Memoiren

Memoiren: Von Freunden und Freunderln

Von Freunden und Freunderln

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Manche Dinge ärgern ihn bis heute. Etwa „diese geistreichen Anmerkungen über Anzugstoffe“, damals, als „der Nadelstreif zur Punzierung herhalten musste. Offenbar sind die Träger einfarbiger oder karierter Jacken die wahren Arbeiterführer.“

Das hat Franz Vranitzky, Sohn eines Eisengießers aus Wien-Hernals, immer am meisten geärgert: dass ihn bürgerliche Blätter als einen an der Spitze der Roten völlig deplatzierten Lebemann bespöttelten; dass Bruno Kreisky ihn und seinesgleichen als Parvenüs aus dem Bankfach abtat; dass ihm just Ex-Freund Hannes Androsch empfahl, er möge sich mehr an Schauplätzen himmelschreiender Klassengegensätze, am Brunnenmarkt oder am Praterstern, aufhalten als auf schnöseligen Golfplätzen.

All das – und einiges andere mehr – will der frühere Bundeskanzler Franz Vranitzky in seinen diese Woche erscheinenden Lebenserinnerungen zurechtrücken. Am 17. Februar wird das Buch im Jugendstil-Ambiente der Wiener Postsparkassa offiziell präsentiert. Die Akteure der Zeremonie sollen die Breite von Vranitzkys Schaffen demonstrieren: Die Laudatio hält Gerhard Zeiler, Chef der größten deutschsprachigen Privat-TV-Anstalt RTL; ein Interview mit dem Autor führt Armin Thurnher, Chefredakteur der kleinen Wiener Stadtzeitung „Falter“.

Elf Jahre lang, von 1986 bis 1997, war Franz Vranitzky, heute 66, der Bundesregierung vorgestanden, nur Bruno Kreisky hatte länger amtiert. Die SPÖ hatte er seinem Nachfolger Viktor Klima mit 38 Stimmprozenten aus den Wahlen 1995 übergeben. Etwa ebendort war sie in den Umfragen gelegen, als Vranitzky im Juni 1986 das Amt von Fred Sinowatz übernommen hatte.

Er übernahm damals die Verantwortung für eine Partei, die ihm trotz seiner proletarischen Herkunft in vielem fremd blieb. Letztlich hat er ihr einiges abgerungen, sogar den Namen: Sozialdemokratisch – statt sozialistisch – heißt die SPÖ seit 1991 in der Langform.

Der studierte Betriebswirt, der die acht Jahre vor dem Wechsel in die Politik in den Vorstandsetagen von Creditanstalt und Länderbank verbrachte, hatte besonders mit dem ideologischen Unterbau seiner Partei Probleme: „Eine verstaatlichte Firma braucht keinen Gewinn, eine verstaatlichte Bank hat in erster Linie volkswirtschaftliche und nicht betriebswirtschaftliche Ziele zu verfolgen: Solche Losungen bekam ich in den Versammlungen ebenso serviert wie bei Vorsprachen von Gewerkschaftern“, schreibt Vranitzky.

Letztere verwirtschafteten so den roten Handelsriesen Konsum. Vranitzky: „Für Anton Benya, den langjährigen Aufsichtsratsvorsitzenden des Konsum, war jede kritische oder auch nur hinterfragende Anmerkung zum Konsum ein Sakrileg.“ Als Ende der achtziger Jahre rote Notenbanker den ÖGB-Chef auf den dramatischen Geschäftsverlauf aufmerksam machten, wurden sie laut Vranitzky scharf in die Schranken gewiesen: „Sie erhielten die Antwort, sie sollten sich nicht die diffamierenden Worte der politischen Gegner zu Eigen machen.“

„Androsch-Clan“. Mit ähnlichen Widrigkeiten hatte er in der SPÖ zu kämpfen: „Ich und meine Mitstreiter stießen auf wenig Verständnis, wenn wir die Notwendigkeit ansprachen, die Kreditaufnahmen des Staates einzudämmen.“ Vranitzky stand dabei ein großes Vermächtnis im Weg: „Nicht nur einmal sagte man mir bei Diskussionen über die Staatsverschuldung, ich möge mir ein Beispiel an Bruno Kreisky nehmen, der habe halt noch sozialistische Politik gemacht.“

Mit Kreisky hatte Vranitzky oft Probleme: Der Altkanzler hielt ihn für ein zentrales Mitglied des berüchtigten „Androsch-Clans“. Dass Vranitzky vor seinem Wechsel ins Finanzministerium Bankdirektor gewesen war, machte ihn umso verdächtiger – auch wenn es die SPÖ unter Kreisky gewesen war, die ihn 1976 in den CA-Vorstand entsandt hatte.

