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Martin Puntigam Mutter, der Mann mit dem Feinstoff ist da

Mutter, der Mann mit dem Feinstoff ist da

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Feinstoff ist ein toller Stoff. Unsichtbar, unmessbar, in unbegrenzter Menge vorhanden und gratis. Man kann daraus Seelen basteln, Engel, telepathische Schnurlostelefone, 5-Gänge-Menüs und vieles mehr. Wer weiß, wie es geht, kann auf Basis von Feinstofflichkeit Karriere machen und ein Vermögen verdienen.

Der einzige Haken an der Sache: Man muss daran glauben oder zumindest Menschen finden, die das tun. Nur so wird ein Markt daraus. In der Welt der Naturwissenschaften, deren Errungenschaften die Basis unseres modernen Lebens darstellen, mit allen Licht- und Schattenseiten, gibt es Feinstofflichkeit nicht. Unter Feinstofflichkeit versteht man nämlich in manchen Religionen und in der Esoterik eine Form der Materie, die feiner und beweglicher ist als die tatsächlich existierende Materie. Der Feinstoff soll dabei irgendwo zwischen der Materie und dem Übersinnlichen liegen. Er soll eine Verbindung zwischen der materiellen und der Gedankenwelt herstellen. Seele, Engel, Qi, Aura, Prana-Energie undsoweiterundsofort lauten die zugehörigen Markennamen.

Prana-Energie etwa wird als vollwertiger Nahrungsmittelersatz angepriesen für, nun ja, Nahrungsmittel eben. Und zwar für alle. Wenn Sie sich zu einem so genannten Lichtnahrungsprozess entschließen, wird das Ihre Hauptmahlzeit. Klingt nach einseitiger Ernährung. Ist es auch. Denn wenn Sie lichtfasten, stellen Sie die Nahrungsaufnahme komplett ein und leben von Licht allein. Das heißt, Sie brauchen nicht nur kein Essen und Trinken und Klopapier mehr zu kaufen, auch die Kanalgebühren fallen weg, und Sie können Ihre Küche und ihre Toilette vermieten. In Zeiten der Geldentwertung ein tolles Konzept.

Leider kann nicht jeder einfach zu essen und trinken aufhören und nur von Licht leben, sondern ist auf die Einschulung durch besser qualifizierte Schlüsselkräfte angewiesen. Selbstverständlich kostenpflichtig. Deshalb haben die vielen Millionen Elenden und Hungernden beispielsweise in Afrika, wo in vielen Teilen - ähnlich wie im Schlaraffenland die Tauben - die Lichtteilchen vom Himmel in den Mund fliegen könnten, leider Pech gehabt. Überspitzt formuliert kann man sagen: Weil sie zu viel mit Verhungern beschäftigt sind, haben sie keine Zeit und Kraft, sich auf Lichtfaster umschulen zu lassen.

Lichtfasten ist also ein Herrenmenschenkonzept für Menschen mit zu viel Zeit und zu viel Geld. Oder zu viel Leichtgläubigkeit. Wenn man den Löffel endgültig abgeben möchte, kann dies auch tatsächlich und ganz im Wortsinn passieren. Es gibt nämlich nur zwei Arten von Lichtfastern: Jene, die es ernst nehmen, und die sind relativ bald tot. Alle anderen sind Schwindler und Betrüger.

In der Schweiz bezahlte unlängst eine Frau ihren Aberglauben mit dem Leben, weil sie den Unsinn, der in dem österreichischen Film "Am Anfang war das Licht“ behauptet wird, für bare Münze nahm. Sie glaubte nicht, dass ein Auto mit Abblendlicht ein Auto mit Abblendlicht ist und nicht Essen auf Rädern.

