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Medizin: Der Gesundheits-Report

Der Gesundheits-Report

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Bedenklich klingt nur der Name – doch die „Monsterpizza“, deren Rezept im Internet angeboten wird, darf lediglich mit Tomaten, Paprika, Champignons, Karotten und Kräutern belegt werden. Und das Gericht soll nicht nur kindergerecht sein und gut schmecken, es bringt auch Punkte: Jedes Mal, wenn ein Kind eine gesunde Jause in den Kindergarten mitbringt, erhält es ein buntes Pickerl.

„Wir wollen Kindern und Eltern gesunde Ernährung schmackhaft machen“, erklärt Alexandra Wucher vom Vorarlberger Arbeitskreis für Vorsorge und Sozialmedizin (AKS). „Leckere Rezepte und Jausentipps im Internet, Sammelposter und diverse Rahmenveranstaltungen sind relativ wenig Aufwand im Vergleich zur Wirkung“, so Wucher. „Denn in der Kindheit werden Gewohnheiten geprägt, die ein ganzes Leben entscheiden können.“ Das Projekt „Maxima“, für das auch Rezepte wie die Monsterpizza ersonnen wurden, ist das jüngste Programm des Vorarlberger Arbeitskreises, der bereits 1964 mit flächendeckenden Vorsorgeuntersuchungen begann, 1972 den Mutter-Kind-Pass entwickelte und eine Vorreiterrolle in Bezug auf Vorsorgemedizin für sich in Anspruch nimmt.

Auch Maßnahmen wie persönliche Einladungen zur jährlichen kostenlosen Gesundenuntersuchung scheinen sich zu bewähren: Im Jahr 2002 gingen 28,3 Prozent der Vorarlberger zur Vorsorge. Österreichweit waren es nur knapp halb so viele. „Das Prinzip der Eigenverantwortung ist im Westen ausgeprägter“, analysiert der Wiener Gesundheitsökonom Christian Köck. „Autonomie und Selbstverwaltung sind Werte, die in Westösterreich recht tief verwurzelt sind.“ In den östlichen Regionen hingegen, meint Köck, „gibt es eine lange Tradition der Leibeigenheit, es wurde immer für einen mitgedacht. Der Einzelne ist es daher weniger gewohnt, sich selbst um bestimmte Angelegenheiten kümmern zu müssen.“

Der Westen Österreichs schneidet jedenfalls auch in der aktuellen Gesundheitsstatistik 2002 tendenziell besser ab als die Ostregion: Die Menschen bewegen sich häufiger, achten mehr auf gesunde Ernährung und haben weniger mit Übergewicht zu kämpfen. Das Risiko, in der Folge an Herz-Kreislauf-Beschwerden oder Stoffwechselstörungen zu erkranken, ist ebenfalls geringer. Die Lebenserwartung der Vorarlberger ist mit durchschnittlich 79,5 Jahren die höchste in Österreich. Vorarlbergs Frauen haben mit 82,7 Jahren laut Weltgesundheitsorganisation WHO nach Japanerinnen sogar die zweithöchste Lebenserwartung der Welt. Die Europaverantwortliche der WHO, Aushra Shatchkute, schlug bei einem Medizin-Kongress im Oktober 2003 vor, das Ländle als „internationales Trainingszentrum für Gesundheitsexperten“ zu nutzen.

Häufige Herzleiden. Im Zeitvergleich hat sich freilich der Gesundheitszustand der Österreicher im gesamten Bundesgebiet verbessert. Seit 1970 stieg die Lebenserwartung der Männer um 8,45 Jahre, jene der Frauen um 8,3 Jahre. Insgesamt sank die Sterblichkeit seit 1991 um 10,4 Prozent. Als häufigste Todesursache werden trotz leichter Rückläufigkeit weiterhin Herz-Kreislauf-Erkrankungen konstatiert. Den jüngsten für ganz Österreich verfügbaren Daten aus dem Jahr 2001 zufolge sind 51,3 Prozent aller Todesfälle auf Herz- oder Kreislaufversagen zurückzuführen, was 38.385 Personen entsprach. Zehn Prozent aller Todesfälle entfielen auf Herzinfarkte (7468 Personen). Die Krebsmortalität ging seit 1991 – altersbereinigt – auf 17,1 Prozent zurück und machte 2001 24,7 Prozent der Todesfälle aus.

„Man muss davon ausgehen, dass Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Zukunft noch zunehmen werden“, prognostiziert Gesundheitsökonom Christian Köck. „Je höher die Lebenserwartung, desto kränker die Menschen.“ Gerade Herzleiden zählen zu den Zivilisationskrankheiten, und nicht selten rühren sie, wie Diabetes oder Übergewicht, von einseitiger oder ungesunder Lebensweise her: wenig Bewegung, falsche Ernährung, Rauchen – oft in Kombination mit Stress.

