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Universitäten. Die Daueraffären an den Medizinunis

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Der amerikanische Biochemiker Eric Arn wäre mit seinen Referenzen von Harvard bis Stanford in jedem Labor der Welt willkommen gewesen. Er hatte Angebote in Kanada und Amerika in der Tasche, entschloss sich aber, mit seiner Frau nach Österreich zu kommen. "Die größte Fehlentscheidung meines Lebens“, resümiert der heute 45-jährige Forscher, der seine wissenschaftliche Karriere für beendet betrachtet. Stattdessen arbeitet er als Kommunikationstrainer und gibt Englischunterricht.

Grund für den ungewollten Branchenwechsel waren laut Arn Intrigenspiele seines Chefs, des deutschen Hirnforschers Michael Kiebler, Leiter der Abteilung für neuronale Zellbiologie im Hirnforschungszentrum der Wiener Medizinuniversität. Arn behauptet, Kiebler habe ihn nicht nur gegen seine Kollegen ausgespielt, sondern sich auch noch Fördergelder in Höhe von mehr als 313.000 Euro einverleibt, die Arn für eines seiner Forschungsprojekte beim Wissenschaftsfonds beantragt und bewilligt bekommen hatte.

Seit Jahren dominieren Intrigen, mani-pulierte Studien, Überforderung, Proteste, chronische Unterfinanzierung und ärztliche Kunstfehler die mediale Berichterstattung über Österreichs Medizinuniversitäten - mehr als Berichte über deren wissenschaftliche Leistungen. Unter den herrschenden Bedingungen werden junge, talentierte Medizinforscher vergrault oder ins Ausland abgedrängt, international renommierte Wissenschafter bewerben sich kaum noch. Der Ruf der einst bedeutenden österreichischen medizinischen Wissenschaft steht vor dem Ruin.

Für einen erheblichen Imageschaden sorgte beispielsweise im Jahr 2008 die urologische Abteilung der Medizinischen Universität Innsbruck. Dort wurde an Hunderten Patienten eine nicht genehmigte Studie zur Behandlung von Harninkontinenz mittels Zelltherapie durchgeführt. Die Studienautoren feierten die neue Behandlungsmethode als großen Erfolg, in Wahrheit war die Therapie nicht nur in vielen Fällen wirkungslos, sondern konnte sogar zu einer Verengung der Harnröhre führen. Erst als ein von schweren Nebenwirkungen geplagter Patient klagte, flog der Wissenschaftsbetrug auf.

Kurz danach sorgten angeblich gefälschte Daten einer Wiener Handystudie für Aufregung. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass elektromagnetische Strahlung bereits in geringen Dosen - wie sie von Handys ausgehen - einen schädlichen Einfluss auf menschliche Zellen haben kann. Die von Mobilfunk-nahen Medizinern angezweifelten Daten konnten aber von anderen Forschern reproduziert werden, sodass der Fälschungsvorwurf nicht mehr hielt. Die Angelegenheit entpuppte sich als eine vom Rektor der Wiener Medizinuniversität, Wolfgang Schütz, nicht sehr professionell gemanagte Affäre.

Im Sommer 2008 kommentierte die angesehene Zeitschrift "Nature“ die Vorfälle so: "Austria is a small country, and networks between power-brokers are small and tight. Something, it seems, is rotten in the State of Austria, and it needs to be faced and dealt with openly.“ (Frei übersetzt: Österreich ist ein kleines Land, die Netzwerke zwischen den Machtjongleuren sind klein und eng. Etwas scheint faul im Staate Österreich, man muss es endlich erkennen und offen damit umgehen.)

Doch auch nach diesem internationalen Rüffel wurde keine der jüngsten Affären auch nur annähernd aufgearbeitet. So konnten beispielsweise jene Urologen, die für den Zelltherapie-Skandal verantwortlich waren, nach einer kurzen Suspendierung weiterarbeiten, da das österreichische Gesetz keine Sanktionen für wissenschaftliches Fehlverhalten vorsieht.