Nicht immer ist esoterischer Unsinn so gefährlich wie Lichtfasten. Manchmal handelt es sich nur um überteuerte Umweltverschmutzung. Powerbänder sind so ein Fall. Ein Silikonarmband mit einem Hologramm aus Mylarfolie mit einem Warenwert von 40 Cent wird weltweit um bis zu 40 Euro verkauft. Eine Gewinnspanne von mehr als 10.000 Prozent, davon können selbst Investmentbanker und Erdölkonzerne nur träumen. Was kann so ein Powerband? Nichts, ganz richtig. Und was soll es können? Angeblich ist nicht nur die Welt, sondern auch der Mensch im Ungleichgewicht. Warum? Weiß man nicht so genau, ist auch nicht so wichtig. Powerbänder können Menschen jedoch angeblich dabei helfen, durch einen natürlichen Energiefluss zu profitieren. Ziel ist, das Energiefeld von schädlichen Störungen zu befreien und zu harmonisieren mit Energiewellen, die in einem natürlichen Frequenzbereich behandelt wurden. Wenn Sie jetzt nicht genau verstanden haben, was damit gemeint ist, brauchen Sie obigen Text aber nicht noch einmal zu lesen. Derlei Schmonzes hat keine Bedeutung.

Trotzdem haben sich weltweit viele Spitzensportler wie David Beckham, Arjen Robben und Cristiano Ronaldo mit diesen Kunststoffbändern ums Handgelenk fotografieren lassen. Warum sie das machen, ist leicht nachvollziehbar. Spitzensport ist sehr anstrengend und nicht immer gesund, und nur der Erfolg zählt. Deshalb müssen Spitzensportlerinnen und Spitzensportler schauen, dass sie in ihrer aktiven Zeit möglichst viel erreichen, auch finanziell, weil die Karriere jederzeit vorbei sein kann. Im Sport entscheiden zahlreiche Faktoren über Sieg oder Niederlage, und oft liegt es nicht im Ermessen der Aktiven, deshalb sind viele von ihnen auch abergläubisch. Was man allein daran sehen kann, wie viele Fußballer sich nach einem Tor bekreuzigen.

Wer jetzt einwendet, die Begriffe Energie, Energiefluss und Frequenz gibt es aber auch in den Naturwissenschaften, hat Recht. Aber diese Begriffe sind nicht markenrechtlich geschützt. Jeder kann sie verwenden, wie er will.

Das heißt für Powerbänder: Man nimmt eine Art Lebensenergie, natürlichen Energiefluss und Frequenzen, die irgendwie zusätzlich zum Körper existieren und wirken sollen. Dummerweise wurde so etwas noch nie nachgewiesen. Was der natürliche Energiefluss oder natürliche Frequenzen sind und was schädliche Störungen und deren Harmonisierung überhaupt bedeuten soll, wird nirgendwo beschrieben und ist auch niemandem klar.

In Australien wurde das Unternehmen Power Balance deshalb gerichtlich dazu verurteilt, auf seine Website zu schreiben, dass es keinen wissenschaftlichen Nachweis für seine Behauptungen gibt. Dort steht auch, dass einige der Hologramme in den Armbändern mit der Zeit anfangen, sich aufzulösen oder zu verblassen. Sie sind also nicht nur wertlos, sondern auch noch schleißig produziert. Angeblich hat das aber keinerlei Einfluss auf die Funktionalität. Und da hat die Firma wieder Recht. Weil etwas, das nicht funktioniert, wie behauptet, kann natürlich auch nicht kaputt werden. Trotzdem warnt das Unternehmen seine Kundschaft nachdrücklich vor Fälschungen. Es wird also dringend empfohlen, von etwas Wertlosem nur das Original zu kaufen. Grandioses Marketingkonzept, Respekt.

In den USA war das Unternehmen 2011 mit derart hohen Schadenersatzklagen konfrontiert, dass es in Konkurs ging. Das klingt allerdings besser, als es ist. Die Forderungen beliefen sich auf 67 Millionen Dollar, aber nach "Chapter 11“ des amerikanischen Insolvenzrechts wurde der Konkurs so abgewickelt, dass während der Insolvenz die Gläubiger nicht auf das Firmenvermögen zugreifen können. Verkauft wurde Power Balance schließlich für acht Millionen Dollar an ein Unternehmen mit Sitz in China. Nach der Insolvenz will die Firma mit neuem Namen in China und von China aus weitermachen. Das heißt, die Forderungen beliefen sich auf 67 Millionen Dollar, acht Millionen wurden gegengerechnet, damit ist die Sache erledigt, und da allein im Jahr 2010 Einnahmen in der Höhe von 52 Millionen Dollar lukriert werden konnten, wird sich die Trauer über die Insolvenz in Grenzen halten.

