Meteorologie: Wet- terbericht von MetOp

Meteorologie: Wetterbericht

Satellit soll Unwetter bes- ser vorhersagbar machen

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Dreimal musste der Start verschoben werden, jetzt soll es endlich klappen: Am 7. Oktober wird eine Sojus-ST-Rakete den europäischen Wettersatelliten MetOp vom Kosmodrom Baikonur in den Himmel heben. An Bord sind elf Messgeräte, welche die Erdatmosphäre mit bisher unerreichter Genauigkeit vermessen sollen. Zudem fliegen die Hoffnungen der Meteorologen mit: Sie erwarten sich von MetOp Hilfe für ihre Prognosen – sowohl für das lokale Wetter der nächsten Tage als auch für das Weltklima der kommenden Jahrzehnte.

Eumetsat, jene Behörde, die im Auftrag der europäischen Staaten den Wettersatelliten betreibt, verspricht vollmundig: MetOp bringe eine „Revolution“ bei der Beobachtung von Wetter, Klima und Umwelt. Die Daten würden dazu beitragen, Wirbelstürme oder Überschwemmungen zuverlässiger vorherzusagen. Dies wiederum würde helfen, Sturm- und Flutschäden zu verringern. Damit soll freilich auch suggeriert werden: Die rund 2,4 Milliarden Euro, die das gesamte MetOp-Programm kostet, sind gut angelegtes Geld.

Doch was kann der Satellit wirklich? Die Klimawissenschafterin Helga Kromp-Kolb von der Universität für Bodenkultur in Wien zeigt sich optimistisch: „Wir können noch gar nicht abschätzen, welche Fragen wir mit den neuen Messdaten beantworten können.“ Ob MetOp wirklich funktionieren wird wie versprochen, ist für sie aber noch nicht ausgemacht: Sie rechnet auch mit „negativen Überraschungen“, denn solche hätte es bei Projekten dieser Größenordnung bisher immer gegeben.

Für eine positive Überraschung wollen dagegen Forscher von der Technischen Universität Wien sorgen. Sie haben in letzter Minute eine Methode entwickelt, mit der sich aus den Messdaten zusätzliche Informationen ableiten lassen.

Neues Prinzip. Sicher ist vorerst, dass MetOp anders ist als alle europäischen Satelliten, mit denen Wetterexperten jemals zu tun hatten. Denn seit dem Beginn der Wetterbeobachtung aus dem All vor 30 Jahren haben sich die Europäer auf so genannte geostationäre Satelliten verlassen. Das sind Himmelskörper, die in einer Höhe von 36.000 Kilometern um die Erde kreisen. In dieser Distanz vollführen sie einen besonders sorgfältig choreografierten Tanz mit der Erde. Hier oben müssen die Satelliten genau so schnell durchs All sausen, dass sie die Erde in exakt 24 Stunden umkreisen. Weil sich in dieser Zeit auch die Erde einmal um die eigene Achse dreht, wendet sie dem Satelliten stets den gleichen Teil ihrer Oberfläche zu.

Vier solcher Satelliten sind derzeit über Europa stationiert, und sie liefern vor allem Infrarotbilder, auf denen sich die Bewegung der Wolken kontinuierlich beobachten lässt. „Daraus können wir Rückschlüsse auf Windstärke und Druckverhältnisse in der Atmosphäre gewinnen“, erklärt Veronika Zwatz-Meise von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien. Doch die große Entfernung hat auch einen Nachteil: „Aus dieser großen Entfernung lassen sich keine kleinen Details mehr erkennen.“

MetOp funktioniert anders: Die Sojus-Rakete wird den Satelliten in eine so genannte polare Umlaufbahn befördern, der Satellit wird also abwechselnd über Nord- und Südpol hinwegfliegen, während sich die Erde unter ihm ständig weiterdreht. Wichtiger ist jedoch die Flughöhe: Die Wetterstation bewegt sich nur 817 Kilometer über der Erdoberfläche – das entspricht ungefähr der Distanz zwischen Wien und Bregenz.

Diese Position erlaubt völlig neue Aufnahmen: Statt des großen Überblicks der geostationären Satelliten soll MetOp Detailaufnahmen von bisher unbekannter Auflösung liefern. Ein Bildpunkt auf den MetOp-Aufnahmen entspricht einem Quadrat mit einer Seitenlänge von nur einem Kilometer. Meteorologen können aufgrund dieser Detailgenauigkeit besser ersehen, wo die Luftschichten stabil und wo sie labil geschichtet sind, und daraus wiederum können sie Vorhersagen lokaler Regenschauer ableiten.