Am nachhaltigsten verübelte Kreisky dem neuen Ressortchef, dass er seinen Mann in der Regierung verdrängte, den Tiroler Herbert Salcher. Vranitzky hielt von Salcher tatsächlich nicht viel: „Er war in der Materie nicht wirklich zu Hause ... Salcher hatte in der Himmelpfortgasse eine seltsam eigenbrötlerische Küchenkabinettsstruktur aufgebaut, die sich der ausgezeichneten Beamtenschaft kaum bediente.“

Zum totalen Zerwürfnis mit dem großen Alten kam es, als Vranitzky 1987 Kreiskys geliebtes Außenministerium an die ÖVP abtrat – abtreten musste, wie er in seinem Buch schreibt: „Angehörige der eigenen Riege sind zu Kreisky gelaufen und warnten: ,Der Vranitzky gibt das Außenministerium her!‘“ Zu diesem Zeitpunkt habe er Mock in den Verhandlungen fast so weit gehabt, ein anderes Ressort anzunehmen, so Vranitzky. Als Kreisky dann öffentlich davor warnte, den Schwarzen das Kleinod zu überlassen, „kam für Mock nichts anderes mehr infrage“.

Das Verhältnis zwischen Kreisky und Vranitzky verbesserte sich erst nach dem Bruch zwischen diesem und Androsch. In den letzten Lebensjahren Kreiskys wurde die Beziehung beinahe freundschaftlich.

Bemerkenswert ist eine Episode, die Vranitzky in seinen Memoiren erstmals ausführlich schildert: den Versuch, ihn 1992 mithilfe von ÖGB-Präsident Anton Benya als Bundeskanzler loszuwerden. „Benya wollte mich ,im Namen von Freunden – er nannte keinen, und ich wollte keinen wissen – dazu gewinnen, als Präsidentschaftskandidat anzutreten ... Ich wollte dem Ansinnen unter keinen Umständen näher treten“, schreibt Vranitzky. „Das sagte ich Anton Benya, und ich stellte außerdem die Frage, wer denn nach seiner und der ,Freunde‘ Auffassung nach mir Bundeskanzler werden sollte. ,Rudolf Streicher‘, meinte er.“

Vranitzky enthält sich jeder weiteren Spekulation. Der Name Hannes Androsch kommt – wiewohl ein Freund von Benya und Streicher – in diesem Buchkapitel nicht vor. Interessante Parallele: 1974 hatten Hannes Androsch und Leopold Gratz dem damaligen Kanzler Kreisky ebenfalls eine Präsidentschaftskandidatur angeboten. Es war der Beginn des Bruchs zwischen Kreisky und seinen beiden „Kronprinzen“.

Kragenweiten. Eher gespannt war auch das Verhältnis Vranitzkys zur mächtigen Wiener SPÖ. Vranitzky über Bürgermeister Helmut Zilk: „Ich dürfte nicht seine Kragenweite gewesen sein, verhehle aber nicht, dass auch ich vieles von dem, was er so trieb, aus argwöhnischer Distanz beobachtete. Etliche seiner Auftritte hielt ich nicht für Politik, sondern für eine Art von Aktionismus.“

Zwischen dem Kanzler und dem Wiener SPÖ-Obmann Hans Mayr stimmte einfach die Chemie nicht. „Mit ihm“, schreibt Vranitzky, „führte ich unzählige Gespräche über Partei und Politik, die aber selten zu konkreten Aktivitäten führten. Dies nicht zuletzt deshalb, weil Mayr die Arbeit meiner Kabinettskollegen offensichtlich nicht hoch bewertete und weil er heute im Gespräch erwähnte Punkte morgen einfach vergaß.“

Als Nachfolger Zilks und Mayrs hatte Vranitzky Innenminister Franz Löschnak forciert, sich damit aber nicht durchgesetzt: Beide Funktionen gingen an Michael Häupl. Auch Häupl erwies sich in der Folge nicht als glühender Vranitzky-Fan: „Als ich im Jänner 1997 meine Ämter an Viktor Klima übergab, verbarg Häupl seine Zufriedenheit darüber nicht. Es fielen Sätze wie jener von der Rückkehr der Wärme in der Partei.“ Nachtragend will der Altkanzler dennoch nicht sein: „Ich bezeichne mein heutiges Verhältnis zu ihm als unkompliziert.“

Wichtigste Stützen in der SPÖ waren für Vranitzky Unterrichtsminister Rudolf Scholten und Finanzminister Ferdinand Lacina: „Er erfüllte in all den Jahren meine Erwartungen hervorragend.“

Weniger Berührungsängte als viele seiner Parteifreunde hatte der großkoalitionäre Kanzler gegenüber manchen Vertetern der ÖVP: Heinrich Neisser, Josef Taus, Robert Graf, Franz Fischler und Rudolf Schwarzböck seien ihm „zuverlässige Gesprächspartner“ gewesen.