Ein grundlegender Fehler des Unternehmens war sicher, dass eine bestimmte Wirkung der Bänder behauptet wurde. Dabei hätte man schauen können, wie andere Unternehmen das machen. Die katholische Kirche verkauft seit Jahrhunderten erfolgreich die Mutter aller Powerbänder, den Rosenkranz, und war deshalb noch nie mit Schadenersatzklagen konfrontiert. Obwohl auch hier wissenschaftlich keinerlei Wirkung nachweisbar ist. Auch Fälschungen wie das Grabtuch von Turin sind ein vergleichbar verlässlicher Devisenbringer wie die Powerbänder.

Wobei es sich streng genommen nicht um eine Fälschung handelt, sondern um ein Originalkunstwerk, aber eben nicht aus dem ersten Jahrhundert, sondern von viel später. Woher weiß man das? Aufgrund der C14-Methode. Dabei macht man sich den Zerfallsprozess des extrem seltenen Kohlenstoffisotops C14 zunutze. C14 wird bei Zusammenstößen von der aus dem Weltraum kommenden kosmischen Strahlung mit Stickstoffatomen der Luft gebildet. Pflanzen nehmen das radioaktive C14 mit dem Kohlendioxid während ihres Lebens auf. Wenn die Pflanze stirbt, wird kein neues C14 mehr aus der Luft aufgenommen. Ob die Seele der Pflanze ins Paradies kommt, ist nicht bekannt, gilt aber als unwahrscheinlich. Das C14 jedenfalls zerfällt nun in der Pflanze mit einer Halbwertszeit von 5380 Jahren und wird immer weniger. Das heißt, nach 5380 Jahren ist nur noch die Hälfte jener C14-Menge vorhanden, die beim Tod der Pflanze existierte. Gleiches gilt für Tiere oder Menschen, die sich ja von Pflanzen ernähren (Lichtfaster ausgenommen). Man kann auf diese Weise das Alter von organischem Material hervorragend bestimmen und weiß daher, dass der wahrscheinlichste Entstehungszeitraum des Grabtuchs zwischen 1260 und 1390 liegt. Coole Methode.

Aufpassen muss man nur, dass bei C14 alle vom selben sprechen. Weil C14 kann einem anderen erfolgreichen Aberglauben zufolge auch bedeuten, dass abgestandenes Wasser stark verdünnt und geschüttelt wurde. Dann muss man sich auf eine Erstverschlimmerung gefasst machen und erfährt nichts über das Alter des Grabtuchs.

Eine 600 Jahre dauernde Laufbahn wäre an sich eine tolle Leistung für ein Stofftuch, aber manchen reicht das trotzdem nicht. Kardinal Christoph Schönborn etwa verlangt von dem Bild auf dem Grabtuch mehr: "Es muss durch eine ganz kurze, sehr starke Hitzeeinwirkung wie in den Stoff eingebrannt worden sein. Könnte es der Moment der Auferstehung gewesen sein?“ Wie muss man sich das vorstellen? Hat Jesus einen Kavalierstart hingelegt, ist es bei der Entstehung des Grabtuchs wirklich so zugegangen wie beim GTI-Treffen in Reifnitz, und der Heiland hat bei der Auferstehung Gummi gegeben? Wer Menschen dazu bringt, so etwas zu glauben, kann ihnen fast alles verkaufen. Und wird es auch tun.

Im 21. Jahrhundert sind Aberglauben und spiritueller Aberwitz wie Bachblüten, Karma, Homöopathie, Intelligent Design und Astrologie bei uns keine bizarren Randerscheinungen mehr, sondern haben sich mitten in der Gesellschaft neben den bisher erfolgreichen Tröstungs- und Erlösungsfantasien mit Auferstehung, Paradies und Jüngstem Gericht bequem eingerichtet. Machen Sie sich auf einiges gefasst, der Mann mit dem Feinstoff ist da, und wenn es sein muss, macht er keine Gefangenen.

Lesen Sie außerdem im neuen profil wissen: Wo sitzt die Seele? Die Forschung sucht nach Spuren und findet keine. Was also sind Bewusstsein, Gedanken, Emotionen, Selbsterkenntnis und psychische Störungen?