Dreidimensional. Außerdem liefern die Sensoren eine Reihe spezieller Daten: Die Mehrzahl der Instrumente misst Temperatur und Feuchtigkeit der Luft. Aus der Vielzahl der Messungen lassen sich erstmals dreidimensionale Bilder errechnen, auf denen die Verteilung von Temperatur und Luftfeuchtigkeit vom Erdboden bis in die obersten Schichten der Stratosphäre sichtbar wird. Informationen über die vertikale Verteilung dieser Werte ließen sich bisher nur durch Radiosonden ermitteln, die an Wetterballons die Atmosphäre durchquerten – und naturgemäß nur die Luftverhältnisse entlang der Flugbahn des Ballons messen konnten.

Der Satellit nutzt noch einen besonderen Trick: Sensoren fangen Sonnenstrahlen auf, die knapp an der Erde vorbei, aber durch die Atmosphäre zum Satelliten gelangen. Die Reise durch die Luft verändert das Sonnenlicht: Ein Teil wird absorbiert. Die exakte Analyse des Spektrums, das beim Satelliten ankommt, erlaubt schließlich Rückschlüsse auf Temperatur und Feuchtigkeit in der Atmosphäre. Das 3-D-Bild der Zustände in der Atmosphäre soll die Wetterprognosen zutreffender machen. Ein Beispiel: Die Beobachtung der klassischen „Wetterfronten“ hilft wenig für die Prognose von starken Niederschlägen. Wenn die Meteorologen das Bild der Wetterfronten aber mit Messwerten von Luftschichten in fünf bis zehn Kilometer Höhe überlagern, können sie genaue Unwetterprognosen abgeben: „Wo besonders kalte und trockene Luftmassen in der Höhe die tiefer gelegenen, labilen Wetterfronten kreuzen, kann es zu besonders wetterintensiven Ereignissen kommen“, erklärt Meteorologin Zwatz-Meise.

Doch MetOp soll auch nach einem weiteren Prinzip das Wettergeschehen auf der Erde beobachten. Dazu wurde ein Gerät namens „Ascat“ eingebaut, um Winde über den Ozeanen zu vermessen. Der Apparat schickt in schrägem Winkel Mikrowellen Richtung Erde. Insgesamt sechs Antennen analysieren die reflektierten Signale: Ist die Meeresoberfläche spiegelglatt, wird kaum Strahlung zum Satelliten zurückgeworfen – was auf Windstille schließen lässt. Treffen die Mikrowellen indes auf hohe Wellen, steigen die Chancen, dass Reflexion in Richtung Satellit abstrahlt. Aus der so ermittelten „Rauigkeit“ des Meeres wiederum lassen sich Windgeschwindigkeit und -richtung errechnen.

Zusatzinformation. Dass Ascat noch mehr leisten soll, ist Wiener Forschern zu verdanken. Wolfgang Wagner vom Institut für Photogrammetrie und Fernerkundung der Technischen Universität Wien erdachte ein Konzept, mit dem das Gerät auch dann nutzbar sein soll, wenn es nicht die Meere, sondern festen Boden untersucht: Dann nämlich soll es den Wassergehalt des Bodens prüfen. Anfangs stieß die Idee zu dieser Effizienzsteigerung des Satelliten auf Skepsis in der Fachwelt. „Uns wurde gesagt, dass das nicht funktionieren könne, weil es schon bisher nicht funktioniert hat“, berichtet Wagners Mitarbeiter Klaus Scipal, der die Idee weiterentwickelte. „Alle dachten, dass Pflanzen den Blick auf den Boden zu stark verstellen würden.“

Doch die Techniker fanden einen „einfachen Algorithmus“, so Scipal, der dieses Problem ausschaltet. Die Fachwelt blieb skeptisch, die Wiener Forscher ließen nicht locker. Sie bearbeiteten alte Mikrowellenmessdaten anderer Satelliten mit ihrem Algorithmus und verglichen die Resultate mit den am Boden erhobenen Feuchtigkeitswerten. Die Daten stimmten weit gehend überein. „Hätten wir diese Resultate einfach in einem wissenschaftlichen Journal publiziert, wäre unsere Idee in den Schubladen verstaubt“, glaubt Scipal. Um dies zu verhindern, entschlossen sich er und Wagner zu einem ungewöhnlichen Schritt: Ungefragt schickten sie ihr Bodenfeuchtemodell an rund hundert einschlägig forschende Institutionen und präsentierten es zudem im Internet – der PR-Feldzug war erfolgreich.

