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Martin Puntigam Supererde, Erstbezug

Supererde, Erstbezug

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Seit Menschen sich bewegen können, wollen sie woandershin. Erst von Afrika nach Persien, später nach China, in die Neue Welt, an die Pole und schließlich zum Mond.

Und seit ein Exoplanet nach dem anderen entdeckt wird, haben die interstellaren Reisebüros deutlich dickere Prospekte. Kick-off war 1995 mit "51 Pegasi b“ als erstem offiziellem Planeten außerhalb des Sonnensystems. Allerdings ist 51 Pegasi b ein Autobahnraser, der seinen Zentralstern in nur 4,2 Tagen umrundet, und wahrscheinlich ein jupiterähnlicher Gasriese. Und wenn man weiß, wie es auf Jupiter zugeht, der nicht so nahe um seine Sonne kreist - keine sichtbare feste Oberfläche und permanent von gewaltigen Wirbelstürmen überzogen -, dann ist ein Aufenthalt auf 51 Pegasi b nichts, was man sich unbedingt wünschen muss. Selbst dann nicht, wenn man eine Sonde ist.

51 Pegasi b ist allerdings nicht nur jupiterähnlich, sondern sogar ein Hot Jupiter. Er ist so nahe an seinem Stern, dass er auch durch die Gezeitenkräfte permanent durchgeknetet und massiert sowie durch ausgesprochen unangenehm hohe Strahlung extrem erhitzt wird. Wenn er wenigstens ein Hot Neptune wäre, dann würde es vielleicht Diamanten regnen, das wäre ein USP, den man in den Fremdenverkehrsprospekt schreiben könnte.

Er muss ja nicht gleich ein ganzer Diamantplanet sein wie der, der unlängst entdeckt wurde. Quasi das Antwerpen der Milchstraße. Wie entsteht so eine derart wertvolle Preziose?

Man nimmt an, dass dieser Diamantplanet und der Neutronenstern, den er umkreist, zunächst ein Doppelsternsystem waren. Ersterer beendete sein Leben mit einer gigantischen Supernovaexplosion, wovon nur der Neutronenstern im Zentrum übrig blieb. Die Supernovaexplosion fegte dabei auch die äußere Hülle des anderen, des kleineren Begleitsterns, hinweg und legte das Innere des Begleitsterns frei. Danach zog die starke Schwerkraft des nahen Pulsars noch weiteres Material von seinem kleineren Begleiter ab. Am Ende blieb nur noch das dichteste Zentrum des kleineren Sterns von der Größe eines Planeten übrig. Dieser Planet hatte dann nur noch einen Durchmesser von 60.000 Kilometern, also etwa die zehnfache Größe der Erde.

Und dieser Sternenrest besteht vor allem aus Sauerstoff und Kohlenstoff, wobei der Kohlenstoff wahrscheinlich die Form eines gigantischen Diamanten hat. Warum Diamant? Dieser Planet ist mit einer Dichte von 23 Gramm pro Kubikzentimeter etwa viermal so dicht wie unsere Erde. Durch den Druck wird aus Kohlenstoff möglicherweise Diamant. Klingt cool, heißt aber nur, ein Diamantstern entsteht dann, wenn ein alter Stern zum Planeten degradiert und als Ausgleich ein Diamant wird. Quasi ein interstellarer Golden Handshake.

Auf 51 Pegasi b gibt es aber keine Diamanten, es ist vermutlich nur sehr ungemütlich. Als Urlaubsdestination oder gar Kolonie scheidet er, nach allem, was wir wissen, also leider aus.

Vielleicht ist "Gliese 581d“ lebensfreundlicher. Dieser Planet ist der Popstar unter den Exoplaneten mit bereits zwei Welthits. Über Gliese 581d weiß man allerdings ebenfalls herzlich wenig. Vermutet wird Folgendes: Die sympathische Supererde Gliese 581d wiegt zirka zwischen sechs und sieben Erdmassen und kreist in der Nähe des malerischen roten Zwergsterns Gliese 581 innerhalb der bewohnbaren Zone. Oder auch knapp außerhalb. Das heißt, heute noch Einöde, aber morgen vielleicht schon Speckgürtel. Möglicherweise gibt es dort eine Atmosphäre, flüssiges Wasser und einigermaßen gemäßigtes Klima, zumindest wenn man Temperaturen von knapp über null Grad Celsius schätzt. Leider beträgt die Oberflächenschwerkraft gut das 2,5-Fache derjenigen der Erde, was für unser Stützskelett und auch den Blutkreislauf eine gewisse Herausforderung darstellte. Aber auf der Erde liegen und flach atmen könnten wir vielleicht eine Zeit lang.

Und: Gliese 581d ist nur gut 20 Lichtjahre entfernt, also nach kosmologischen Maßstäben praktisch ums Eck. Wer da als Lichtteilchen mit dem Auto hinfährt, ist noch vor der Ölkrise 1973 sozialisiert worden.

