Michael Schotten-berg: „Ich schreie ja!“

Michael Schottenberg: „Ich schreie ja!“

Der Volkstheaterdirektor im profil-Interview

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profil: Die Anfangseuphorie Ihrer Intendanz scheint verflogen. Bereuen Sie es bereits, Volkstheaterdirektor zu sein?
Schottenberg: Bis jetzt noch nicht. Man kann Theater nicht wie im Sport mit Zwischen- und Endzeiten messen. Gewisse Entwicklungen brauchen ihre Zeit – das Ensemble formiert sich langsam, ich muss auch erst die internen Strukturen des Hauses lernen. Ich stelle mich aber der permanenten Überforderung und lebe meinen Theaterwahnsinn aus.
profil: Als Sie das Haus im vergangenen September übernahmen, lautete einer Ihrer Vorsätze: nicht über Geld jammern. Hat sich das mittlerweile geändert?
Schottenberg: Ich jammere nicht. Ich stelle nur fest, dass es jährlich eine kollektivvertragliche Lohnerhöhung gibt, seit 2000 wurden aber zugleich die Subventionen eingefroren. Entweder wir bekommen irgendwann mehr Geld, oder wir streichen Produktionen und nehmen Entlassungen vor. Für mich kommen diese Einsparungsmöglichkeiten nicht infrage. Das wären ja auch keine künstlerischen Entscheidungen, sondern politische.
profil: Das Volkstheater verfügt über keinen allzu großen Spielraum. Claus Peymann hätte in einer ähnlichen Situation längst aufgeschrien.
Schottenberg: Ich schreie ja. Ich war auch bereits beim Kulturstadtrat, der unsere Probleme versteht. Peymann hätte diesen Job wahrscheinlich gar nicht übernommen, weil er gewohnt ist, weich zu liegen.
profil: Liegen Zahlen zur Auslastung des Haupthauses sowie der Spielstätte Hundsturm vor?
Schottenberg: Das Haupthaus ist zu 64 Prozent ausgelastet. Der Hundsturm geht noch nicht sehr gut, das kann sich aber von heute auf morgen ändern. Wir raufen noch mit einer entsprechenden Positionierung.
profil: Ihre Eröffnungsproduktion „Spiegelgrund“ war finanziell gesehen immens aufwändig. Haben Sie sich übernommen?
Schottenberg: Wir hatten für diese Produktion Sponsorengelder aufgestellt, aber es stimmt, es war eine sehr teure Produktion. Deshalb haben wir bei anderen Stücken eingespart. „Indien“ war vergleichsweise billig. Ich bekomme ja nicht mehr Subventionen als meine Vorgängerin. Wenn ich zu viel für den „Spiegelgrund“ ausgegeben hätte, wäre ich ja von meinem Dienstgeber bereits entlassen worden.
profil: Wo liegt die Schmerzgrenze? Im Hundsturm kann man sich etwa kein Theaterblut mehr leisten. Schlägt sich der Sparzwang bald auch auf die künstlerische Arbeit nieder?
Schottenberg: Den Hundsturm haben wir so konzipiert, dass die Produktionen kaum etwas kosten sollen. Wir stellen den Hundsturm-Regisseuren alle Ressourcen des Haupthauses zur Verfügung. Man muss allerdings, wie bei einer Produktion im großen Haus, bereits weit im Vorfeld anmelden, was man will.
profil: Kommt es da nicht zwangsläufig zu Kollisionen: hier das behäbige Haupthaus, dort die schnelle Nebenspielstätte, die zudem nichts kosten soll?
Schottenberg: Die Alternative ist: kein Hundsturm. Wenn ich eine Lesung im Weißen Salon des Volkstheaters mache, kann ich Schauspieler nicht schminken lassen, außer ich zahle dem Maskenbildner-Team, das am Abend Dienst hat, eine Doppelvorstellung. Das sind Dinge, mit denen ich bisher nie konfrontiert war.
profil: Gibt es Altlasten, die von Emmy Werner übernommen wurden?
Schottenberg: Das Problem des Hauses ist, dass es chronisch unterdotiert war und ist. Seit je gibt es auch nicht genügend Stauraum hinter der Bühne. Gewisse Bühnenbildner kann ich mir einfach nicht leisten, weil ich deren räumliche Bedingungen nicht erfüllen kann.
profil: Es heißt, Emmy Werner habe Ihnen in ihrer letzten Saison eine Summe im sechsstelligen Bereich an Verbindlichkeiten überlassen?
Schottenberg: Am 25. Jänner gibt es hierzu eine Aufsichtstratssitzung, der ich nicht vorgreifen will und darf. Die Sitzung wird sich hauptsächlich mit der Übergabe und dem laufenden ersten Halbjahr, von 1. Jänner bis 31. August, befassen.
profil: Es gab im großen Haus klare inhaltliche Fehlentscheidungen: Ist etwa eine junge Regisseurin wie Annette Pullen nicht zu unerfahren für die große Bühne?
Schottenberg: Ja, das war ein Risiko, das gebe ich gerne zu. Ich würde das aber nicht als gescheitert beurteilen. Gerade von Annette Pullen habe ich wunderbare kleinere Aufführungen gesehen. Ich wollte junge Regisseure aufbauen. Hätte ich Routiniers genommen, wäre ich auch kritisiert worden.
profil: Sie haben nicht verlautbart, dass Patrick Wengenroth den Hundsturm bereits im Dezember verlassen hat.
Schottenberg: Ich kann doch nicht pausenlos Presseaussendungen machen. Das Projekt Hundsturm steht in einem Lernprozess, vergleichbare Spielstätten in Wien wie das Kasino oder der Rabenhof haben eine gewisse Zeit gebraucht, bis sie etabliert waren.
profil: Welche Struktur hat der Hundsturm? Klemm und Wengenroth begriffen sich als Hausregisseure, nicht als Leiter.
Schottenberg: Wir haben nie behauptet, dass sie den Hundsturm leiten, aber sie sind wichtige Hausregisseure. Wir haben gesagt: Ihr könnt machen, was ihr wollt. Nur: Es gibt im Haupthaus eine Dramaturgie, es gibt eine Technik, ihr habt euch da einzufinden.
profil: Das alles hört sich an, als lägen die Unterschiede zu Ihrer Off-Theater-Zeit nur darin, dass die Strukturen am Stadttheater komplizierter sind.
Schottenberg: Ich mach eh dasselbe: Mit extrem wenig Geld versuch ich, extrem viel auf die Beine zu stellen. Wir hatten 15 Premieren in drei Monaten. Ein Output wie im Burgtheater. Wenn 700 Leute im Volkstheater sitzen, dann haben wir 280 Karten zu wenig verkauft. Aber man kann auch sagen: Das Haus ist immerhin zu drei Vierteln voll.

Interview: Karin Cerny, Wolfgang Paterno