Mausi-Klicks

Mausi-Klicks: Die Brutalität des Online-Datings

Online-Dating. Angelika Hager über die Brutalität des Paarungsverhaltens im Netz

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Bereitschaftsdienst wegen potenzieller „Mit dem Axtmörder beim Mädchenitaliener“-Gefahr. So lautet in einer Gruppe von Wiener 40-sehr-plus-Frauen der gehobenen Einkommens- und Bildungsschicht die Parole für telefonische Kontaktaufnahme seitens der Freundinnen während der analogen Weiterführung einer digitalen Anbahnung. Denn die Gefahr, dass man bei einem ersten Facetime-Date nach der Partnersuche im Internet mit einem möglichen Axtmörder bei einem „Frutti di mare“-Risotto im „Rossini“ landet und dort dessen Lieblingsschriftsteller (im schlimmsten Fall Paulo Coelho) und Musiker-Favoriten („worst case“: Phil Collins) bemurmelt, ist natürlich immer irgendwie gegeben. Durch die Kontrollanrufe besteht dann doch noch die Möglichkeit, einen familiären Notfall zu fingieren und somit einen reibungsfreien ­Exodus in Würde aus so einer an sich abschlussorientierten Begegnung zu finden.

Für eine 47-jährige Universitätsdozentin aus der Truppe, die seit gut fünf Jahren online nach dem Mann fürs Leben fahndet, resümiert ihre Erfahrungen so: „Ich wusste vorher nicht, wie lange tatsächlich eine Stunde dauern kann, denn den meisten Männern fehlt der für mich so lebensnotwendige Humor. Und unter einer Stunde läuft so ein Date eben nicht. Das gebietet die Höflichkeit. Und natürlich gilt auch beim Online-Baggern das, was auch im richtigen Leben greift: Männer wollen ein schnelles Abenteuer, Frauen eine Beziehung. Nicht nur eines meiner ,Dates‘ war in Wahrheit fix liiert, ist damit aber erst bei dem Treffen zögerlich rausgerückt.“

Die Art der Abschlussorientierung ist also noch immer geschlechtsspezifisch unterschiedlich und reanimiert die ohnehin gängigen Klischees, wie Männer und Frauen ticken.

F. ist inzwischen in jedem Fall mehrere hundert Euro leichter und noch immer Single. Doch die Erfolgstories aus dem Bekanntenkreis von Freundinnen halten sie dennoch bei der Parship-Stange: „Immer wieder hört man von Menschen, die ihr Glück so gefunden haben. Mir blieben ein paar Freunde und zwei Dreimonatsromanzen, bei denen sich die Männer kommentarlos vom Acker gemacht haben.“

Alltag für Akademiker
Und tatsächlich: Während noch vor einem halben Jahrzehnt – in den USA machte die Site match.com 1995 den Anfang im virtuellen Vermittlungsbusiness – die Registrierung bei Verkupplerforen wie Parship (seit 2001), Elitepartner (2004) und edarling (2009) unter die gesellschaftliche Schamgrenze fiel und einen als schwer vermittelbaren Restposten in der freien Wildbahn stigmatisierte, ist das Wildern unter Nicknames wie „Dolce Vita“ oder „Highlander“ inzwischen durchaus nicht nur unter soziophoben Nerds salonfähig, sondern gehört auch in der akademisch gebildeten Mittelschicht zum Alltag. Rund 700.000 Österreicher fischen zurzeit im Netz nach der ewigen Liebe oder zumindest ihren zeitgemäßen Derivaten. 1,3 Millionen Alleinlebende sind in Österreich statistisch erfasst, davon 744.000 Frauen, denen eine gehobene Bildung, beruflicher Erfolg und ein Alter jenseits der 50 beim Tanz ins Glück die größten Hemmschuhe sind. Bei der Wirtschaftskammer sind gegenwärtig 108 Gewerbeeinrichtungen, die auf der Geschäftsidee der virtuellen Verkuppelung basieren, registriert; 90 wurden „ruhend“ gestellt, was auf unsaubere Geschäftsgebarungen rückschließen lässt. In Großbritannien und den USA ist das Cyber-Crime unter dem Vorwand von Nähebedarf längst polizeibekannt: Heiratsschwindler verlagerten ihre Betätigungsfelder aus den Partnerinseratenteilen der Zeitungen ins Netz; auch Sexualstraftätern helfen Online-Foren beim raschen Scanning von potenziellen Opfern. Soziale Netzwerke wie „Facebook“, das Balzterritorium für die Generation der 17- bis 40-Jährigen, wo Freunde nur einen Stupser entfernt sind, potenzieren die Möglichkeiten, am richtigen Ort den falschen Menschen ausgeliefert zu sein, zusätzlich noch.

