good news: Helmut A. Gansterer

Medien 2008

Medien 2008

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Die Internationale der Schwarzmaler, Pessimisten und Jammerer, die größte weltumspannende Glaubensgemeinschaft, sieht unsere heutige Welt als Sodom und Gomorrha, versaut wie nie zuvor. Das ist zwar Unsinn, aber ein Befund ist nicht so gut, wie er objektiv richtig ist, sondern wie er geglaubt wird. Die Auffassung, wir hätten in allen Punkten die moralischen Standards unterschritten, hat sich durchgesetzt. Sie wird nicht nur von den üblichen Untergangspropheten geteilt. Auch Umsichtige, die bisher gegen Massenhysterie gefeit schienen, verloren ihre Gelassenheit. Das ist zwar nicht lustig, aber verständlich, da sich auf Dauer niemand der Negativ-Berichterstattung der Medien entziehen kann, außer durch Medienentzug, was ich als Medienmann nicht empfehlen mag. Allerdings glaube ich als Nestbeschmutzer, dass die historisch einzigartige Macht der Medien tatsächlich nach Medienkritik schreit, und zwar möglichst von innen, ehe die Zeitungen und Sender eines Tages von branchenfremden Gesetzgebern verstümmelt werden und ihre wichtigen Aufgaben nicht mehr wahrnehmen können.

Es gibt vier Vorwürfe, die ernst zu nehmen sind: Masochismus, fehlende Zusammenhänge, Geschichtslosigkeit und die Blattvergoldung des Banalen. Fangen wir im Wortsinn von hinten an. Die Tendenz, jedes schrille Rußflankerl der Gesellschaft zum Schneeflockerl und „Star“ zu stilisieren, ist zwar peinlich, aber unausrottbar, vielleicht sogar sozialhygienisch vernünftig. Es gibt auch Verlierern die Hoffnung, „für fünfzehn Minuten berühmt zu werden“, wie Andy Warhol vorhersah. Wer diesen Stoff nicht mag, kann die entsprechenden Zeitungsseiten und TV-Programme überspringen, was allerdings nur wenige machen. Auch in Thomas-Mann-Lesern stecken kleine Illustriertenleser. Das Elend des tiefen Bunten darf den Medien kaum angelastet werden. Es wird auch von vielen Lesern/Hörern/Sehern gefordert, die das niemals zugeben würden, nicht einmal im Selbstgespräch. Ernster zu nehmen ist der Vorwurf der Geschichtslosigkeit. Das vage Unbehagen vieler Medienkonsumenten rührt daher, dass alle Meldungen wie sensationelle Einzigartigkeiten verkauft werden. Die Wahrheit ist: Nichts ist neu. Die innere Struktur aller Frohbotschaften und Schreckensmeldungen ist alt. Alles wurde schon vom erstklassigen Journalisten William Shakespeare dargestellt, und 2000 Jahre vor ihm von unseren Kollegen Pindar, ­Aischylos und Sophokles, später auch von Vergil und Ovid. Es wäre schon viel gewonnen, würden Einzel-News in einen Zusammenhang mit der Nachkriegsgeschichte seit 1945 gestellt.

In der fundamentalen Berichterstattung über Wirtschaft und Wirtschaftspolitik wird die Suche nach dem Ideal noch komplexer. Dort haben Einzel-News ohne Kommentar keinen Sinn mehr. Die Urzeit einfacher Gleichgewichtsmodelle, schlichter Kameralistik und marxistischer Plantabellen ist vorbei. Die Kommentare sind notwendig, weil statische Daten wie Beschäftigungsrate, Inflation, Haushaltseinkommen, Börsen-Indizes und
BNP pro Kopf erst dann vom Geist behaucht sind, wenn ihre Tendenz begriffen wird. Nicht einmal die Veränderung selbst genügt, es geht um die Geschwindigkeit der Veränderung, wenn nicht gar ihre Beschleunigung, also Abstraktionen ersten und zweiten Grades. Diese verständlich, vielleicht sogar faszinierend darzustellen wird die aufwändigste Pflicht der seriösen Medien sein; zugleich ihre größte Chance, den einst guten Ruf wiederherzustellen. Leicht wird das nicht, da zusätzlich seit 40 Jahren die Ethik, seit 30 Jahren die digitale High Tech, seit 20 Jahren die Internationalisierung und seit zehn Jahren endgültig der Umweltschutz ihre Anerkennung als Premium-Faktoren fordern. Die guten publizistischen Institute in Wien und Salzburg können diese Multiple-Task-Schulung keineswegs allein schaffen. Die Medien selbst müssen wieder einspringen. Sie haben fast durchwegs ihre Ausbildungsaufgaben vernachlässigt, im Interesse schneller Profite. Dass vielen jungen Journalisten keine Zeit der Reifung vergönnt ist, wirkt angesichts der Wichtigkeit ihrer Arbeit so absurd wie ein Astronaut ohne Führerschein.

Vergleichsweise einfach ist die Sache mit dem Masochismus, der dramatischen Überbetonung der negativen Nachrichten. Die Verzerrung ins Dunkle ist ein Brandmal überalterter Zyniker, die davon ausgehen, ein Gesunder läse ausschließlich gern von Kranken, ein Satter von Hungernden, ein Trockener von Überschwemmten, ein Kluger von Trotteln, ein Friedliebender von Schlächtern. Es fällt kaum noch auf, wie bigott die Zeitungen und Sender agieren. Sie fordern ständig eine bessere Bildung der Kinder, zeigen ihnen aber täglich das Gegenteil: Als Serienmörder kommst du auf die Titelseite, als Nobelpreisträger bestenfalls auf Seite 7 – und dort eher seifig beschrieben, falls du eine komplizierte Frau wie Elfriede Jelinek bist.
Die Massenmedien-Modelle von heute wird eine kommende, klügere Generation aus dem Markt lachen.