Nicht nur, dass von Aufarbeitung der Affäre keine Rede sein kann - die Uniklinik Innsbruck sorgte seither für weitere Skandale. Im vergangenen Herbst wurde bekannt, dass an der Kinderklinik der grob fahrlässige Einsatz des Narkosemittels Propofol Kindern das Leben kostete, weitere sind schwer behindert (profil 47/2011).

Die aktuelle Affäre im Hirnforschungszentrum zeigt darüber hinaus ein seltsames Sittenbild der heimischen Medizinunis. Peter Husslein, Chef der Wiener Universitätsfrauenklinik, glaubt jedoch, es gebe heute mehr Transparenz als vor einigen Jahren: "Solche Fälle hat es immer gegeben - nur sind sie früher gar nicht publik geworden.“

Die mit 1. Jänner 2004 von den Hauptunis abgespalteten Medizinuniversitäten haben eine Reihe struktureller Probleme, welche Fehlverhalten begünstigen. Eines davon ist die Machtstellung und daraus resultierende Willkür der Klinik- oder Institutschefs. Der pragmatisierte Professor Herbert H. (Name von der Redaktion geändert) fand eines Tages kommentarlos ein Bewerbungsschreiben auf seinem Schreibtisch, das er zunächst für einen Irrläufer hielt. Seine Recherchen ergaben, dass dahinter ein Wunsch des Klinikchefs stand - aber der Bewerber/die Bewerberin war minderqualifiziert. H. hatte also nur die Wahl, seine Mitarbeiter zu vergraulen oder seinen Klinikchef. Er entschied sich für die zweite Variante. Seither ist er sein Labor los und geht spazieren.

Die unbeschränkte Macht der so genannten OELs (Organisationseinheitsleiter) kritisiert auch der Vorsitzende des Universitätsrats der Wiener Medizinuniversität, Erhard Busek, ehemaliger ÖVP-Wissenschaftsminister und Vizekanzler: "Über ihnen steht nur noch der Rektor, der natürlich auch noch viele andere Aufgaben hat. Es würde vielleicht helfen, dazwischen eine Kontrollinstanz einzuführen, damit einzelne Institutsleiter nicht völlig willkürlich fuhrwerken können.“

Starre Hierarchien an den Kliniken wirken sich auch negativ auf die Patienten aus, sagt der Gesundheitsökonom Guido Offermanns, Organisationsforscher an der Klagenfurter Alpe-Adria-Universität: "Es sollte viel mehr in einem Team auf Augenhöhe gearbeitet werden, was das Pflegepersonal einschließt, denn dieses sieht die Patienten schließlich viel häufiger als der Primararzt, der nur zur Chefvisite anrückt.“

Der Wiener Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer sieht in den Pragmatisierungen eines der Hauptprobleme der Medizinischen Universitäten: "Pragmatisierte müssen sich nicht mehr anstrengen, sie sind ja unkündbar.“ Eine Evaluierung des wissenschaftlichen Outputs alle paar Jahre könnte Abhilfe schaffen. Zwar werden schon seit Jahren keine Pragmatisierungen mehr vergeben, aber die alten Festanstellungen blockieren die Karrierechancen junger, ambitionierter Forscher.

Viele Jungforscher bekommen nur noch befristete Jobs. Eine neue, so genannte "Kettenvertragsregel“ sollte dafür sorgen, dass Universitätsmitarbeiter nach sechs Jahren Vollzeitbeschäftigung angestellt werden müssen - führt aber nur dazu, dass die Jungforscher nach dieser Zeit in die Wüste geschickt werden, weil die Universitäten fürchten, dass sie diese Mitarbeiter nie wieder loswerden. Das schmälert die - durch Pragmatisierte ohnehin geringen - Aufstiegschancen noch zusätzlich.

Wichtiger als die fachliche Qualifikation ist oft das Netzwerk, dem ein Forscher angehört. Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich an den Medizinischen Universitäten Freundeskreise, von Freimaurern bis zum Kartellverband, Posten und Macht teilen. Wer keinem dieser Netzwerke angehört, hat es schwer, Karriere zu machen. Da viele Männernetzwerke vorherrschen, haben es Frauen nochmals schwerer.

