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Medikamente: Verlockende Substanzen

Verlockende Substanzen

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Verdammt kantig, diese Wangenknochen! Hürdenläufer und FPÖ-Sportsprecher Elmar Lichtenegger war gar nicht mehr im Bild, als man sein Gesicht plötzlich wieder vor dem geistigen Auge hatte. Denn gerade hatte Dopingfahnder Karl-Heinz Demel in der TV-Sendung „Sport am Sonntag“ über stark vergrößerte Jochbeine berichtet, die durch die Einnahme von Wachstumshormonen entstünden.

Auch Lichtenegger war am vorvergangenen Wochenende ins Studio gekommen, um sich der Diskussion zu stellen und das positive Ergebnis seines Dopingtests zu erklären. Ja, er habe Nahrungsergänzungsmittel genommen, aber nur solche, die das Forschungszentrum Seibersdorf getestet und für unbedenklich befunden habe. Wie sich herausstellte, hatte Lichtenegger das Produkt allerdings schon gekauft, bevor es getestet wurde. Dass es von Zeit zu Zeit Verunreinigung einer Charge mit verbotenen Substanzen geben kann, ist hinlänglich bekannt. Jeder Sportler, der Nahrungsergänzungsmittel verwendet, ist sich des Risikos also auch bewusst.

Ausrede. Ob und welche Konsequenzen es jetzt für Lichtenegger und die drei Ruderer, welche dieselbe Nahrungsmittelergänzung genommen haben, geben wird, ist noch unklar. Ob Sportler Nahrungsmittelergänzungen überhaupt brauchen, darüber sind die Experten geteilter Meinung. „Fest steht, dass das die momentan beliebteste Ausrede bei Dopingsündern ist“, weiß Jürgen Kern, Sportmediziner und Autor des Buches „Die Dopingfalle“. Gedopt wird mit allem, was der Medizinschrank hergibt – und vielem mehr.

Bei allen drei Weltmeisterschaften der vergangenen Wochen, ob bei der Leichtathletik-, der Ruder- oder der Schwimm-WM, hat das Thema Doping die sportlichen Leistungen zeitweise aus den Schlagzeilen verdrängt. So wurde etwa der WM-Sieg von Sprinterin Kelli White in Paris von Dopingvorwürfen begleitet – und tatsächlich: Der Dopingtest war positiv. Die Amerikanerin hatte gegen ihre Schlafkrankheit das Medikament Modafinil genommen. Dieses steht zwar nicht auf der Liste der verbotenen Substanzen, ist aber mit einer verwandt. White wird wahrscheinlich ihre Goldmedaille zurückgeben müssen. Sogar Österreichs Paradeläuferin Steffi Graf wurde in den Dopingstrudel hineingezogen – zu Unrecht, wie sich herausstellte. Nichtsdestotrotz hat Österreich heuer ein Dopingproblem. Betroffen davon sind die Sportarten Hürdenlauf, Rudern, Kugelstoßen und Laufen.

Dopingmittel werden zwar in allen Sportarten verwendet, besonders betroffen sind aber Kraft- und Ausdauersportarten. Bodybuilder, Kugelstoßer und Co bevorzugen anabole Steroide, die den Sportlern veritable Muskelberge bescheren. Radfahrer, die täglich oft über acht Stunden im Sattel sitzen, brauchen dagegen Mittel, die ihre Ausdauer nachhaltig steigern. Besonders beliebt ist Erythropoietin (EPO, siehe Kasten). In allen Sportarten werden Stimulanzien verwendet, die unmittelbar vor Wettkämpfen einen Adrenalinschub versprechen. Sie sind in vielen Medikamenten enthalten, die in Apotheken regulär zu kaufen sind.

Heuchelei. Dass es sich dabei nicht um Zuckerln handelt und die Einnahme der künstlichen Kraftsteigerer gesundheitliche Schäden verursachen können, ist den Sportlern bewusst. Abhalten lassen sie sich davon trotzdem nicht.

