Forscher entdecken Menschen-Merkmal

Merkmal der Menschen: Unterschiede von Rassen, Ethnien und Menschengruppen

Die Unterschiede von Rassen und Ethnien

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Wenn die US-Psychiaterin Sally Satel das Antidepressivum Prozac – österreichischer Handelsname: Fluctine – verschreibt, setzt sie bei Afroamerikanern eine niedrigere Dosis an als bei Weißen. Ihre überraschende Begründung: „Schwarze verarbeiten den Stimmungsaufheller langsamer als Weiße und Asiaten.“ Studien würden belegen, „dass Krankheiten und Therapien nicht farbenblind sind“, sagt Satel, Professorin an der Eliteuniversität Yale in New Haven, Connecticut, ihren Studenten sowie den ­Lesern ihrer Bücher. Daher sollten auch Mediziner und Forscher „ihre Farbenblindheit ablegen“. Satels Aussagen klingen fast rassistisch, sind es aber nicht. Die feinen medizinischen Unterschiede zwischen verschiedenen Ethnien und Populationen erleben derzeit einen regelrechten Boom in der naturwissenschaftlichen Fachliteratur. Bereits im Jahr 2004 hatte das Fachjournal „Nature Genetics“ berichtet, dass für mindestens 29 verschiedene Medikamente Studien vorlägen, wonach bestimmte Arzneien aufgrund genetischer Unterschiede in einzelnen Populationen verschieden wirken. Inzwischen liegen solche Untersuchungen für nahezu hundert Medikamente vor.

Mit dem Herzmedikament BiDil hat die US-Arzneimittelbehörde nun erstmals in der Medizingeschichte ein Präparat nur für Afroamerikaner zugelassen. Und vor wenigen Wochen publizierten US-Wissenschafter um Sandra Soo-Jin Lee von der kalifornischen Stanford University erstmals Richtlinien für einen ethisch korrekten Umgang mit den medizinischen Unterschieden zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen. Unter dem Titel „The Ethics of Characterizing Difference“ (Die Ethik bei der Charakterisierung von Unterschieden, ­Genome Biology, 2008, 9:404) präsentierte die Stanford-Forschergruppe aus Molekularbiologen, Medizinern, Soziologen, Juristen und Historikern zehn Gebote, deren erstes sinngemäß lautet, dass keine Rasse besser oder schlechter sei als die andere. Ein Faktum, das längst als Allgemeingut betrachtet wurde, bedarf nun ­offenbar einer nochmaligen Unterstreichung.

Immerhin führt die medizinische Datenbank „PubMed“, in der alle in international relevanten Journalen publizierten Artikel gespeichert sind, für das vergangene Jahrzehnt mehr als 30.000 Studien an, die Patienten nach rassischen oder ethnischen Kriterien unterscheiden – darunter auch Studien aus Österreich. Allein im laufenden Jahr wurden gut 2000 solcher Arbeiten publiziert. Die jüngste, im vergangenen November veröffentlichte Studie („Neurology“, 2008 Nov 4;71(19):1489-95) befasst sich mit der Alzheimer-Krankheit. Forscher des Columbia University Medical Centers in New York behaupten darin, dass die durchschnittliche Überlebensrate nach Diagnosestellung bei nicht hispanischen Weißen im Durchschnitt 3,7 Jahre betrage, bei Afroamerikanern 4,8 Jahre und bei Hispaniern (Lateinamerikanern) 7,6 Jahre. Ihre Schlussfolgerung: „Zu den Faktoren, die das Überleben mit Alzheimer beeinflussen, gehört auch die Rasse.“

Seit der Entschlüsselung des Humangenoms im Jahr 2001 fördern Wissenschafter immer mehr genetische Unterschiede verschiedener Herkunftsgruppen zutage, wenngleich die Erbinformationen aller Menschen zu etwa 99,9 Prozent identisch sind. Nur in einem Tausendstel seines Erbguts unterscheidet sich also ein Mensch vom anderen, egal, ob Afrikaner, Asiate oder Europäer. „Lassen wir solche Unterschiede bewusst unter den Tisch fallen“, argumentiert der Genetiker Neil Risch von der Stanford University, „erweisen wir den betroffenen Gruppen letztlich einen Bärendienst.“

Es sei unbestrittene Tatsache, „dass genetische Unterschiede dafür mitverantwortlich sind, dass ein Medikament dem einen Patienten besser hilft als dem anderen“, erklärt der Humangenetiker Markus Hengstschläger von der Medizinischen Universität Wien. „Dieses Wissen führt in Zukunft immer mehr zu persönlich maßgeschneiderten Therapiekonzepten – zu einer so genannten individualisierten ­Medizin.“ Ziel müsse es aber sein, „nicht etwa Menschen in Gruppen einzuteilen, sondern vielmehr die genetische Individualität in Therapiekonzepte einfließen zu lassen“, sagt Hengstschläger. „Ich persönlich denke, dass eine Diskussion über genetische Determinanten für eine rassische Unterteilung des Menschen nicht zielführend ist.“ Denn unterschiedliche Genvarianten treten auch innerhalb von Rassen, Ethnien oder Populationen auf, und die Entstehung von Krankheiten wird auch aus anderen, nicht genetischen Gründen begünstigt, aus sozioökonomischen oder soziokulturellen ebenso wie aus Gründen des Lebensstils und der Verhaltensweisen.