Der Rektor wird von einem politisch besetzten Senat gewählt. Weil er wiedergewählt werden will, muss er die Wünsche der Senatsmitglieder wahren. Der internationale Ruf und die Qualität der Universität stehen dabei zwangsläufig nicht immer an erster Stelle.

Wie wenig fachliche Qualifikation zählt, belegt auch die Beschwerde, die ein habilitierter Jungarzt (er will nicht namentlich genannt werden, weil er Intrigen der Kollegenschaft befürchtet) kürzlich an die Ärztekammer richtete. Es sei ein Skandal, dass man derzeit eine Facharztqualifikation ohne einschlägige Prüfung, nur durch zwei- oder dreijährige Praxis an einer Fachabteilung erlangen könne. "Viele machen Dienst nur auf dem Papier und erschwindeln sich somit Qualifikationen“, wettert der Jungarzt. Im Netzwerk würden einander auf dem Papier Facharztausbildungen zugeschanzt, die man später für eine Primariatsstelle benötige, ohne dafür wirklich qualifiziert zu sein, behauptet der Jungarzt. "Dieses System hilft nur Postenschacherern, jedoch nicht den Patienten“, schließt das Beschwerdeschreiben.

Beim Wiener AKH kommt hinzu, dass das Universitätsklinikum zwei Träger hat. Die Stadt Wien benötigt das Spital für die medizinische Versorgung der Bevölkerung, der Bund ist für Forschung und Lehre zuständig. "Natürlich geht das nicht gut, wenn jemand Diener zweier Herren spielen muss“, echauffiert sich Uniratsvorsitzender Busek. Viel Energie geht an den Reibeflächen zwischen Bund und Stadt verloren.

Aufgrund von Einsparungen fehlt oft das ärztliche Personal für die wachsende Patientenversorgung, für Lehre und Forschung bleibt kaum noch Zeit. Viele nachgeordnete Mediziner arbeiten oft bis an ihre Kapazitätsgrenzen, um den Spagat zwischen beiden zu schaffen, was sich da und dort auf die Qualität niederschlägt und die Fehleranfälligkeit erhöht.

So mancher Klinikchef kümmert sich mehr um seine privaten Ordinationen und Institute und vernachlässigt dabei seine Klinik. "Ich bin ganz für eine Diskussion, ob man Nebeneinkünfte von Universitätsmitarbeitern überhaupt verbieten soll, nur soll man sie dann, bitte schön, endlich ordentlich bezahlen“, erklärt Peter Husslein, Chef der Wiener Universitätsfrauenklinik. Fördergelder werden laut Husslein immer rarer, der Konkurrenzdruck steigt, das Arbeitsklima wird allmählich vergiftet - und verlockt laut Husslein dazu, dass Wissenschafter bei Studien wie in Innsbruck schwindeln. "Mit etwas Glück fällt so etwas gar nicht auf“, so der Klinikchef.

Außerdem, so Husslein, sei mit den derzeitigen Mitteln eine adäquate Ausbildung des Nachwuchses illusorisch. So ist es international oft üblich, dass Diplomanden oder Dissertanten von einer Kommission betreut werden, in Österreich hingegen ist der Kandidat der Willkür des Doktorvaters ausgesetzt, der nicht selten das Thema der Forschungsarbeit bestimmt, um sie später für seine eigenen Zwecke verwenden zu können. "Doch wie sollen wir bei diesen Arbeitsbedingungen und Mitteln und der Vielzahl an Studenten solche Kommissionen bilden?“, fragt Husslein.

Der pragmatisierte Spaziergänger Herbert H. vergleicht die Situation der Wiener Medizinuni mit dem sinkenden Schiff Costa Concordia: "Die Einsparungen, die als Gesundschrumpfen bezeichnet werden, führen nur dazu, dass die jungen Matrosen von Bord gehen, sofern sie kein Netzwerk haben, an dem sie sich festhalten können. Die Führungsebene und allen voran der Kapitän denken jedoch zunächst an sich und setzen sich als Erste ins Rettungsboot.“