Medien: Eigentor mit Anlauf

ORF: Wie schmerzhaft Konkurrenz sein kann

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Franz Prenner gilt gemeinhin nicht als Mimose. Auch ein Hang zur Paranoia konnte bisher nicht festgestellt werden. Und wehleidig darf jemand in seiner Position sowieso nicht sein. Trotzdem kommt Prenner, Chef des Privatsenders ATVplus, derzeit nicht umhin, an Verschwörung zu glauben und sich als Opfer zu fühlen. „Bei aller Freundschaft zu einigen Leuten im ORF: Da muss eine gewisse Bösartigkeit dahinter stecken“, seufzt er.

Als ATVplus am 13. Juli das Fußballmatch Wacker Tirol gegen GAK übertrug, sah ein großer Teil des Publikums erst einmal gar nichts. Volle 16 Minuten lang gab es auf den Fernsehmonitoren nicht nur kein Fußballspiel, es gab auch kein Insert, kein Testbild, keine Erklärung, keinen Trost. Der ratlose Zuseher musste ATVplus für klinisch tot halten.

Schuld daran war, wie sich später herausstellte, der ORF, über dessen Computer ATVplus an die Sendeanlagen übermittelt wird – und der leider ausgefallen war. Dummerweise habe auch das Reservesystem gestreikt, weshalb die Panne etwas länger dauerte. „Das ist absolut peinlich“, räumt ORF-Informationsdirektor Gerhard Draxler ein, „war aber nicht vorsätzlich.“ Franz Prenner würde das gerne glauben, er schafft es bloß nicht: „Einen Sendeausfall von dieser Länge hat es im ORF meines Wissens nach überhaupt noch nie gegeben.“

Und dann passiert es ausgerechnet am 13. Juli, einem der denkwürdigsten Tage der jüngeren Fernsehgeschichte.

Erstmals begann an jenem Dienstag die Fußball-Bundesliga völlig ohne Mitwirkung des ORF. Der einstige Monopolist war vor etwa zwei Monaten im Ringen um die Übertragungsrechte der privaten Konkurrenz unterlegen. Rechteinhaber ist seither der Pay-TV-Sender Premiere, die Zweitverwertung übernimmt ATVplus.

Schon in der Theorie hatte diese Entscheidung als Sensation gegolten. Seit die Praxis zu besichtigen ist, wird erst klar, welche Revolution auf dem österreichischen TV-Markt stattgefunden hat: Rapid gewinnt zwei Spiele haushoch, schießt insgesamt neun Tore, und der ORF überträgt kein einziges; Mattersburg blamiert den Millionenklub Austria Magna mit einem 0:0, und der ORF meldet nur das Ergebnis; Pasching präsentiert sich als Co-Favorit um den Meistertitel, und der ORF schweigt.

Funkstille. Früher verging kaum ein Hauptabend ohne ausführliche Berichte aus den Vereinen. Rund 270 Minuten pro Woche war der ORF auf Ballhöhe. Und jetzt: Funkstille. Er habe vom öffentlichrechtlichen Rundfunk nicht einmal erfahren, dass die Bundesliga begonnen hat, kritisierte Rapid-Präsident Rudolf Edlinger. „Ich bin gespannt, wie lange der ORF das aushält.“ ORF-Sportchef Elmar Oberhauser kontert: Man lasse sich nicht für dumm verkaufen und erledige bloß die Drecksarbeit. „Die Bundesliga hat sich für ATVplus und Premiere entschieden, und jetzt schauen wir uns das einmal an“, so Oberhauser.

Ganz so cool, wie sich das anhört, ist der ORF aber beileibe nicht. Schön langsam dämmert dem Exmonopolisten, welch großes Loch durch den Auszug der Kicker in der Programmplanung entstanden ist. Die Eigenproduktion „Expedition Österreich“ beweist zeitgleich, wie schwer es ist, die Massen vor dem Bildschirm zu fesseln. Fußballsendungen hatten regelmäßig zwischen 300.000 und 400.000 Zuseher. Auch wenn diese nicht vollzählig ins Privatfernsehen übersiedeln: In der ORF-Quotenbilanz werden sie fehlen. Außerdem wirkte der österreichische Fußball in gewisser Weise identitätsstiftend für den ORF. Einen Hauptabend-Spielfilm kann man sich auf vielen Sendern anschauen, aber Tore im Hanappi-Stadion und Fouls in der Südstadt gab es bisher nur in der alten Fernsehheimat ORF.

