Fett weg: Die wahren Schwächen der Kuren

Medizin. Fett weg-Wahnsinn: Der große Schwindel mit Diäten und Abspeckmitteln

Der große Schwindel mit Diäten & Abspeckmitteln

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Zwei Jahrzehnte lang hatte Monika Bevilaqua „alles probiert, was erlaubt und nicht erlaubt ist“. Aber die unzähligen Abmagerungskuren und immer neuen Modediäten halfen nicht. Die stark übergewichtige kaufmännische Angestellte aus Wien lebte nach dem immer gleichen Schema: Mal nahm sie zehn Kilogramm ab und bald darauf wieder zwölf oder 13 Kilogramm zu. So wurde sie mit den Jahren immer dicker und dicker. Es war der berühmte Jo-Jo-Effekt, von dem zwar schon jeder gehört hat, aber dessen fatalen Mechanismus kaum jemand wirklich versteht.

Wenn der menschliche Körper auf brachiales Abspecken gesetzt wird, reagiert er mit einem evolutionär bedingten Schutzmechanismus. Er schaltet auf ein Überlebensprogramm und hortet Fettreserven, um die Hungerphase zu überdauern. Statt die Fettpölster nachhaltig zu verringern, baut der Körper eher Muskelmasse ab. Da die Muskeln eine zentrale Rolle in der Fettverbrennung des Organismus spielen, dreht sich die Spirale des Dickerwerdens mit jeder Crashdiät weiter. Denn je weniger Muskeln der Mensch besitzt, umso weniger Fett verbrennt er. Das ist auch der Grund dafür, warum Ernährungswissenschafter und Stoffwechselexperten vor Crashdiäten warnen. Sinnvoll sei nur eine dauerhafte Umstellung der Ernährung in Richtung Kalorienreduktion in Verbindung mit regelmäßiger Bewegung. Ohne Bewegung kommt es zwangsläufig zum Muskelschwund, und ohne Muskeln kommt der Fettverbrennungsmotor nicht wirklich in Gang.

Magenfüllmittel. Genau das erlebte – wie so viele Abnehmwillige – auch Monika Bevilaqua. Die heute 60-jährige Pensionistin und mehrfache Großmutter kann die von ihr angewandten Diäten, Kuren und Mittelchen gar nicht alle aufzählen, so zahlreich sind sie. Spontan nennt sie die Brigitte-Diät, die Atkins-Diät, das Abnehm-Medikament Xenical, Grazil-Tropfen, Reductil und diverse Magenfüllmittel. Auch eine dreiwöchige Abmagerungskur war Teil ihrer endlosen Versuche, die Spirale des Dickerwerdens zu durchbrechen. Ergebnis, so Bevilaqua: „Abgenommen hat nur mein Geldbörsel.“ Und das 20 Jahre hindurch. Laut ihrer Schätzung hat sie „alles in allem 10.000 Euro für alle möglichen Spassettln ausgegeben“. Erfolg: null. Am Ende wog sie 116 Kilogramm, und das bei einer Körpergröße von 168 Zentimetern. „Diäten bringen auf lange Sicht nichts, außer dass man immer mehr frustriert ist“, so Bevilaquas Resümee.

Der zunehmende Frust führt dann zwischen den Diäten zum Frustessen, was Betroffene vom ersehnten Ziel nur noch weiter entfernt. Und mit dem Älterwerden dreht sich die Spirale in Richtung Fettsucht umso schneller, weil der Körper pro Lebensjahrzehnt zehn Prozent seiner Muskelmasse verliert – sofern man den Vorgang nicht durch regelmäßiges Muskelaufbautraining bremst. Crashdiäten und natürlicher Verlust an Muskelmasse summieren sich zu fortschreitendem Muskelschwund. Die Muskelmasse wird durch Fettmasse ersetzt. Das Ende vom Lied ist zumeist nicht nur krankhafte Fettsucht (Adipositas), sondern eine Reihe von Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes (Altersdiabetes), Verlust der körperlichen Leistungsfähigkeit samt früher Pflegebedürftigkeit, Schlaganfall, Herzinfarkt und bestimmte Krebserkrankungen wie Brustkrebs, Darmkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs.