Für uns massegeplagte Menschen sind 20 Lichtjahre zwar gleich weit weg wie für ein Photon, aber die Reise dauerte für uns bedeutend länger. Aber wer weiß, wie lange noch. Vielleicht ist Überlichtgeschwindigkeit in Zukunft kein teures Extra mehr, sondern serienmäßig verfügbar, dann sind wir sogar schneller als Photonen und können schon einmal einheizen für die später eintreffenden Lichtteilchen.

Die Entwicklung auf dem Gebiet ist unübersehbar, und wenn man an den Preisverfall bei Tablet-Computern denkt, kann es nicht mehr lange dauern. Nicht erst seit unlängst am CERN in Genf die mögliche Entdeckung von überlichtschnellen Neutrinos hinausposaunt wurde. Wobei "hinausposaunt“ übertrieben ist, es war eher ein Schrei nach Liebe.

Denn nach der Relativitätstheorie darf es keine Teilchen geben, die schneller als das Licht reisen. Bei Lichtgeschwindigkeit wurde die Energie der Teilchen unendlich. Das heißt, diese Geschwindigkeit können Teilchen eigentlich gar nie erreichen, weil man dafür unendlich viel Energie aufbringen müsste. Und den Terminus "unendlich“ mag die Relativitätstheorie nicht so gern. Wenn es unendlich dicht wird, so wie beim Urknall, dann muss die Quantenmechanik übernehmen, und wenn es unendlich viel Energie wird, dann sagt sie, nur über meine Leiche.

Trotzdem haben Forscherinnen und Forscher in Genf und im italienischen Gran Sasso Neutrinos gemessen, die jedes Photon auf 372 Kilometer im Sprint um 20 Meter abhängen.

Neutrinos entstehen bei Kernreaktionen, wie zum Beispiel in der Sonne, und kommen dann zu uns. Typisch Ausländer, denken da mittlerweile viele, aber die Neutrinos kommen nicht, um unsere soziale Hängematte auszunutzen, sondern sie gehen einfach durch uns durch. Pro Sekunde rasen etwa 65 Milliarden Sonnenneutrinos durch jeden Quadratzentimeter der Erdoberfläche und natürlich auch durch alles, was darauf lebt. Durch uns alle fliegen ununterbrochen Milliarden Neutrinos, ohne sich um uns zu kümmern. Man könnte sagen, Neutrinos sind die arrogantesten Elementarteilchen des Universums. Und weil ihnen die Passage offenbar noch zu langsam geht, haben sie jetzt einen Gang zugelegt und auf Überlichtgeschwindigkeit erhöht.

Für Teilchen, die sich mit Überlichtgeschwindigkeit bewegen, dreht sich damit die Welt gewissermaßen um: Die Zeit vergeht nicht, wie für normale Materie, von der Vergangenheit in die Zukunft, sondern umgekehrt. Die Antwort ist vor der Frage da. Wie in dem momentan populärsten Neutrinowitz. Er geht so, Achtung:

Wir bedienen keine Neutrinos. Kommt ein Neutrino in eine Bar und bestellt ein Bier.

Sie brauchen nicht zu warten, mehr kommt nicht. So ist das eben mit naturwissenschaftlichen Witzen: Wer sie versteht, lacht, weil er sie verstanden hat. Die anderen schweigen höflich.

In der Theorie gibt es solche Teilchen schon seit Jahrzehnten. Sie wurden als Tachyonen postuliert, konnten allerdings noch nie nachgewiesen werden.

Außer natürlich in der Esoterikszene. Dort gibt es alles, wofür sich abergläubische Kundschaft findet, also alles, und natürlich auch schon seit Jahren Tachyonen-Therapien.

Dass es sich dabei um kompletten Unfug handelt, goes without saying, aber praktisch wäre eine Tachyonen-Therapie doch. Vor allem vom Standpunkt des Therapeuten. Die Patienten sind schon wieder gesund, bevor sie eine Diagnose bekommen haben, und der Therapeut braucht nur eine Honorarnote stellen, ohne dass er jemanden behandeln muss. Aber beides gehört eigentlich auch ohne Tachyonen zur Jobdescription von Esoterikern.

Ob man aufgrund der voranschreitenden Neutrinoforschung tatsächlich bald mit Überlichtgeschwindigkeit zu Exoplaneten wie Gliese 581d reisen wird können, haben wir in einem Teil unserer nächsten Ausgabe beantwortet.

Was wäre so reizvoll daran, als Erster auf einer Supererde zu landen? Natürlich die Machtfülle. Wer als Erster einen Planeten besiedelt, kann die Verfassung schreiben und die Gesetze bestimmen, die Eingeborenen unterjochen, also Normalität definieren.