So hatte der ehemalige österreichische Weltklassesprinter Andreas Berger das Anabolikum Metandienon genommen, um nach zwei Operationen schneller wieder fit zu sein. Für den Österreich-Rekordhalter im 60- und 100-Meter-Lauf steht hinter Doping keine böse Absicht der Athleten, sondern der unbedingte Wille zu Einsatz und Leistung, der viele zu illegalen Mitteln greifen lasse. Berger: „Im Sport lebt man in einer eigenen Welt. Man legitimiert plötzlich Dinge für sich, die nicht normal sein sollten. Wenn man dopt, hat man ja keine betrügerischen Hintergedanken. Spitzensport geht nur mit Doping.“

Für Sportmediziner Kern sind gedopte Sportler Opfer und Täter zugleich: „Von allen Seiten wird Druck auf sie gemacht. Verlieren sie, gibt es im nächsten Jahr keine Werbeverträge mehr. Oft haben sie gar keine andere Wahl, als ein bisschen nachzuhelfen.“ Unter solchen Prämissen Sport noch als gesund zu bezeichnen wäre pure Heuchelei. Um die Erwartungen der Zuschauer und der Sponsoren zu erfüllen, müssen Rekorde gebrochen werden, was ohne Einnahme verbotener Substanzen kaum mehr möglich zu sein scheint. Werden, wie bei der Leichtathletik-WM in Paris, keine Weltrekorde aufgestellt, fragt sich alle Welt bestürzt, was mit der Leichtathletik los sei. Die Sportler werden damit quasi zur Einnahme von Dopingmitteln gedrängt. Kein Funktionär würde das allerdings öffentlich zugeben: Das saubere, vitale Image des Leistungssports wäre gehörig angeknackst.

Zwar gehen den Fahndern bei nationalen und internationalen Wettkämpfen jährlich nur ein bis zwei Prozent der getesteten Sportler als Dopingsünder ins Netz, doch die Dunkelziffer der künstlich gepuschten Athleten dürfte weitaus höher liegen. Wie hoch tatsächlich, wagt jedoch kein Experte zu schätzen.
Nicht alle Athleten mit negativen Dopingproben sind auch tatsächlich clean. So sieht man zum Beispiel einem Sportler den Gebrauch von Wachstumshormonen zwar an, kann aber keine verräterischen Stoffe im Harn nachweisen. Stark vergrößerte Körperenden und grobschlächtige Gesichter sind allerdings ein Indiz für den Medikamentenmissbrauch.
Der Preis, den man für jahrelanges Doping bezahlt, ist hoch: Bei Frauen, die Anabolika nehmen, wird die Stimme irreversibel tiefer, Männern droht Impotenz, sie werden aggressiver („Wife-Beating-Syndrom“), und im schlimmsten Fall droht ein Lebertumor. Wird mit Insulin gedopt, kann eine Überdosierung tödlich wirken.

Die Risiken werden in Kauf genommen – auch auf die Gefahr hin, erwischt zu werden. Und selbst dann wird noch getrickst. Professor Paul Haber, Leiter der Abteilung Sport- und Leistungsmedizin am Wiener AKH, kennt den Fall eines männlichen Sportlers, dessen Urinprobe eine Schwangerschaft anzeigte – sie stammte von seiner Schwester. Dieser Trick funktioniert heute allerdings nicht mehr; zu streng sind die Kontrollen. Mittlerweile werden die Athleten sogar bei der Urinabgabe überwacht. Während die A-Probe im Labor analysiert wird, friert man die versiegelte B-Probe ein. Die A-Probe wird zweimal auf verbotene Substanzen hin untersucht, stimmen die Ergebnisse nicht überein, liegt Dopingverdacht vor, und der betroffene Sportler kann die Untersuchung der B-Probe verlangen. In Österreich ist dafür das Doping-Kontrolllabor in Seibersdorf zuständig. Analysen, bei denen auf 150 Substanzen hin getestet wird, kosten bis zu 390 Euro pro Athlet.

Aufgrund strenger Kontrollen müssen immer neue Hintertürchen gesucht werden. Wer es sich leisten kann, wird in Zukunft Gen-Doping betreiben. Dabei wird eine bestimmte Gen-Sequenz des betreffenden Sportlers derart verändert, dass sie vermehrt körpereigenes EPO oder Adrenalin erzeugt. Doping dieser Art wird nicht mehr nachweisbar sein, Sportler werden zu Kampfmaschinen à la Terminator mutieren. Experten rechnen damit, dass diese Methode bereits ab 2005 anwendungsreif sein wird.