Gesundheitsproblem. Übergewicht, Fettleibigkeit und krankhafte Fettsucht sind längst ein Gesundheitsproblem ersten Ranges – nicht nur in den hochentwickelten Industrieländern. Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO sind weltweit bereits mehr als eine Milliarde Menschen übergewichtig, etwa 300 Millionen davon gelten als fettleibig. Nach WHO-Schätzung war im Jahr 2005 jeder fünfte erwachsene Österreicher fettleibig (siehe Grafik oben). Und die Zahlen steigen munter weiter. Den Grund dafür ortet die WHO in veränderten Lebensweisen. Körperliche Arbeit ist großteils sitzenden Tätigkeiten gewichen. Die Menschen sitzen viele Stunden im Büro, im Auto oder vor dem Fernseher und nehmen zu viele Kalorien zu sich. Dadurch ist die Balance zwischen Energieverbrauch und Energieaufnahme aus dem Lot gekommen (siehe Grafik auf Seite 122). Das zeigt sich in zunehmendem Maß auch bei Kindern.

Die Reaktion auf das wachsende Körperfett ist aber, wenn es sie überhaupt gibt, alles eher als adäquat. Anstatt die Balance zwischen Energieaufnahme und -verbrauch wiederherzustellen, am besten durch weniger Kalorien und mehr Bewegung, suchen immer mehr Menschen ihr Heil in Abspeckkuren und Hilfsmitteln aller Art, von denen sich viele bei kritischer Betrachtung als wenig zielführend bis kontraproduktiv erweisen. Die Umsatzzuwächse bei Diätbüchern, Schlankheitsratgebern, Schlankheitspillen und -behandlungen sind nicht nur ungebrochen, der Markt boomt wie nie zuvor.

Die Wiener Sozialmedizinerin und Ernährungswissenschafterin Ingrid Kiefer hat sich die Mühe gemacht, all die propagierten Diätkuren einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Resultat: In den meisten Fällen sind, so Kiefer, „die Heilsversprechen nicht haltbar“ (siehe Kasten rechts).

Zwei miteinander verwandte Modediäten haben in den vergangenen Jahren besondere Furore gemacht, die so genannte Glyx-Diät und die Montignac-Methode. Die Glyx-Diät propagiert den Verzehr von Nahrungsmitteln mit niedrigem glykämischem Index (Glyx), der die Blutzuckerreaktion nach dem Essen und damit indirekt auch die Insulinreaktion des Körpers beschreibt. Ein dauerhaft hoher Insulinspiegel fördert die Entstehung von Diabetes und Atherosklerose. Manche Studien zeigen positive Auswirkungen auf die Blutfettwerte und das Herzinfarktrisiko bei übergewichtigen Menschen, die bevorzugt Lebensmittel mit niedrigem Glyx verzehren – inbesondere dann, wenn die Menge der zugeführten Kohlenhydrate insgesamt reduziert wird.

Evidenz fehlt. Kurt Widhalm, Stoffwechselspezialist an der Wiener Medizinuniversität, weist allerdings kritisch darauf hin, dass von 13 Studien, die eine Gewichtsabnahme mit der Glyx-Diät belegen, „zwölf mit Diabetespatienten durchgeführt wurden, die davon profitieren mögen. Es gibt aber keine wissenschaftliche Evidenz für eine positive Wirkung bei Nichtdiabetikern.“ Fragwürdig sei auch die Methode, anhand einer Tabelle mit dem glykämischen Index von einzelnen Lebensmitteln den Glyx von zusammengesetzten Mahlzeiten oder komplexen Diäten vorherzusagen.

Eine dänische Forschergruppe hat im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie die Frage untersucht, inwieweit der glykämische Index von 14 typischen europäischen Frühstücksmahlzeiten sowie die dadurch ausgelöste Blutzuckerreaktion beziehungsweise Insulinantwort vorhersagbar sei. Ergebnis: Die Datenanalyse zeigte, dass kein Zusammenhang zwischen berechnetem Glyx und der gemessenen Insulinantwort im Blut sichtbar wurde.

Wie die Glyx-Diät geht auch die Montignac-Methode davon aus, dass Übergewicht vor allem auf eine falsche Nahrungsmittelauswahl zurückzuführen sei. Deshalb propagiert sie eine Diät, die zu je 30 Prozent aus Eiweiß und Fett und zu 40 Prozent aus Kohlenhydraten mit niedrigem glykämischem Index besteht. Kritiker Widhalm hält es durchaus für möglich, dass eine derartige allenfalls dreiwöchige Kur einzelnen Personen guttut, generell zu empfehlen sei sie hingegen nicht. Fazit, so Widhalm: „Neben manchen Ansätzen, die vereinzelt den Empfehlungen von wissenschaftlichen Gesellschaften entsprechen, enthält die Montignac-Methode eine Reihe wissenschaftlich unbegründbarer Erklärungen und unseriöser Argumente.“

Auch die in den vergangenen Jahren auf den Markt gekommenen Medikamente zur Gewichtsreduktion halten ihre Versprechen nur mit Einschränkungen. Bernhard Ludvik, Stoffwechselexperte an der Wiener Medizinuniversität, verweist erstens darauf, dass solche Präparate nur so lange wirken, solange man sie einnimmt, „und das ist lebenslang nicht leistbar“. Zweitens sei die Anwendung derartiger Substanzen mit Nebenwirkungen verbunden, daher sollte man sie sehr restriktiv und nur unter ärztlicher Aufsicht anwenden.