Praktischerweise würde man für den Anfang vielleicht ein aufgeklärtes Gottkaisertum installieren wie im Vatikan, denn zu Beginn gibt es derart viel zu tun, da kann man nicht jedes Mal warten, bis eine vom Boulevard getriebene Legislative eine Entscheidung getroffen hat. Und was man nicht gleich macht, das weiß man vom Siedeln auf der Erde schon, das macht man dann später auch nicht. Und dann liegen die Sesselleisten ewig im Vorzimmer herum.

Was ist schönes Wetter? Welche Hautfarbe bestimmt die Leitkultur? Welche Tiere soll man mitnehmen auf einen neuen Planeten? Natürlich am ehesten solche, die man gut streicheln, aber bei Bedarf auch essen kann. Aus der Frühzeit der Mensch-Hund-Beziehung wird ja gerne verschwiegen, dass der Hund nicht nur ein guter Wächter und Jagdgefährte war, sondern auch eine Nahrungsergänzung. Und Hunde haben Spiegelneuronen, das macht sie mitfühlpflichtig, dadurch können sie sich angeblich in andere Lebewesen hineinversetzen. Das kann sehr praktisch sein, wenn man einmal am Heimweg betrunken in den Straßengraben stürzt oder im Ohrensessel mit der Zigarette in der Hand einschläft. Schildkröten schmecken zwar auch gut, wenn man sie richtig zubereitet, haben aber keine Spiegelneuronen. Das weiß man, weil ihr Gähnen nicht ansteckend ist. Wenn eine Schildkröte gähnt, muss die andere nicht.

Vielleicht haben sie deshalb auf der Erde so lange überlebt, weil sie hartherzige Drecksäcke sind. Aber auf einer neuen Supererde haben solche Viecher nichts verloren, dort soll natürlich alles besser werden als auf der alten Erde. Sonst bräuchte man ja nicht wegzugehen.

Die Liste der Entscheidungen, die getroffen werden müssen vom Bestimmer auf einer bewohnbaren Supererde, ist sehr, sehr lange. Nicht nur deshalb wird momentan nicht besonders intensiv an einer raschen Anreisemöglichkeit für Menschen - und nicht nur Neutrinos - gearbeitet. Stattdessen gelten die Anstrengungen eher dem Mars, unserem Nachbarplaneten. Weil er näher ist und wir leichter dorthin kommen und auch wieder zurück.

Na und? Selbst wenn es eine passable Reisemöglichkeit gäbe, ist der Mars bestenfalls ein Bastlerhit.

Wer glaubt, die Menschheit könne dereinst auf den Mars auswandern, wenn sie die Erde einmal ruiniert hat, der sollte das Kleingedruckte des Mietvertrags noch einmal genau lesen.

Der Luftdruck auf dem Mars beträgt nur etwa ein Prozent von dem auf der Erde, was zu wesentlich größeren Temperaturunterschieden führt. Sie liegen zwischen minus 85 Grad Celsius in der Nacht und fünf Grad Celsius am Tag. Im Winter ist es am Mars sowieso eiskalt, und ohne Magnetfeld und wegen der fast vollständig fehlenden Atmosphäre schießt die harte kosmische Strahlung fast ungehindert auf den Boden. Menschen würden dort mit der Zeit gegrillt. Immer wieder fegen Sandstürme über den Mars wie eine gigantische Flex. Außerdem ist der Mars rostig. Das ist, juristisch betrachtet, ein ernster Schaden des Hauses, dafür kann man den Besitzer vor Gericht haftbar machen. Wer so einen Mietvertrag unterschreibt, ist selber schuld. Da zahle ich lieber gleich etwas mehr und habe dann dafür eine Supererde, Erstbezug.

Extrasolare Planeten,

kurz Exoplaneten, sind Planeten außerhalb unseres Sonnensystems. In jüngster Vergangenheit ist unter Astronomen ein Wettlauf um die Entdeckung immer neuer solcher Himmelskörper ausgebrochen - die modernen leistungsfähigen Beobachtungsstationen machen dies möglich. Erst Mitte September wurde bekannt gegeben, dass auf einen Schlag 50 weitere Exoplaneten aufgespürt worden sind, darunter 16 "Super-Erden“, deren Masse mindestens gleich, im Regelfall jedoch größer ist als jene der Erde. Die ersten Exoplaneten wurden Anfang der neunziger Jahre bewiesen, bis heute konnten die Wissenschafter knapp 700 dieser Objekte katalogisieren.

Reisegeschwindigkeiten im Universum*

Schnellster Mensch: 0,01

Schallgeschwindigkeit: 0,343

Gewehrpatrone: 0,9

Schnellster Düsenjet: 2,02

Erde um die Sonne: 30

Fluchtgeschwindigkeit aus der Milchstraße**): ca. 320

Lichtgeschwindigkeit: c = 299.792

Überlichtschnelle Neutrinos: v = 299.800

*) In Kilometer pro Sekunde.

**) Die vierte kosmische Geschwindigkeit, die nötig ist, um die Milchstraße zu verlassen.