USA:

Midlifecrisis

Die Midlifecrisis des George W. Bush

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Im Wahlkampf hatte sich der Kandidat als gemäßigter Konservativer, dazu als netter Mann von nebenan präsentiert. Nichts Radikales war an ihm zu entdecken, stets schien er auf Ausgleich bedacht. Seine Amtsführung war dann gänzlich anders. Wie kaum ein anderer amerikanischer Präsident seit Franklin Roosevelt versucht der Republikaner George W. Bush Amerika und die Welt umzukrempeln - aufgeschreckt von den Terroranschlägen im September 2001 sowie der Überzeugung, Gott und amerikanische Bürgermehrheiten voll auf seiner Seite zu haben.

Ob gewaltige Steuersenkungen zugunsten der Reichen, ob Verwässerung des Umweltschutzes mitsamt einem Dauerkniefall vor amerikanischen Wirtschaftsinteressen, ob Beschneidung von Bürgerfreiheiten, internationale Alleingänge und Präventivkriege: Erstaunlich ist die Liste der Umwälzungen, die Bush entweder bereits umgesetzt hat oder noch anstrebt.

Nun aber könnte es für den gelegentlich unterschätzten Rechtskonservativen im Weißen Haus erstmals brenzlig werden. Nicht nur, dass "die Sache im Irak die Kosten eines Imperiums zeigt", wie Lawrence Korb, unter Ronald Reagan ehemals Staatssekretär im Verteidigungsministerium, kritisch anmerkt. Der republikanische Revoluzzer Bush, der im Gefolge der Terroranschläge und der Feldzüge in Afgha- nistan und im Irak zeitweilig politisch nahezu unverwundbar erschien, ist in mehrfacher Hinsicht mit Entwicklungen konfrontiert, die seine politische Unverwundbarkeit nun gehörig unter Druck setzen.

Nach zweieinhalb Jahren Amtszeit kann der Jesus-Fan im Weißen Haus zwar auf eine leichte Belebung der Konjunktur verweisen, doch der Arbeitsmarkt ist weiterhin flau. Fast drei Millionen Jobs sind unter Bush vernichtet worden, vor allem in der Industrie und im High-Tech-Bereich wurde regelrecht abgeholzt.

Verbale Drehung. Falls sich der Arbeitsmarkt bis zu den Präsidentschaftswahlen im November 2004 nicht erholt, wäre Bush der erste Präsident seit Herbert Hoover, dem glücklosen Impresario der Weltwirtschaftskrise, während dessen Amtszeit die Anzahl der Arbeitsplätze in der US-Wirtschaft zurückgegangen ist. Während der zwei Amtsperioden Ronald Reagans waren 16 Millionen Jobs entstanden, unter Bill Clinton gar über 22 Millionen. Bush aber, ein Aficionado der kleinen verbalen Drehung, verkauft seine Steuersenkungen, die mitverantwortlich sind für das horrende Budgetdefizit von 455 Milliarden Dollar, noch immer als "Programm für die Schaffung von Arbeitsplätzen".

Ebenso wacklig erscheint die Versicherung des Kriegsherrn Bush, "die Ge- schichte werde beweisen", dass die Invasion des Irak "die richtige Entscheidung" gewesen sei. Aber bevor ihn die Historie zum weitsichtigen Feldherrn salbt, wird sich Bush in Sachen Irak möglicherweise doch noch irgendwann mit dem ständig lauter werdenden Chor an Zweiflern befassen müssen. So monierte die "New York Times" kürzlich, dass sich der Präsident bislang "einfach nicht auf die Frage einlässt, ob seine Regierung die irakische Bedrohung in den Monaten vor der amerikanischen Invasion übertrieben hat".

Bushs Selbstgewissheit und die Selbstherrlichkeit seiner neokonservativen Vordenker werden indes von der Truppe vor Ort nicht geteilt. In E-Mails und Briefen an Familienmitglieder zeichnen amerikanische Soldaten ein eher düsteres Bild der Lage im Irak. "Wie viele meiner Soldaten müssen sterben, bevor man realisiert, dass wir gegen eine Mauer gefahren sind?", schrieb ein amerikanischer Offizier in einem E-Mail an Oberst a. D. David Hack-worth, einen hoch dekorierten Veteranen des Vietnamkriegs.

Schon hoffen Gegner der Neokonservativen in beiden Parteien, der Feldzug gegen Saddam könnte sich für die Neo-Husaren zu einem Waterloo auswachsen. Mehr als 250 tote amerikanische Soldaten sind bislang zu beklagen, weit über 800 GIs verwundet worden - ungeachtet der Tatsache, dass der Oberkommandierende im Weißen Haus den Sieg über Saddam bereits am 1. Mai großspurig feierte, indem er in Pilotenmontur auf dem Deck eines Flugzeugträgers aufsetzte.