Nach den gescheiterten Verhandlungen mit der Bundesliga hatte Sportchef Oberhauser noch Gelassenheit demonstriert. „Sie werden lachen, ich kann mir das vorstellen“, antwortete er im profil-Interview auf die Frage, ob der ORF-Sport völlig ohne Fußball denkbar sei.

Aber schon nach zwei Runden ist der Appetit auf die Bundesliga wieder recht groß. Am 28. Juli werden sich Vertreter von ORF und Premiere vor dem Bundeskommunikationssenat (BKS) treffen, um über die Modalitäten einer Kurzberichterstattung zu verhandeln. Der ORF beruft sich auf eine Empfehlung des Europarates aus dem Jahr 1991, die ein Recht auf Kurzberichterstattung für „Ereignisse von allgemeinem Informationsinteresse“ vorsieht. Konkret heißt es darin, dass der Rechteinhaber 90 Sekunden Bildmaterial „zu angemessenen Bedingungen“ zur Verfügung stellen muss.

Diese erste Sitzung sei der Versuch, eine gütliche Einigung herbeizuführen, sagt Matthias Traimer, Leiter der BKS-Geschäftsstelle im Bundeskanzleramt. Falls das nicht gelingt, müssen die fünf unabhängigen Richter ein Urteil fällen. Für den ORF sei die rechtliche Ausgangslage nicht gut, berichtet ein Kenner der Materie: „Es gibt eine Liste mit den Ereignissen von allgemeinem Informationsinteresse, und die Fußball-Bundesliga steht nicht darauf.“

Nach einer einvernehmlichen Lösung sieht es auch nicht aus, zu weit liegen die Verhandlungspartner auseinander. Der ORF möchte 90 Sekunden pro Spiel (und das möglichst aktuell), Premiere will nur 90 Sekunden pro Spieltag herausrücken (so spät am Abend wie möglich, jedenfalls aber erst nach der ATVplus-Fußballsendung). Außerdem spießt es sich am Geld: Premiere verlangt 2000 Euro je angefangene Minute, der ORF hält das für unverschämt.

Als reines Glück muss gewertet werden, dass vor dem BKS voraussichtlich kühle Juristen Platz nehmen werden und nicht, beispielsweise, Elmar Oberhauser und Premiere-Chef Georg Kofler. Von einer schlechten Chemie zwischen den Führungskräften der beiden Sender zu sprechen wäre nämlich grober Euphemismus.

Wofür halten Sie mich? Elmar Oberhauser verliert beim Thema Bundesliga noch leichter die Contenance, als das bei ihm ohnehin üblich ist. Auf die Frage, ob es vielleicht klüger gewesen wäre, von Anfang an mit Premiere zu reden und so vielleicht – anstelle von ATVplus – die Zweitverwertung der Spiele zu bekommen, tobt er: „Wofür halten Sie mich? Ich bin doch nicht der Schlafwagen vom Herrn Kofler.“

Der Angesprochene, ebenfalls ein temperamentvoller Mensch, schimpft heftig über die Bräuche am Küniglberg: „Der ORF hat es nicht einmal für nötig befunden, mit uns in Verhandlungen zu treten, wie das in der freien Wirtschaft üblich ist.“

Staatssekretär Franz Morak hat angesichts des illustren Treibens vor kurzem diagnostiziert, es sei für den ORF als ehemaligen Monopolisten „ein gewisser Kulturschock“, dass plötzlich auf dem Heimmarkt Konkurrenz entstehe. Und sogar ORF-Informationsdirektor Gerhard Draxler räumt ein, dass sein Haus mit dem aktuellen Schicksalsschlag nicht ganz alleine dasteht. Es sei das eingetreten, was in ganz Europa der Standard ist, findet Draxler. „Das haben verschiedene Leute, durchaus auch bei uns im Haus, nicht wahrhaben wollen.“

Im ORF wird nicht zuletzt Elmar Oberhausers häufig bärbeißige Art für die aktuelle Situation verantwortlich gemacht. Zwar habe der Sportchef schon viele gute Verträge an Land gezogen. Aber sein Prinzip des Pokerns und Polterns habe eindeutig besser funktioniert, solange der ORF noch keine Mitbieter hatte.