Krebshäufigkeit. So wächst beispielsweise derzeit die Krebshäufigkeit in Schwellenländern wie China oder Indien, vor allem, weil die Menschen mit steigendem Wohlstand mehr Fleisch ­essen und mehr rauchen. Lebensstilfragen und Verhaltensweisen prägen auch die Krankheitsanfälligkeit in ­Österreich, wo sich sowohl in der Sterblichkeit wie beim Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs ein deutliches, wenn auch langsam schwächer werdendes Ost-West-Gefälle zeigt. Im Jahr 2006 lag die Sterblichkeit in Wien laut Statistik Austria um sechs Prozent höher als im Österreich-Durchschnitt, hingegen in Kärnten und Salzburg um fünf beziehungsweise sechs, in Vorarlberg und Tirol sogar um neun beziehungsweise elf Prozent unter dem Österreich-Durchschnitt, weil sich die dort lebenden Menschen traditionell mehr bewegen.

Auch die Ernährungsgewohnheiten sind ein Faktor. So fällt beispielsweise auf, dass es in Ostasien viel weniger Brustkrebsfälle gibt als in den hochentwickelten west­lichen Ländern. Die Forscher vermuten ­einen Zusammenhang mit dem Genuss von Sojaprodukten anstelle von Kuhmilch, weil die in Soja enthaltenen Isoflavone als Verwandte des weiblichen Sexualhormons Östrogen den Östrogenstoffwechsel beeinflussen könnten, „aber die Datenlage ist schwach“, sagt Ruth Pfeiffer, eine Österreicherin, die an den National Institutes of Health (NIH) in Bethesda, Maryland, forscht. Derzeit untersucht die Epidemiologin, wie Soja die Östrogenwerte von in den USA lebenden Asiatinnen beeinflusst.

Neben den Ernährungsgewohnheiten gibt es aber noch kulturelle und religiöse Faktoren, welche die Entstehung von Krankheiten begünstigen können. Ein beliebtes Studienobjekt des NIH sind beispielsweise die Old Order Amish in Pennsylvania, eine verhältnismäßig kleine, deutschstämmige Population, welche die moderne Technik ablehnt und bis heute den Lebensstil des 18. Jahrhunderts pflegt. Da die Angehörigen dieser Gruppe zumeist nur untereinander heiraten, führt der begrenzte Genpool dazu, dass verhältnismäßig viele der Amish-Kinder an geistig-körperlichen Behinderungen wie Down- oder Rett-Syndrom leiden, zumeist hervorgerufen durch erbliche Stoffwechsel­erkrankungen.

Sowohl genetische wie sozioökonomische Faktoren dürften dafür ausschlaggebend sein, dass bestimmte Krankheiten in der afroamerikanischen Bevölkerung häufiger auftreten als in anderen Populationen. Laut Statistik leiden Afroamerikaner sechsmal häufiger als Weiße an der blind machenden Augenkrankheit Glaukom und zeigen eine um 350 Prozent höhere Todesrate aufgrund von Bluthochdruck. Afroamerikanische Männer erkranken häufiger an Prostatakrebs, afroamerikanische Frauen sterben viermal häufiger nach einer ­Geburt als weiße. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Afroamerikaner ­beträgt 73,3, jene der Weißen hingegen 77,9 Jahre. Studien belegen, dass Amerikaner nicht weißer Hautfarbe eine schlechtere soziale und medizinische Versorgung bekommen als Weiße, auch wenn sie genauso viel verdienen und genauso gut versichert sind.

Umso skeptischer ist die Epidemiologin Pfeiffer, wenn es um Versuche von Wissenschaftern geht, komplexe Krankheiten wie etwa Krebs primär an Genvarianten festzumachen: „In meinen bisherigen Arbeiten hat sich gezeigt, dass dafür neben den Genen auch Umwelteinflüsse, also auch soziokulturelle Faktoren eine Rolle spielen. Daraus kann man keine Rassen konstruieren.“

Erbkrankheiten. Dennoch wächst die Zahl der Gesundheitsprobleme und Leiden, die Mediziner mehr der einen oder anderen Gruppe zuschreiben. So tritt beispielsweise die Hämochromatose, eine erbliche Eisenspeicherkrankheit, bei 7,5 Prozent aller Schweden auf, ist aber bei Chinesen so gut wie unbekannt. Und bestimmte Brustkrebsgene oder die tödliche Tay-Sachs-Erbkrankheit sind vor allem bei in Europa und Nordamerika lebenden Juden verbreitet. Die Absicht jener Biomediziner, die nach bestimmten Genvarianten forschen, um aufgrund ihrer Erkenntnisse immer zielgerichtetere und daher effizientere Therapien entwickeln zu können, klingt für die Juristin Christiane Druml, Vorsitzende der österreichischen Bioethikkommission zwar „sehr plausibel und verspricht einen großen medizinischen Nutzen“, aber der Trend habe auch weitreichende Konsequenzen. Vor allem gelte es, „die Stigmatisierung von Einzelnen oder ganzer ­Bevölkerungsgruppen zu verhindern“ und auch die Grenzen der Forschung zu dis­kutieren.

Von Andreas Feiertag