„Lebensstilkrankheiten sind im Steigen“, konstatiert auch Günter Schagerl, Mitglied im Fachbeirat des Fonds Gesundes Österreich. Freilich könnte man, so Schagerl, durch Bewusstseinsbildung, regelmäßige medizinische Kontrollen und Änderung der Gewohnheiten durchaus effizient gegensteuern: „Die Maßnahmen, die jeder ergreifen kann, sind größtenteils bekannt“, so Schagerl. Dazu zählen unter anderem gesündere Ernährung, bewusste Entspannung und regelmäßige Bewegung. „Man muss diese Maßnahmen aber auch tatsächlich umsetzen“, mahnt Schagerl.

Was allerdings im Alltag nicht immer ganz leicht fällt. „Die Politik muss die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen“, fordert Köck, der als kurzzeitiger Chef des Liberalen Forums einige Zeit hindurch selbst politische Ambitionen gehegt hat. „Alkoholfreie Getränke in Lokalen müssen endlich billiger werden als beispielsweise Bier, und auch die Arbeitsplatzbedingungen müssen nachhaltig verbessert werden.“ Außerdem werde es Nichtrauchern immer noch zu schwer gemacht, auf ihr Recht auf saubere Atemluft zu bestehen, so Köck. „Viele Arbeitgeber sehen immer noch nicht die Notwendigkeit, in die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu investieren.“ Eine Verbesserung der gesundheitlichen Rahmenbedingungen – vor allem am Arbeitsplatz – koste zwar Geld, rechne sich aber gesamtwirtschaftlich: Die Resultate seien weniger Krankenstandstage, oftmals zufriedenere Mitarbeiter und vielfach auch mehr Leistung.

Kritik am strukturellen Umfeld äußert auch Gesundheitsexperte Schagerl: „Wer Bewegung machen will, braucht Motivation, keine Einschränkungen. Das Wissen, dass regelmäßige körperliche Bewegung eine biologische Notwendigkeit wie essen oder schlafen ist, muss durch Taten be-wusst gemacht werden.“ In diesem Lichte, so Schagerl, sei beispielsweise die Kürzung der Turnstunden im Rahmen der jüngsten Lehrplanreform an Österreichs Schulen „ein glattes Foul an der Gesellschaft“.

Früherkennung. Zwar steigt das Gesundheitsbewusstsein insgesamt ein wenig an. So gingen im Vorjahr 13,6 Prozent der Österreicher zur Vorsorgeuntersuchung, zwei Jahre zuvor waren es noch um 1,3 Prozentpunkte weniger gewesen. Von einem flächendeckenden Gesundheits-Check kann angesichts dieser Zahlen freilich noch längst nicht gesprochen werden. Dabei sind Experten überzeugt, dass gerade die Früherkennung vieler Krankheiten wirksamere und auch kostengünstigere Therapien zur Folge hätte – gerade im Hinblick auf verbreitete Leiden wie Krebs, Herzbeschwerden oder auch Diabetes.

„Zuckerkrankheit entwickelt sich zu einer neuen Volksseuche“, warnt Peter Hopfinger, Sprecher des Diabetes Forum Austria. „Rund 500.000 Österreicher leiden darunter, genaue Erhebungen werden von uns seit zehn Jahren erfolglos eingefordert.“ Jüngere Schätzungen, so Hopfinger, gingen jedoch davon aus, dass weitere 200.000 bis 500.000 Menschen betroffen seien, ohne es überhaupt zu wissen.

Vor allem die zunehmende Verbreitung von Diabetes unter Jugendlichen gebe Anlass zur Sorge. Hopfinger schätzt, dass es rund 50.000 Betroffene gibt, die jünger als 15 Jahre sind: „Viele Kinder sind übergewichtig, und unter diesen leiden viele an einem Typ-2- oder so genannten ,Altersdiabetes‘, die durch Insulinresistenz entsteht. Das gab es früher fast nur bei älteren Menschen, die sich ihr Leben lang falsch ernährt haben oder eine genetische Disposition hatten.“

Dramatische Spätfolgen. Dabei könnten diese Leiden – im Gegensatz zum Typ-1-Diabetes, der insulinabhängigen Zuckerkrankheit – mit Diäten und wenigen Medikamenten weit gehend in den Griff bekommen werden. Peter Hopfinger: „Schulung und Aufklärung sind dringend notwendig, sowohl für die Kinder als auch für die Eltern.“ Bei rechtzeitiger Behandlung ist ein fast völlig normales Leben gewährleistet, bei unerkanntem oder unbehandeltem Diabetes drohen dagegen Spätfolgen wie Nierenschäden, Herzinfarkte, Erblindung oder gravierende Durchblutungsstörungen.