Noch wehrt sich der ORF gegen die neuen Zeiten und ist bei der Wahl der Waffen oft kleinlich bis unfair. Vor dem Supercupspiel am 10. Juli im Grazer Schwarzenegger-Stadion musste eigens ein Stromaggregat installiert werden, weil der ORF den Zugang zu seinem Verteilerkasten nicht freigab. Und als ATVplus vor ein paar Wochen seinen ersten Geburtstag via Ö3-Werbeeinschaltung feiern wollte, sei das vom Sender abgelehnt worden, erzählt ATV-Chef Prenner. Wirklich demütigen kann ihn das nicht. Seit ATVplus die Bundesliga ausstrahle, fühle man sich in Österreich endlich ernst genommen, sagt Prenner. „Wir haben plötzlich einen anderen Stellenwert, sind erwachsen geworden.“

Wenig Reichweite. Ob das neue Fußballfernsehen nach Wunsch funktionieren wird, steht aber längst nicht fest. Denn mit ihrer Lieblingskritik haben die ORF-Manager recht: Die bisherigen Reichweiten schaffen die Privaten derzeit nicht. „Volltreffer“, die noch ziemlich ungelenke Fußballshow bei ATVplus, bringt es auf rund 80.000 Zuseher, mindestens 140.000 gelten als Ziel. Und bei Premiere freut man sich zwar über 5000 Neuabonnenten pro Woche – ob die von Georg Kofler erhoffte Verdoppelung der Abonnentenzahl gelingen wird, ist aber ungewiss. Erst dann wäre der Einstieg ins österreichische Kickerwesen allerdings ein Geschäft.

Die Vereinspräsidenten der Bundesliga sehen bis jetzt aber keinen Grund, an ihrer Entscheidung zu zweifeln. Premiere zahlt für die Fernsehrechte 15 Millionen Euro pro Jahr, und den Klubkassen tut dieser Geldregen ausnehmend gut. „Außerdem wird vier- bis fünfmal so viel berichtet wie bisher“, ergänzt Rudi Roth, Präsident des Vorjahresmeisters GAK. Zusätzliche ORF-Berichterstattung würde ihm dennoch gefallen. „Der ORF soll sich jetzt nicht in den Schmollwinkel stellen“, findet Roth. „Wir haben eine Entscheidung für den Fußball getroffen, nicht gegen den ORF.“

Nicht eingetreten ist bis dato der vielfach befürchtete Massenexodus von Vereinssponsoren. Die Bausparkasse Wüstenrot etwa, Hauptfinanzier des SV Salzburg, hat ihre Partnerschaft mit dem Verein gerade um ein Jahr verlängert. Marketingleiter Herbert Moser ist vor allem von der Premiere-Konferenzschaltung – alle vier Matches eines Spieltages werden parallel übertragen – begeistert. „Ein normales Fußballspiel ist teilweise nicht so spannend, es bringt einen qualitativen Vorteil, wenn die besten Szenen herausgepickt werden.“ Einzig die „Kronen Zeitung“, Sponsor mehrerer Vereine, überlegt noch, ob sie ihre Verträge verlängern oder lieber aussteigen will.

Geht es nach Premiere-Chef Kofler, sollte sich der ORF schön langsam daran gewöhnen, dass er auf heimischen Sportplätzen nicht mehr der unumschränkte Herrscher ist. Es werde künftig für alle attraktiven Sportarten ein Angebot von Premiere geben, kündigt Kofler an.

Elmar Oberhauser muss Ähnliches befürchtet haben. Die TV-Rechte für den Ski-Weltcup wurden jedenfalls vor nicht allzu langer Zeit verlängert. Bis 2011.