren aus Südostasien und Osteuropa kommt. Burger-Scheidlin: „Die Fälscherindustrie braucht zwei Voraussetzungen: niedrige Löhne und gute Produktionsstrukturen.“

Was möglicherweise auch erklärt, warum die Qualität der Plagiate immer besser wird. Die Gehäuse von Schweizer Uhren chinesischer Provenienz etwa sind nicht mehr nur aus galvanisiertem oder vernickeltem Blech, sondern oftmals bereits aus Stahl. Billiges Glas ist kratzfestem Saphirglas gewichen. Und drinnen ticken keine Quarzwerke mehr, sondern aufwändigere mechanische Werke.

Raubkopien. Auch bei Zigaretten scheint die Qualitätskontrolle zu greifen. „Die meisten Fälschungen kommen aus Untergrundfabriken in China“, sagt Austria-Tabak-Sprecher Helmut Dumfahrt, „und sind teilweise so gut, dass sie nur im Labor erkannt werden können.“

Eigens geschulter Spezialisten bedarf es auch, um die immer besser werdenden Software-Fälschungen zu identifizieren.

Es sei denn, man landet einen der seltenen Glückstreffer. Vor einiger Zeit stießen die Anwälte der Kanzlei Schönherr bei einer Hausdurchsuchung mit der Polizei auf eine völlig unverdächtige Familie, die im Wohnzimmer bei Kaffee und Kuchen saß – während hinter einer versteckten

Tür auf einem Dutzend Computer Raubkopien von Microsoft-Produkten gezogen wurden.

Nach Schätzungen von Microsoft Österreich sind rund 25 Prozent der hierzulande installierten Programme nicht original. Stöhnt Unternehmenssprecher Herbert Koczera: „Wir können eigentlich nicht viel gegen Produktpiraterie unternehmen.“ Die jährlich medial zelebrierte Vernichtung beschlagnahmter Microsoft-Produkte hat da eher Showcharakter.

Bei der Akquisition von Kunden gehen auch Fälscher mit der Zeit – im konkreten Fall mit der Globalisierung. Der Kauf beim Straßenhändler ist allenfalls noch ein vielfach romantisiertes Urlaubserlebnis. Der weitaus größere Teil des illegalen Geschäfts wird inzwischen über das Internet abgewickelt, die Ware kommt per Paket. Von den insgesamt 3,8 Millionen Aufgriffen durch den österreichischen Zoll 2004 waren zwei Drittel Postsendungen – im ersten Quartal 2005 stieg der Anteil auf 75 Prozent.

Vor allem der Aufstieg des Online-Auktionshauses eBay hat den Banden nachgerade paradiesische Zustände beschert. Das 1995 im US-amerikanischen San José im Bundesstaat Kalifornien gegründete Unternehmen zählt heute 147 Millionen registrierte Benutzer. Im ersten Quartal des heurigen Jahres lag das Volumen der via eBay gehandelten Waren und Dienstleistungen nach eigenen Angaben bei 10,6 Milliarden US-Dollar, umgerechnet 8,8 Milliarden Euro.

Mit anderen Worten: Es wird ver- und ersteigert, angeboten und gekauft, was die Datenleitungen halten. Der Umstand, dass sich Händler und Kunden so gut wie nie persönlich zu Gesicht bekommen, macht eBay gleichzeitig zum Tummelplatz für Nepper, Schlepper und Bauernfänger.

Vor wenigen Tagen erst zerschlug die deutsche Polizei einen von Istanbul aus operierenden Fälscherring. Die Bande hatte über das Online-Auktionshaus eBay 76.000 gefälschte Schmuckartikel des Hamburger Luxushauses Joop! in Umlauf gebracht – zu Schleuderpreisen ab 20 Euro. In weniger als einem Jahr sollen die Fälscher solcherart 2,3 Millionen Euro eingesackt haben. „In einzelnen Bereichen beträgt der Anteil der Falsifikate zwischen 50 und 70 Prozent“, sagt Joachim Günthert, Sprecher von eBay Austria, „die Österreicher sind noch fast größere Schnäppchenjäger als die Deutschen. Damit läuft so mancher Gefahr, den gesunden Menschenverstand auszuschalten.“

Nebenwirkungen. Die Hersteller selbst dürften am rapiden Wachstum der Branche nicht ganz unbeteiligt sein. Sie hatten dem Treiben lange Jahre eher gelassen gegenübergestanden. Frei nach der Formel: Wenn viele Artikel mit dem jeweiligen Logo in Umlauf sind, bedeutet das zumindest eine gewisse Promotion. Die freilich schnell ins Gegenteil drehen kann. Und dabei ist der abgerissene Trageriemen einer falschen Louis-Vuitton-Damenhandtasche noch das geringste Problem.

