„Mein Kampf" wird neu aufgelegt

„‚Mein Kampf‘ wird kein Bestseller“

Interview. Der deutsche Historiker Götz Aly erklärt, warum Hitlers „Mein Kampf" kein Bestseller werden wird

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Interview: Franziska Dzugan

profil: Ab Jänner 2016 ist der Nachdruck von Adolf Hitlers Buch „Mein Kampf“ wieder erlaubt. Wird es wieder ein Bestseller?
Aly: Nein. Es wird sich nur ein begrenzter Kreis von Lesern für das Buch interessieren. Der Freistaat Bayern verfügt über die Urheberrechte, die Ende 2015 auslaufen, und hat den Nachdruck bis dahin verboten. Aber man kann auch jetzt das Buch im Internet herunterladen oder am Flohmarkt kaufen. Niemand wird belangt, weil er das Buch besitzt.

profil: Glauben Sie, dass das Verbot die Neugier der Leute gesteigert hat?
Aly: Nein. Der Nationalsozialismus ist gut aufgearbeitet, wir haben viele Gedenkstätten, in den Schulen wird nichts mehr verschwiegen. Man muss Hitler nicht mehr dämonisieren, sondern kann ihn in seiner abgründigen Gewissenlosigkeit, aber auch in seiner Lächerlichkeit darstellen. In „Mein Kampf“ begründete er sein politisches Programm aus seiner freilich stilisierten Lebensgeschichte nach dem Motto: Ich komme von ganz unten, ich bin einer von euch. Das war damals völlig neu und faszinierte die Leute. Heute ist „Mein Kampf“ kein spannendes Buch mehr. Es beschäftigt sich mit einer Zeit, die neunzig Jahre zurückliegt.

profil: Soll man die Leute auf die Neuerscheinungen vorbereiten?
Aly: Natürlich werden wir eine in Schweinsleder gebundene Ausgabe der Rechtsradikalen haben. Der deutsche Staat gibt derzeit sechs Millionen Euro für eine kommentierte Ausgabe aus. Das ist völlig übertrieben. Niemand interessiert sich für die einzelnen Textänderungen oder die wissenschaftlichen Kommentare. Um den Rechten entgegenzutreten, sollte man in den Schulen mit dem Buch arbeiten. Die Bildungsministerien können die Lehrer ­darauf vorbereiten. „Mein Kampf“ ist eine wichtige Quelle, um zu verstehen, warum so viele Menschen Hitler damals verehrt haben. Als Einstieg empfehle ich Helmut Qualtingers Lesung aus „Mein Kampf“.

profil: In Ihrem Seminar an der Uni Wien lassen Sie die Studenten mit „Mein Kampf“ arbeiten. Wie sieht das aus?
Aly: Unser Ziel war es herauszufinden, war­um Hitler für seine Zeitgenossen so attraktiv war. Die Studenten sollten Hitler nicht auf die Rassenlehre reduzieren, sondern sehen, was er über Bildung, die Rolle der Gewerkschaften, den sozialen Aufstieg, das Bürgertum oder die Habsburger sagte. Die Zeitgenossen interessierten sich für den „Schandfrieden“ von Versailles und für das Wiedererlangen nationaler Stärke. Nicht alle Hitler-Gefolgsleute waren in erster Linie Antisemiten, wie auch viele Hitler-Gegner von Antisemitismus nicht frei waren.

profil: In Braunau wird darüber diskutiert, wie das Geburtshaus Hitlers zukünftig genutzt werden soll. Was denken Sie?
Aly: Ich würde keinen Erinnerungsort dar­aus machen. Ich würde im Stadtmuseum in einem kleinen Raum die kurze Geschichte der Familie Hitler in Braunau nüchtern zeigen. In Hitlers Geburtshaus sollte wieder eine soziale Einrichtung einziehen.

Götz Alys Studenten präsentieren ­ihre Analysen unter dem Titel „Eine ziemlich deutsche Geschichte. ­Hitlers ‚Mein Kampf‘: Revue in 12 Akten“
30. Jänner 2013, 19 Uhr, Aula am Universitätscampus, Spitalgasse 2–4, Hof 1