Josef Riegler, Vizekanzler zwischen 1989 und 1991, dürfte Vranitzky am nächsten gestanden sein: „Er war anständig, charakterlich einwandfrei, einsatzfreudig und unter Garantie nicht Haider-anfällig. Riegler war ein zu konstruktiver Zusammenarbeit bereiter Partner.“

Auch Erhard Busek hatte Vranitzkys Sympathie: Dieser sei ein pakttreuer Partner und hervorragender Wissenschaftsminister gewesen. „Ich persönlich hielt die Art, wie sich die Volkspartei ihres Obmanns Busek entledigte, nicht für fair.“

Recht amüsant ist hingegen die von Vranitzky wiedergegebene Anekdote von der Unterzeichnung des EU-Beitrittsvertrags in Korfu im Jahr 1994. Bundespräsident Thomas Klestil hatte damals kurzzeitig versucht, dem Kanzler das Vertretungsrecht in den EU-Gremien streitig zu machen – eine rechtlich nicht haltbare Position. So war Klestil in Korfu uneingeladen bei einem Essen aufgetaucht, das der griechische Ratspräsident für die anwesenden Regierungschefs gab. Vranitzky: „Das Erstaunen war nicht gering, als Klestil plötzlich ebenfalls erschien. Der Skurrilität entbehrte das Geschehen nicht. An die Tafel wurde ein zusätzlicher Sessel herangeschoben, der aus Platzgründen nicht so breit sein konnte wie die bereits vorher aufgestellten.“

Mit anderen Schwarzen konnte er wenig anfangen, etwa mit CA-Generaldirektor Heinrich Treichl. Als Vranitzky 1976 in den CA-Vorstand entsandt wurde, sprach Treichl seinen andersfärbigen Vorstandsdirektor nicht einmal an. Vranitzky beschreibt in seinem Buch den ersten Kontakt: „Am zweiten Arbeitstag schaute Treichl wie beiläufig vorbei. ,Oh, Sie sind hier? ,Ich arbeite da.‘ ,Schon, aber ich dachte, Sie hätten noch politische Verpflichtungen.‘ Das war’s dann.“

Am schwersten tat sich Vranitzky allerdings mit Alois Mock. „Mock verhandelte nicht, er gab Standpunkte kund und stellte Forderungen.“ Seine Ressortführung sei „eine Mischung aus Geheimnistuerei, Schaffung vollendeter Tatsachen, gewürzt mit fraktionellen Alleingängen“ gewesen. An der Seite Kurt Waldheims „zog Mock alle Register einer antiamerikanischen und antiisraelischen Politik, die sich ein Außenminister der Republik hätte versagen sollen“.

Auch der Umstand, dass Mock 1986 mit der Haider-FPÖ koalieren wollte – die ÖVP ging nicht mit – dürfte das Vertrauensverhältnis getrübt haben. Haider spielt in Vranitzkys Erinnerungen keine besondere Rolle: „Mein grundsätzlicher Vorbehalt ist in seiner Unfähigkeit begründet, sich vom Nationalsozialismus zu distanzieren ... Das ist von jedem Menschen zu verlangen, der die Grundelemente des Humanismus nicht negiert.“

Du-Kultur, Unkultur. Die Enttäuschung über seinen Nachfolger Viktor Klima verhehlt Vranitzky nicht: „Klima und seine engere Umgebung waren sichtlich bemüht, personell, stilistisch und im Umgang mit dem Koalitionspartner neue Akzente zu setzen“, schreibt er. Den zurückhaltenden Vranitzky, der nur wenigen Mitarbeitern und keinem einzigen Vertreter einer anderen Partei das Du-Wort angetragen hatte, störte die oberflächliche Amikalität, die nun unter Klima in der Regierung ausbrach: „Das Du-Wort wurde im Ministerrat herumgereicht, und es gelang ihm zunächst, eine offene, lockere Atmosphäre mit den Leuten der ÖVP herzustellen. Die Zeiten des formellen, trockenen Vranitzky seien nun vorbei, hörte ich.“

Zwei Jahre später war es dann auch mit der Koalition vorbei. Vranitzky trocken: „Der Vorrat an gegenseitigem Respekt war aufgebraucht, die Du-Kultur versank in Unkultur.“

Bei den folgenden Koalitionsverhandlungen zur Jahreswende 1999/2000 habe Klima den Fehler gemacht, sich auf die von Klestil verlangten Sondierungsgespräche einzulassen: „Er hätte einen anderen Auftrag als den der Regierungsbildung niemals annehmen dürfen. Ich habe Klima schon in den Herbsttagen beschworen, sich nicht von Klestil abspeisen zu lassen.“

Dem Bundespräsidenten nimmt der Altkanzler seine Aversion gegen die schwarz-blaue Regierung zwar ab, vermisst aber Konsequenzen: „Sein Rücktritt hätte die reale Antwort auf die letztlich von ihm herbeigeführte Situation sein müssen. Thomas Klestil hätte ein wichtiges Kapitel Geschichte geschrieben.“

Ein Dokument der Selbstkritik sind Vranitzkys Memoiren nicht. Kleine Schwächen gesteht er immerhin ein: etwa seinen Hang zu „endlosen Schachtelsätzen“, in denen er zu viel habe unterbringen wollen. Er sei sie inzwischen losgeworden. Konsequenz: „Jetzt fragen mich Leute, warum ich so kurz angebunden bin.“