Daten nützen. Inzwischen stellte sich außerdem heraus, dass mit den angewandten Methoden voraussichtlich nicht nur die Wetterberichte verbessert, sondern auch Prognosen über Ernteerträge möglich werden. Jedenfalls steht fest, dass die MetOp-Daten auch nach der Methode der Wiener Forscher analysiert werden. Die Umsetzungsarbeiten dürften allerdings noch rund ein Jahr dauern. Bis zu deren Vollendung können die Ascat-Daten nur für die Beobachtung der Meereswellen genutzt werden.

Das ist jedoch nicht der einzige Beitrag Österreichs zum rasenden Wetterhäuschen. Der in Wien und Berndorf beheimatete Weltraum-Ausstatter Austrian Aerospace hat Bauteile im Wert von 20 Millionen Euro zugeliefert, darunter jene Kunststoffhülle, die den Satelliten vor den extremen Temperaturunterschieden im All schützen soll „wie eine Windjacke“, so Austrian-Aerospace-Mitarbeiter Gerald Zeynard. Das kosmische Kleid ist auch dringend nötig: Auf der der Sonne zugewandten Seite wird der künstliche Himmelskörper 200 Grad heiß sein, auf der Schattenseite indes herrschen Temperaturen von minus 200 Grad.

Mehr High-Tech steckt in Geräten zur digitalen Datenverarbeitung, die ebenfalls von Austrian Aerospace geliefert wurden. Die Prozessoren haben die Aufgabe, die anfallenden Messresultate zu komprimieren, sodass weniger Datenmenge zur Erde gefunkt werden muss. Allein das Gerät „Iasi“, das Bilder im Infrarotspektrum aufnehmen wird, produziert pro Sekunde 45 Megabyte an Information. In einer Stunde fällt dadurch ein Datenwust an, der mehr als 200 CDs bis zum letzten Byte füllen würde. Das in Österreich gefertigte Bauteil reduziert diese Menge auf ein Dreißigstel.

Dass das Verfahren nach Angaben der Konstrukteure funktioniert, wird vermutlich bei den Satellitenbetreibern für Erleichterung sorgen. Denn die Datenlawine aus dem All bringt einige Schwierigkeiten mit sich. „Schon als die vorletzte Generation von Satelliten ins All geschossen wurde, musste die European Space Agency (ESA) die Keller ihrer Gebäude in Darmstadt ausbauen: als Lagerplatz für die Daten-Magnetbänder“, sagt Zeynard.

Ozonloch übersehen. Zudem steigt mit der schieren Informationsmenge das Risiko, Wichtiges zu übersehen. Diese Erfahrung mussten amerikanische Wissenschafter 1985 machen. Sie hatten seit 1977 einen Wettersatelliten im polaren Orbit, der unter anderem die Ozonkonzentration in der Atmosphäre beobachten sollte. Keinem der beteiligten Forscher fiel Besonderes auf – bis ein gewisser Joe Farman Alarm schlug. Er war jahrelang mehrmals täglich unter das Dach der britischen Forschungsstation Halley Bay in der Antarktis geklettert, hatte von dort die Sonne angepeilt und die Zusammensetzung der Atmosphäre ermittelt. Ende 1981 bemerkte er den Rückgang des Ozons. 1985 publizierte er seine Entdeckung im Wissenschaftsjournal „nature“. Erst jetzt öffneten die Amerikaner ihre Archive, prüften die Daten nach – und konnten nur im Nachhinein bestätigen, dass sich jeweils im Frühjahr ein gewaltiges Ozonloch über der Antarktis bildet. Der Grund für den Fehler: Computer hatten die Auffälligkeiten zwar registriert, die Werte aber als „Messfehler“ aussortiert.

Um weitere Peinlichkeiten zu verhindern, gilt in der europäischen Meteorologenzunft heute strenge Arbeitsteilung bei der Voranalyse der gesammelten Information. Ob Ozonkonzentration, Bodenfeuchtigkeit, Meerestemperatur – für jede Fragestellung gibt es Spezialisten. Die Wiener Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik zählt zu jenen vier Zentren, in denen aus den Daten schließlich eine aktuelle Wetterprognose errechnet wird.

Bis es so weit ist, muss erst noch der Start des Satelliten klappen. Den werden die Techniker der Austrian Aerospace nicht vor Ort miterleben. Wenn sie 72 Stunden vor dem Start ihre letzten Handgriffe am Satelliten erledigt haben werden, müssen sie abreisen. Der Grund: Im abgelegenen Kosmodrom gibt es nur wenige Unterkünfte – und die werden zum Starttermin für begüterte Promi-Gäste gebraucht, die aus erster Reihe mitverfolgen wollen, wie das Herzstück ihrer 2,4-Milliarden-Euro-Investition in die Luft gejagt wird.

Von Gottfried Derka