Gewichtsreduktion. Einer der oft genannten – und auch von Monika Bevilaqua kurzzeitig ausprobierten – Wirkstoffe ist Orlistat (Produktname Xenical). Es handelt sich dabei um einen so genannten Lipase-Inhibitor, das heißt, die Fettaufnahme aus dem Nahrungsbrei im Darm wird um etwa 30 Prozent verringert, was laut Ludvik im Durchschnitt zu einer Gewichtsreduktion von zehn Prozent führt. Auch lasse sich mit diesem Medikament das Diabetesrisiko von krankhaft fettleibigen Personen um 37 Prozent verringern. Allerdings werden die erzielbaren positiven Effekte mit unangenehmen Begleiterscheinungen wie etwa Blähungen erkauft. Darüber hinaus kann sich die Aufnahmefähigkeit von fettlöslichen Vitaminen (A, D, E und Beta-Karotin) verschlechtern.

Einen ganz anderen Ansatz verfolgt das ursprüngliche Psychopharmakon Sibutramin (Markenname Reductil), das Patientin Bevilaqua ebenfalls versucht hat, allerdings ohne nachhaltigen Erfolg. Sibutramin wirkt im Gehirn als so genannter Wiederaufnahmehemmer für die Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin und verstärkt auf diese Weise das Sättigungsgefühl.

Die Liste der Nebenwirkungen reicht von Mundtrockenheit und Verstopfung über Schlafstörungen bis zu leichter Steigerung der Herzfrequenz. Immerhin konnte in einer Reihe von Studien ein positiver Effekt des Wirkstoffs Sibutramin nicht nur hinsichtlich der Gewichtsreduktion, sondern auch auf den langfristigen Gewichtserhalt sowie auf den Zuckerstoffwechsel nachgewiesen werden.

Allerdings darf das rezeptpflichtige Präparat nur unter ärztlicher Aufsicht und nur zur Behandlung von Adipositas verschrieben werden. Die deutsche Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen warnte schon im Herbst 2005 vor chinesischen Schlankheitsmitteln, die im Internet angeboten werden und die ebenfalls Sibutramin enthalten. Die Substanz kann nämlich gefährliche Wirkungen haben, etwa bei Patienten mit Bluthochdruck, Herzproblemen oder Depressionen. Weltweit sind 34 Todesfälle bekannt, die mit der illegalen Anwendung von Sibutramin in Zusammenhang gebracht werden. In Italien und Frankreich wurde der Vertrieb von Arzneimitteln, die Sibutramin enthalten, zeitweilig gestoppt und schließlich stark eingeschränkt.

Rezeptoren. Ähnlich wie Sibutramin wirkt auch der Stoff Rimonabant (Markenname Acomplia). Er blockiert die Cannabinoidrezeptoren in Gehirn und Leber sowie in Fett- und Muskelzellen. Auch bei diesem rezeptpflichtigen Medikament wurde neben einer Gewichtsreduktion von durchschnittlich acht bis zehn Prozent eine günstige Wirkung auf den Zucker- und Fettstoffwechsel nachgewiesen. Weil eine umfangreiche Studie mit 6000 adipösen Personen eine deutliche Gewichtsreduktion ergeben hat, wurde für die USA und Europa die Zulassung von Rimonabant zur Behandlung von krankhafter Fettsucht und Diabetes mellitus beantragt.

Neben diversen Diäten und medikamentösen Hilfen zum Fettabbau werden seit Jahren invasive oder chirurgische Methoden zum Fettabbau angeboten, deren Wirksamkeit von manchen Experten bezweifelt wird. Das Problem bei der Beurteilung dieser Methoden ist aber, dass keine wissenschaftlich fundierten Langzeitstudien vorliegen, sondern nur Studien mit kleineren Probandenzahlen, die mal die Wirksamkeit, mal die Unwirksamkeit einer bestimmten Methode belegen. Ein solcher Streitfall ist die angebliche Wunderwaffe „Lipostabil N“, eine unter dem Namen „Fett-weg-Spritze“ bekannte und in Österreich gar nicht zugelassene Substanz, die mittels feiner Nadeln in das Unterhautfettgewebe injiziert wird und dort ohne Nebenwirkungen Fettzellen wegschmelzen soll.

