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Mehr Geld für Brüssel!

Mehr Geld für Brüssel!

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Wolfgang Schüssel hat ja Recht, wenn er vorschlägt, eine EU-Steuer (etwa auf Flugbenzin) einzuführen, weil „die Union eine eigene, sichere Finanzquelle benötigt“. Die Idee folgt einer durch und durch vernünftigen Logik. In dem Maße, in dem die EU sich weiter zu einer Art Staat integriert, muss sie ja zwangsläufig auch Steuerhoheit erhalten.

Wenn sich Brüssel zu einem Teil direkt finanziert, wäre das zudem ein wenig Gegengewicht zu jener Tendenz, die Europa gerade auch angesichts der kommenden Osterweiterung so gefährlich erfasst hat: dem Steuersenkungswettlauf, der in Ermangelung einer koordinierten EU-Fiskalpolitik immer schneller wird.

Eine EU-Steuer würde auch den unsäglichen Konflikt zwischen so genannten Nettozahlern und Nettoempfängern ein wenig entschärfen. In diesem Streit spielt freilich Schüssel als Vertreter des Nettozahlers Österreich, das sich „nicht weiter schröpfen lassen will“, eine höchst aktive Rolle. So macht der österreichische Kanzler seinen guten Vorstoß in Richtung EU-Steuer wieder zunichte, wenn er gleichzeitig vehement gegen eine von der Kommission geplante Erhöhung des EU-Budgets auftritt.

Da steht er freilich nicht allein da. Bereits kurz vor Weihnachten hatten die Regierungschefs von Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Holland, Dänemark und auch Österreich in einem Brief gefordert, den Brüsseler Haushalt auf dem heutigen Niveau von einem Prozent des Bruttonationaleinkommens aller EU-Staaten einzufrieren, statt, wie es die Kommission will, ihn bis an die festgelegte und bislang nie ausgeschöpfte Obergrenze von 1,24 Prozent aufzustocken. Finanzminister K.-H. Grasser: „Völlig inakzeptabel.“ Warum eigentlich? Es ist verständlich, dass nationale Regierungen und Politiker publikumswirksam verkünden, sie würden sich gegen die Brüsseler Begehrlichkeit wehren. Verständlich ja. Vernünftig mitnichten. Einer der großen Erfolge Europas war ja immer schon die über den EU-Haushalt, über die Strukturfonds gemanagte Umverteilung von den Reicheren zu den Ärmeren. Die rasante Modernisierung Spaniens, Portugals und Irlands legt dafür Zeugnis ab. Und der beeindruckende Aufstieg dieser Länder hat nicht nur ihnen, sondern ganz Europa gut getan.

Dabei ist das Brüsseler Budget ohnehin klein. Zieht man die eher kontraproduktiven Großsubventionen für die Landwirtschaft, die etwa die Hälfte ausmachen, ab, wirkt der EU-Haushalt geradezu minimal. Wie sagt doch Peter Balacs, ungarischer EU-Botschafter und einer der wenigen Klarsichtigen in dieser Frage: „Selbst 1,24 Prozent wären nur Peanuts.“ Und die viel geschmähte Brüsseler Verwaltung, dieser „Moloch“, ist weitaus kleiner als etwa die Rathausbürokratie in Wien. Natürlich kann man auch bei den EU-Finanzen umschichten, vielleicht sogar rationalisieren, aber bei dem geringen Geldvolumen würde dies das Kraut auch nicht fett machen.

Jetzt jedoch kommen zehn neue Länder hinzu, die allesamt weit ärmer sind als die Altmitglieder. Den Neuen beim Aufholprozess zu helfen wäre eine Selbstverständlichkeit.

Dass die Integration dieser Länder etwas kostet, sollte unbestritten sein. Abgesehen von moralischen Aspekten: Eine großzügige finanzielle Unterstützung – sie müsste ja nicht gleich die Dimensionen des einstigen Marshallplans haben – wäre eine Investition in die Zukunft, vor allem auch eine Investition in eine dynamische Region, die – wenn alles gut geht – das Zeug hat, künftig Wachstumsmotor für die gesamte EU zu werden. Und Wachstum und Dynamik sind genau das, was Europa Anfang des 21. Jahrhunderts mehr braucht als alles andere.

Es ist ja nicht nur die Osterweiterung, die Mittel benötigt. Um Europa vorwärts zu bringen, das derzeit politisch, geistig und wirtschaftlich stagniert oder zumindest weniger dynamisch ist als andere Weltregionen, muss investiert werden: in Forschung, in Entwicklung, in Transportwege, in die Außenpolitik, ja, auch in die Verteidigung. Die Weltlage fordert eindeutig mehr Europa. Und das gibt es nicht gratis.

Dem steht aber offenbar jener Zeitgeist gegenüber, der unter dem Motto „Geiz ist geil“ durch den Kontinent weht. Überall sitzen die großen Knauserer: in fast allen europäischen Staatskanzleien, wo sie unter Berufung auf angebliche Sachzwänge nicht nur Brüssel die Gelder kürzen wollen, sondern gerade auch darangehen, den europäischen Wohlfahrtsstaat kaputtzusparen. Vor allem aber herrschen die Sparmeister in der Frankfurter EZB, wo die allzu mächtigen Zentralbanker offenbar nur verbissen Geldwertstabilität im Kopf haben und nach wie vor jener monetaristischen Wirtschaftstheorie anhängen, die von der US-Politik schon zu Beginn der neunziger Jahre über Bord geworfen wurde.

Sparen, sparen, sparen. Das ist die Devise. Und sie drückt sich auch in den Mentalitäten aus: in bornierter Zukunftsangst und depressivem Kleingeist. Der herrscht nun überall. Und muss überwunden werden. Europa muss, soll es nicht weiter stagnieren oder gar sich zurückentwickeln und zerfallen, eine offensive Expansionspolitik betreiben.

Und das ginge. Es mag ja stimmen, dass keynesianische Politik – antizyklisches Agieren, Deficit-Spending, Großprojekte und Beschäftigungsprogramme – in nationalen Volkswirtschaften nicht mehr so recht greift. Zu klein sind die nationalstaatlichen Märkte im Rahmen der durch und durch internationalisierten Ökonomie. Auf gesamteuropäischer Ebene wäre aber eine so bewusst handelnde und zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik sehr wohl effektiv.

Die ist aber inexistent. Dazu fehlen bislang auch die Instrumente. Die Diskussion über die Einführung einer EU-Steuer weist nun zumindest in die richtige Richtung. Das ist zu begrüßen. In Zeiten wie diesen wird man ja schon bescheiden.