Ausflüchte. Jetzt verfallen die Adlaten des Präsidenten im Pentagon selbst vor dem Kongress in Ausflüchte, wenn Fragen nach den Kosten des irakischen Abenteuers gestellt werden. "Sie wünschen nicht, das zu diskutieren", befand frustriert der republikanische Senator Richard Lugar, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses. Vorvergangene Woche knöpfimmer E te sich dessen demokratischer Kollege Joe Biden den Hauptarchitekten des Krieges, den stellvertretenden Verteidigungsminister Paul Wolfowitz, vor. Die derzeitige Situation, raunzte Biden, sei unhaltbar. Die Vereinigten Staaten trügen "die Hauptlast der Kosten, stellen die meisten Truppen, verzeichnen die meisten Toten und tragen die Verantwortung".

Wolfowitz hatte vor dem Ausschuss freilich ein Rezept gegen imperiale Widrigkeiten parat: "Was wir vor allem brauchen, sind Iraker, die mit uns kämpfen." Der Ruf nach irakischem Entsatz verwunderte eher; schließlich hatte der Präsident selbst immer wieder stolz auf seine breite Kriegskoalition verwiesen - obschon auch hier wieder verbal gedreht wurde. Denn neben etwa 11.000 Briten stehen im Irak lediglich Mini-Kontingente aus Estland und Ungarn, den Niederlanden und Mazedonien, Norwegen und Kanada. Mal sind es 20 Koalitionäre, mal 100, von Bataillonen, Regimenten oder gar Divisionen aber keine Spur.

Was Wunder also, dass sogar eingefleischten Konservativen mulmig wird. "Außenpolitischer Konservatismus ist eingefärbt worden von Triumphalismus undkreuzzüglerischem Eifer", mäkelte der Kolumnist George Will, ansonsten ein treuer republikanischer Parteigänger, am imperialen Projekt der Neokonservativen. Längst bricht der alten republikanischen Garde um Papa Bush der Angstschweiß aus, wenn sie sich die forsche Außenpolitik des Juniors besieht.

Konservative Kritik. Jüngst taten sich einige der Konservativen sogar zu einem "Komitee für die Republik" zusammen und beklagten Bushs rabiate Außenpolitik sowie den Verlust an Bürgerfreiheiten. "Freiheit zu Hause", intonierten die Verfasser eines Manifests, "ist das erste Opfer einer abenteuerlichen Außenpolitik." Denn "um die hohen Kosten der Herrschaft über ausländische Territorien und Völker zu rechtfertigen, bleibt den Herrschenden keine Wahl, als das Volk anzulügen".

Und gelogen, oder zumindest übertrieben, wurde vor Kriegsbeginn kräftig. Atombomben werde Saddam nächstens besitzen, Berge von Bio- und Chemiewaffen habe er schon, al-Qa'ida-Terroristen gingen in Bagdad ein und aus - eher Panikmache denn tatsachenkonforme Situationsbeschreibung, meinen mittlerweile nicht nur Experten und politische Beobachter, sondern auch immer größere Teile der Bevölkerung. Nachdem das apokalyptische Waffenarsenal nicht gefunden wurde, dämpft der Präsident nun die Erwartungen und dreht erneut ein wenig an der Begrifflichkeit. Er sei sich sicher, versuchte Bush Ende Juli den anschwellenden Lärm der Kritiker in Medien und Kongress zu übertönen, "dass unsere Suche das, woran ich fest glaube, beweisen wird, nämlich dass Saddam Waffenprogramme hatte".

Misstrauen. Von tatsächlich existierenden Massenvernichtungswaffen war keine Rede mehr, stattdessen taten es nun "Programme " zum Bau von Massenvernichtungswaffen. Damit aber wollen sich viele Amerikaner nicht mehr abspeisen lassen, wobei nun erneut jene politische Polarisierung aufbricht, die das Land während der Clinton- Jahre gekennzeichnet hatte. Die Ungereimtheiten der Kriegsbegründungen - "eine Wolke, die über der Glaubwürdigkeit " der Regierung Bush hänge, so der republikanische Senator Chuck Hagel - haben jenen Teil der amerikanischen Wählerschaft mobilisiert, der Bush schon immer misstraut hat.

Nun fordert er eine Abrechnung in Form einer Untersuchung im Kongress oder sogar einen Sonderermittler wie einst Kenneth Starr. Die republikanischen Mehrheiten im Parlament werden dies blockieren, der Präsident aber läuft erstmals seit den Massenmorden in New York und Washington Gefahr, das Image des kompetenten und vertrauenswürdigen Kriegsherrn zu verlieren. Die Zahl jener, die Bush nicht mehr als Exponenten der moderaten rechten Mitte, sondern als Draufgänger mit weitgesteckten Zielen sehen, wird ständig größer. Und seine Umfragewerte sind auch nicht mehr so glänzend wie noch vor kurzem.

Er riskiere "seine Präsidentschaft, die fiskalische und geopolitische Stärke seiner Nation und die konservative Bewegung", analysiert der Washingtoner Kommentator Jonathan Rauch die verwegene Politik des Präsidenten. Jetzt könne man nicht mehr ausschließen, dass Bush bei der Wahl im November 2004 verliert - etwas, was vor kurzem noch als unvorstellbar galt.