Das Bewusstsein für geeignete Gesundheitsprävention ist freilich nicht in allen gesellschaftlichen Gruppen gleich ausgeprägt. „Sozial besser Gestellte mit hoher Bildung nutzen die angebotenen Untersuchungen intensiver, weil sie ein höheres Gesundheitsbewusstsein haben als sozial Schwache“, beobachtet die Wiener Sozialmedizinerin Anita Rieder. Es gelte daher, vor allem jene Bevölkerungsgruppen, die weniger auf ihre eigene Gesundheit achten, gezielt zu erreichen. Als Beispiel dafür, wie dies in der Praxis umgesetzt werden könne, nennt Rieder die Wiener Aktion „Blutdruckmessen im Supermarkt“, die im Herbst des Vorjahres durchgeführt wurde. Rieder: „So kann man Problembewusstsein schaffen.“

Als wichtigen Beitrag zur Prophylaxe mahnen Experten vor allem sinnvolle Ernährung ein. „Das ist der Schlüssel zur Gesundheit“, formuliert die Ernährungswissenschafterin Hanni Rützler. Die Ergebnisse des vom Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Wien erstellten Ernährungsberichts 2003 zeigen, dass in Österreich diesbezüglich dringender Handlungsbedarf besteht. „Viele Menschen können mit dem Überangebot an Nahrung nicht umgehen“, glaubt Rützler. „Den Teller brav leer zu essen ist immer noch eine Erziehungsmaxime.“

Dicker Osten. Im Bundesschnitt sind 10,5 Prozent der Bevölkerung adipös, also stark übergewichtig. Am stärksten verbreitet ist übermäßiges Übergewicht im Burgenland, wo 13,4 Prozent der Bevölkerung als adipös eingestuft werden, in Tirol liegt diese Kennziffer bei bloß 7,6 Prozent – der niedrigste Wert für Österreich. In Vorarlberg wiederum, weiß AKS-Expertin Wucher, „zeigen sich viele Menschen zwar recht gut informiert“. Allerdings würden „Medienberichte über neue Diäten, Magenbänder oder Fettpillen verunsichern, die Leute kennen sich nicht mehr aus“. Für übergewichtige Kinder startet 2005 ein Ernährungsprogramm an allen Vorarlberger Schulen.

Dennoch ist der Fettkonsum insgesamt nach wie vor zu hoch: Zwischen 35 und 40 Prozent der Nahrung des durchschnittlichen Österreichers bestehen aus Fett, empfohlen sind 30 Prozent. Die Versorgung mit Vitaminen ist dagegen – besonders bei Lehrlingen und älteren Menschen ab 65 Jahren – nicht ausreichend.

Generell ist festzustellen, dass sich Frauen gesundheitsbewusster ernähren als Männer. Zudem würde die Ernährung mit zunehmender Bildung bewusster und gesünder, glaubt Rützler: „Je höher die Bildung, desto femininer die Ernährung. Das bedeutet weniger Fleischprodukte, leichtere und pflanzliche Kost und ein Mehr an Kohlehydraten und Ballaststoffen.“

Weniger offen wird nach wie vor über eine andere Gruppe von Symptomen debattiert: Jeder sechste Österreicher leidet zumindest einmal im Leben an einer psychischen Krankheit. Die immer noch mit einer solchen Erkrankung verbundene Stigmatisierung erschwert freilich die Therapie. „Ich hab Depressionen und lieg auf der Psychiatrie“ ist laut Werner Schöny, Obmann von Pro Mente Oberösterreich, kein Satz, der leicht über die Lippen geht.

Diese Ansicht teilt auch Siegfried Kasper, Primarius der Klinischen Abteilung für Allgemeine Psychiatrie der Universität Wien: „Wenn ein 50-jähriger Geschäftsmann wegen eines Herzinfarktes im Spital liegt, ist das fast eine Art Orden, weil er sich im Berufsleben offensichtlich stark engagiert“, weiß Kasper aus Erfahrung. „Gibt er hingegen zu, dass er aufgrund einer Depression in Behandlung ist, gilt er als Verlierer.“

Depressionen treten meist zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr auf, Männer sind davon keineswegs weniger oft betroffen als Frauen. Letztere gehen allerdings häufiger zum Arzt, weswegen depressive Erkrankungen bei Frauen eher diagnostiziert werden. Problematisch ist aber, dass sich viele Betroffene scheuen, einen Psychologen oder Psychiater zu konsultieren. „Deshalb werden ungefähr 70 Prozent der Depressionen nicht als solche erkannt“, behauptet Kasper.

Infolge der steigenden Lebenserwartung der Österreicher werden Gesellschaft und Medizin allerdings auch vermehrt einer weiteren Gruppe Erkrankungen gegenüberstehen: der bereits vielfach prognostizierten Zunahme neurologischer Leiden wie Alzheimer. Die Krankheit trifft zumeist über 70-Jährige, Schätzungen zufolge leiden momentan vier bis fünf Prozent der Bevölkerung darunter. Doch die Experten konstatieren dringenden Handlungsbedarf: Zwischen 2010 und 2020 dürften die Zahlen Schätzungen zufolge signifikant ansteigen.