Im Vorjahr wurden nach einem Bericht des deutschen Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ im bayerischen Wertingen auf einen Schlag 68.000 vermeintliche Viagra-Potenzpillen sichergestellt – allesamt Fälschungen aus China. Marktwert: annähernd eine Million Euro. Der Händler, ein US-amerikanischer Geschäftsmann mit Domizil auf Mallorca, hatte die vorgeblich lustfördernden, tatsächlich aber wirkungslosen Pillen nebst anderen Pharmaprodukten auf gut 400 Internetseiten weltweit zum Kauf angeboten – zu wahren Dumpingpreisen.

Herbert Cabana, Präsident der Österreichischen Apothekerkammer, ist alarmiert: „Die Weltgesundheitsorganisation hat erhoben, dass bereits nahezu jedes zehnte Arzneimittel eine Fälschung ist.“ Schmerzmittel würden ebenso kopiert wie Lifestyle-Medikamente, Muskelaufbaupräparate und Vitaminprodukte. „Im besten Fall sind diese Medikamente wirkungslos, im schlimmsten Fall führen sie zu Erkrankungen oder sogar zum Tod“, so Cabana.

Gefälscht waren auch jene Ersatzteile, die am 12. November 2001 zum Absturz des American-Airlines-Fluges 587 über New York führten. 265 Passagiere fanden den Tod. Die Komponenten waren von einer Handelsgesellschaft in Rom bezogen worden, die auch eine Reihe europäischer Airlines versorgt haben dürfte (profil 6/02).

Nicht minder gefährlich sind imitierte Autoersatzteile, die derzeit auch in Österreich in Umlauf sein sollen. „Vergangenes Jahr ist eine Lieferung gefälschter Bremsbacken eines deutschen Automobilherstellers aufgetaucht“, berichtet ICC-Austria-Geschäftsführer Burger-Scheidlin.

Versagen die Teile den Dienst, ist die fehlende Gewährleistung noch das geringste Problem.

Prinzipiell gilt: Für schadhafte gefälschte Ware können weder Garantie- noch Gewährleistungsansprüche geltend gemacht werden. Wie auch. Fälscher stellen keine Rechnungen aus und sind bei Reklamationen eher nicht zu erreichen. Chinesische Untergrundfabriken oder italienische Strandhändler haben im Regelfall keine Postanschrift.

Wer aber beispielsweise wissentlich minderwertiges Material in sein Auto einbauen lässt, das in weiterer Folge zu einem Unfall führt, bekommt Ärger mit der Versicherung. Sie wäre im Schadensfall leistungsfrei, da jeder Fahrzeughalter dafür sorgen muss, dass sein Auto verkehrstüchtig ist.

Unerwünschte Nebenwirkungen können aber auch andere Imitate haben: Billige Textilien, die mit giftigen Farbstoffen versetzt sind. Spielzeug, das nicht annähernd so kindersicher ist wie das Original. Oder Zigaretten, in denen sich Pestizide befinden.

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Inzwischen gibt es sogar eine Art Oscar für das Fälscherwesen: In Frankfurt wird einmal jährlich der so genannte „Plagiarius“ für besonders dreiste Imitate vergeben – ein schwarz lackierter Gartenzwerg mit goldener Nase.

Zuletzt ging er an die Perfect Design Creator Intl. Co. Ltd. in Taiwan für den perfekten Nachbau der Waschtisch-Armatur „Tara Classic“, die im deutschen Iserlohn entwickelt wurde. Wenig überraschend waren die Preisträger zur Verleihung nicht erschienen.

Von Michael Nikbakhsh und Martin Staudinger
Mitarbeit: Sabina Auckenthaler