Maßloses moralinsaures Getue

Herbert Krejci über den Umgang mit Klestil

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Thomas Klestil hat sich im Dienst an der Res Publica, wie es im alten Rom hieß, buchstäblich verzehrt. Wer Gelegenheit hatte, ihn aus der Nähe zu beobachten, weiß, dass er in den letzten Monaten von sich selbst Übermenschliches verlangt hat, was mit seinen physischen Möglichkeiten gar nicht mehr im Einklang stand. Seine persönliche Tragik lag darin, dass er sich zu viel vorgenommen und nicht die Grenzen und Möglichkeiten seines Amtes erkannt hat.

Ohne Zweifel haben aber seine internationalen Kontakte in vielen kritischen Situationen, vor allem im Verhältnis zur Europäischen Union, Österreich sehr genützt. Hier ist vieles im Hintergrund geschehen.

Gleichzeitig hat sich auch gezeigt, dass in der zweiten Phase der Ära Klestil vor allem der Verfall der politischen Kultur in Österreich sehr deutlich geworden ist. Die vielen Beispiele an Taktlosigkeiten, begangen durch Mitglieder der Bundesregierung – hier ist nicht nur der Bundeskanzler, sondern vor allem auch die Frau Außenministerin zu nennen –, belegen, was sich da in den letzten Jahren zum Schlechteren verändert hat. Da ist es geradezu erschütternd zu beobachten, dass im Vergleich dazu Sozialdemokraten, vor allem die alten Sozialdemokraten mit einem starken Staatsbewusstsein, geradezu ein Vorbild dafür waren, wie man sich eigentlich benehmen sollte.

Aber auch das österreichische Bürgertum hat sich nicht mit Ruhm bedeckt, wenn ich daran denke, in welch herabsetzender Weise in so genannten „besseren Kreisen“, die das gute Benehmen für sich gepachtet zu haben behaupten, über den Bundespräsidenten gesprochen wurde. Wie da Reklame gemacht wurde für das Machwerk „Unsere Klestils“ und wie man geradezu mit sinnlicher Freude Schwächen im Verhalten des Bundespräsidenten aufgedeckt hat.

Was mich besonders erschüttert hat, war das maßlose moralinsaure Getue und der Hass und die Verachtung, die aus gewissen Kernschichten, allen voran den katholischen Studentenverbindungen, Klestil in Zusammenhang mit seinem Privatleben entgegengeschlagen sind. Viele, die selbst nicht gerade vor höheren moralischen Instanzen bestehen könnten, haben sich darin gefallen, die ohne Zweifel gegebene Ungeschicklichkeit, die Klestil bei seinem „Outing“ über seine Eheprobleme und der medialen Verarbeitung begangen hat, in einer schamlosen Weise gegen ihn auszunützen. Wenn ich daran erinnere, wie taktvoll man einst mit Kreiskys Privatleben und verschiedenen, immer sehr korrekt, nie mit der Verletzung seiner Frau gehandhabten Beziehungen umgegangen ist, dann sieht man, was sich hier in der Republik negativ verändert hat.

Klestil hat natürlich selber große Ungeschicklichkeit bewiesen, weil er im Wahlkampf die heile Welt einer intakten Familie vorgegaukelt hat. Das Kontrastprogramm musste daher umso kritischer ausfallen. Ohne Zweifel hat sich auch hier in Österreich ein gewisser Quantensprung vollzogen, weil man sich ja Jahrzehnte um das Privatleben von Politikern überhaupt nicht gekümmert hat. Man hat von vielen vieles gewusst, aber es gab ein Tabu, darüber zu sprechen. Klestil hat selbst dazu beigetragen, in der Hoffnung, für sich selbst etwas Gutes zu tun, dass auch hier ein neues Verhältnis zum Privatleben der Politiker zutage getreten ist.

Das Staatsoberhaupt hat nicht reaktiv gehandelt, sondern hat spontan, aus freiem Willen, seine private Situation an die Öffentlichkeit getragen. Nicht wissend, welche Konsequenzen das in einem Land hat, das – nach außen hin geprägt durch eine katholische Tradition – hier auch eine gewisse Scheinmoral wahrt. Es hat viele Politiker gegeben, die sich nicht an die Maßstäbe des sechsten Gebots gehalten haben. In den siebziger Jahren gab es einen Landeshauptmann in Oberösterreich, der wegen einer außerehelichen Beziehung zurücktreten musste.

Was das Verhältnis von Thomas Klestil zur Österreichischen Volkspartei betrifft, so muss man sagen, dass die Führung der Partei im Jahr 1991, als sie ihn aufgestellt hat, eigentlich gewusst haben musste, dass sie es hier mit einem Mann mit hohem Ehrgeiz und einer starken Profilierungssucht zu tun hat. Das konnte auf Dauer nicht gut gehen. Ich erinnere nur daran, dass es ja auch schon früher Konfliktsituationen, insbesondere bei der Unterzeichnung des EU-Vertrages, gegeben hat, wobei Franz Vranitzky auch ein hohes Maß an Zurückhaltung beweisen musste.

Viele haben Thomas Klestil sein Verhalten bei der Angelobung der schwarz-blauen Regierung übel genommen. Persönlich habe ich menschliches Verständnis dafür, wenn man, wie er bei der Regierungsbildung, eigentlich von der Seite der politischen Akteure der beiden Parteien nicht mit Ehrlichkeit behandelt wird. Es wäre übermenschlich, von jemandem zu verlangen, dass er da nicht auch seine inneren Regungen zeigt.

Thomas Klestil war nicht nur ein Mann von hoher Intelligenz, sondern auch von einem sehr starken Medienbewusstsein geprägt. Das konnte man schon bei seiner Tätigkeit als Botschafter in den Vereinigten Staaten und als Generalsekretär im Außenministerium beobachten. Als Kenner des Netzwerks der internationalen Diplomatie hat er die österreichischen innenpolitischen Realitäten nicht immer voll zur Kenntnis genommen. Damit ist er ein tragisches Opfer seiner Vorstellungen geworden, grundlegende Reformen durchsetzen zu können.

PS: Wer das Defilee des „offiziellen Österreich“ am Sarg des Bundespräsidenten verfolgte, dem mussten sich einige böse Gedanken aufdrängen. Wäre es nicht manchem, vor allem mancher, besser angestanden, ihre Kondolenzen im Zaum zu halten? So mussten düstere Erinnerungen hochkommen.