„Das Netz ist eben nicht nur ein globales Tanzlokal, sondern auch ein Minenfeld für Täuschungen, Betrug und Lügen“, so der französische Soziologe Jean-Claude Kaufmann, der in seinem Buch „Sex@mour“ das Paarungsverhalten im virtuellen Raum untersuchte. Nirgends wird und kann so ungestraft und unkompliziert geschwindelt werden wie bei der Selbstdarstellung- und -inszenierung auf dem Computerschirm. Und beim „Partnershopping“ ist die Verführung, das Ego „aufzupimpen“, besonders groß. Wie für nahezu alles im Leben gibt es auch dafür eine brandneue Studie von der renommierten Cornell-Universität in den USA. Während Frauen am liebsten beim Alter, dem Körpergewicht und der Größe ihrer Brüste flunkern, verfremden Männer gerne bei ihrem Job und ihrer Körpergröße die Realität. Alarmglocken sollten bei der Berufsbezeichnung „selbstständig” läuten, denn nicht selten umschreibt dieses Adjektiv, dass ein Mann arbeitslos ist. Auch das Fehlen des Wortes „Ich“ oder indirekte Eigenschaftswörter wie „nicht aufregend“ statt „langweilig“, so das Forschungsteam, würden auf Unehrlichkeit hindeuten. Wie sich ein kompletter No-go-Mann im analogen Leben durch ein Testosteron-geladenes Online-Profil zum Womanizer mausert und eine Katastrophe nach der anderen durchlebt, zeigte jüngst die deutsche Nicht-Beziehungskomödie „Dating Lanzelot“.

Cyber-Cyrano
In den USA kann man sein Cyber-Täuschungsmanöver mittlerweile sogar delegieren. Der ehema­lige New Yorker Therapeut und Drehbuchautor Matt Prager baggert stellvertretend für gestresste Manager, denen die Zeit für blumige Wortkaskaden fehlt, im Netz Frauen so lange an, bis sie sich zu einem ersten Date bereit erklären. Der Haken an der Sache, so der Cyber-Cyrano, sei, dass „meine Jungs das erste Date dann höchstpersönlich durchziehen müssen, was natürlich auch zu Enttäuschungen führen kann“.
Doch das Ritual der emotionalen Abkoppelung, bei der es weder großer Worte noch dramatischer Gesten bedarf, erweist sich bei auf Online-Basis entstandenen Beziehungen als weniger kompliziert als im analogen Leben.
Durch die Leichtigkeit des Zugriffs auf „dateable material“, die einem das Baggern im Häschen-Pyjama und mit null Frisur ermöglicht, trennt man sich auch wesentlich entspannter. Wer wird denn weinen, wenn man auseinandergeht, wenn beim nächsten Klick schon ein oder eine andere(r) dasteht …

Das Internet erweist sich eben als Supermarkt der Möglichkeiten in allen Lebensbereichen. Und darin liegt auch seine Gefahr für das Konzept von romantischer Liebe. In diesem Supermarkt regieren eben auch die Prinzipien der Konsum- und Wegwerfkultur, die wiederum den rasant-brutalen Gesetzen von Angebot und Nachfrage unterliegen. Die israelische Soziologin Eva Illouz nennt diese Entwicklung knallhart „den neuen emotionalen Kapitalismus“. Die Tatsache, dass Menschen „frei und aus einem großen Sample wählen können“, behindere auch ihre Fähigkeit, sich zu binden, „massiv“. Schon Konsumanalysten fanden heraus, dass ein Überangebot an unterschiedlichen Yoghurts die Käufer davon abhalten kann, sich zu einer Variante durchzuringen.