Während eine von Forschern der Wiener Medizinuniversität und der Universität Wien an 50 Probandinnen durchgeführte Studie der Fett-weg-Spritze durchaus Wirksamkeit bescheinigt, kam eine an der Medizinischen Universität Graz durchgeführte Studie zum gegenteiligen Ergebnis. Nach 14 Wochen dreimaliger fachgerechter Applikation änderte sich außer anfänglichen Rötungen und leichtem Ziehen im störenden „Reiterhosenbereich“ nichts am äußeren Erscheinungsbild der 26 Probandinnen. Die Prozedur konnte keinen Zentimeter an Fettgewebe beseitigen. Selbst das Lipometer, ein eigens kreiertes und patentiertes Messgerät der Medizinischen Universität Graz, bestätigte die metrische Nullnummer mit wissenschaftlich nachvollziehbarer Akkuratesse.

Die Leiterin des Experiments, Dermatologie-Professorin Daisy Kopera, sieht durch das Untersuchungsergebnis eine lang gehegte These bestätigt: „Diese Spritze ist ein Kapitel mehr in der unseriösen Story ,So bekommen Sie Ihr Fett weg‘ – allerdings rein finanziell gesehen.“

Magen-Bypass. Weit weniger umstritten als die Fett-weg-Spritze sind chirurgische Eingriffe wie die Magenverkleinerung oder der Magen-Bypass, die allerdings nur bei Fällen von krankhaftem Übergewicht als Mittel der Wahl gelten. Ohne Nebenwirkungen oder Gefahren sind allerdings auch diese Methoden zur Gewichtsreduktion nicht. „Es gibt im Bereich der Adipositas-Chirurgie sehr viele Komplikationsmöglichkeiten“, berichtet beispielsweise der Allgemeinmediziner und stellvertretende niederösterreichische Patientenanwalt Alexander Ortel.

Wie bei anderen chirurgischen Eingriffen kann es mitunter auch bei dieser Art von Operationen zu schwerwiegenden Komplikationen kommen, erzählt der Präsident des Berufsverbands österreichischer Chirurgen, Franz Stöger. So hatte der auch als Gutachter tätige Stöger einen Fall zu beurteilen, wo bei einem operativ eingezogenen Magenband zur Verengung der Magenpassage der Magen verletzt wurde, ohne dass der Operateur das zur Kenntnis nahm. Nach einer Sepsis als Folge des Kunstfehlers sitzt der kaum 40-jährige Patient heute im Rollstuhl.

Jenseits solcher Einzelfälle ist die Bilanz der Adipositas-Chirurgie laut Stöger überwiegend positiv. So liegt die Erfolgsquote beim Magenband zwischen 70 und 75 Prozent. Bei diesem Eingriff wird in den Magen knapp unterhalb des Mageneingangs ein ringförmiger Schlauch eingezogen, der sich nach abgeschlossener Operation mittels Injektion von außen mit einer Flüssigkeit füllen lässt. Je mehr Flüssigkeit in den Schlauch injiziert wird, desto enger wird die Magenpassage.

Tücken. Dass die Methode durchaus ihre Tücken hat, musste auch Adipositas-Patientin Monika Bevilaqua erfahren, die sich nach unzähligen erfolglosen Diäten und Behandlungen und nach Beratung mit ihrem Hausarzt zu einem derartigen Eingriff entschlossen hatte. Die Operationskosten von 5000 bis 6000 Euro, die sie sich selbst nicht hätte leisten können, übernahm die Kasse nach eingehender Prüfung des Falls. Immerhin wog die Patientin inzwischen 116 Kilo, bei einer Körpergröße von 168 Zentimetern. Sie litt unter Atemnot, konnte kaum stiegensteigen, war wund an den Beinen, hatte psychische Probleme.

Zunächst schien die Operation erfolgreich zu sein. Bevilaqua verlor nach und nach an Gewicht und konnte sich endlich wieder ungehindert bewegen.

Doch „das mit Worten nicht zu beschreibende Gefühl“, wie sie sagt, hielt nicht allzu lange an. Heftiges Sodbrennen und Erbrechen führten schließlich dazu, dass sie sich den Magenring auf Anraten ihrer Ärzte wieder entfernen und stattdessen einen Magen-Bypass anlegen ließ. Dabei wird der Magen umgangen, indem eine direkte Verbindung zwischen der Speiseröhre und dem Dünndarm weit unterhalb des Magens geschaffen wird, sodass der Speisebrei am Magen vorbeigeleitet wird. Heute wiegt Bevilaqua aufgrund des erfolgreich verlaufenen Eingriffs nur noch 62 Kilogramm, geht Bergwandern, fährt Rad und fühlt sich nach eigener Aussage „wie ein junges Mädchen“.

Von Robert Buchacher und Andrea Fallent
Mitarbeit: Ulrike Moser