Langatmige Dramaturgie geht verloren
Aussagekräftiges statistisches Material über die Dauerhaftigkeit und Belastbarkeit von online entstandenen Beziehungen existiert noch keines. Der britische „Guardian“ vermeldete jüngst, dass so genannte „Fastforward-Relationships“ ­rapide zunehmen und nahezu genau so schnell wieder in Trümmern liegen.
Denn Abschlussorientierung, die sich in einer Art von „High
Speed“-Romantik manifestiert, bei der – drastisch formuliert – beim ersten Date bereits der Speiseplan für das Hochzeitsmenü belabert wird, ist nach der virtuellen Schatzi-Suche natürlich ein häufiges Phänomen. Schließlich ist Zeit in einer von Stress und Burn-out-Phobie zermürbten Gesellschaft die zweitwichtigste Währungseinheit. Kein Mensch hat heute die Kapazitäten, bei Teeeinladungen und Pferderennen verstohlene Blicke auszutauschen oder gar ein Spitzentaschentuch zufällig fallen zu lassen – in der Hoffnung, dass es einem der oder auch die Richtige schon irgendwann hinterhertragen wird.

Die langatmige Dramaturgie der zarten Anbahnungen, des erhitzten Blickaustauschs und der errötenden Bäckchen gehört definitiv in die Romanwelt der Jane Austen – einer britischen Schriftstellerin des 19. Jahrhunderts, die sich heute noch immer als so verkaufstauglich wie die Harry-­Potter-Erfinderin Joanne K. Rowling erweist. Austen war eine Rebellin ihrer Zeit, weil sie sich stellvertretend für ihre Heldinnen bei der Entscheidung der Frage „Geld oder Liebe?“ immer für Letzteres entschied und der Romantik zuungunsten der Vernunft immer Vorfahrt erteilte.

Selbst ein Feuilleton-Star wie der britische Autor Ian Mc­Ewan outete sich unlängst als Austen-Fan und bekannte sich zu dieser Mädchenliteratur: „Der Plot ist zwar immer gleich – ein Mann und eine Frau missverstehen sich über 400 Seiten, dann kommt der Durchbruch, und sie heiraten. Die ganze Geschichte wäre nicht möglich, wenn sie sofort Sex hätten.“ Das mögen sich, so McEwan, jedoch die Liebesdesperados der Gegenwart zu Herzen nehmen: „Heute ist es umgekehrt: erst der Sex, dann die Missverständnisse. So gesehen kann man von Austen viel lernen.“ Dennoch regierte in der Epoche der romantischen Pfarrerstochter abseits ihrer ­Romane jenes Prinzip der „Fleischmarktwirtschaft“, das den heutigen On­line-Anbahnungsmethoden nicht ganz unähnlich ist. Zwar sind im Zeitalter der Postemanzipation nicht mehr Kategorien wie Versorgung und soziales Ansehen durch Ehe in der Partnerwahl ausschlaggebend, aber die Checklisten, Persönlichkeitstests und Profilerstellungen, die zu einer Vorauswahl von potenziellen Kandidaten bei den Online-Partnerbörsen wie edarling und Parship führen, haben durchaus ähnlich pragmatischen Charakter wie der Heiratsmarkt aus früheren Jahrhunderten. Die treibende Kraft stellt nur nicht mehr das Überlebens- und Vermehrungsmotiv, sondern die Angst vor der Einsamkeit. Und die Panik, als partnerloser Mensch mit den Etiketten „Loser“ und „Versager“ versehen zu werden.
Der Zufall, oftmals ein Magier bei zwischengeschlechtlichen Zusammenführungen, wird insofern völlig ausgetrickst, als so Paulo-Coelho-Aficionados niemals mit Heavy-Metal-Freaks aufein­anderprallen können und Liebhaber von saftigen Steaks keine Chance haben, auf nachhaltigkeitsbewusste Veganer-Elfen zu stoßen. Womit Aphrodisiaka wie Gegensätzlichkeit und die Anziehung durch Kontraste, welcher Natur auch immer, schon einmal kaltgestellt sind und ihren Zauber nicht entfalten können. Wahre Liebe hat nun einmal im Warenkorb nichts verloren.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort