Mikrobiologie: Lego im Labor

Ein Ziel ist die Erschaffung von künstlichem Leben

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Eines Tages soll sie richtig blinken – jene Kolonie von Stäbchenbakterien, an der Studenten des Massachusetts Institute of Technology (MIT) seit Frühjahr dieses Jahres tüfteln. Realisieren wollen die Nachwuchsforscher die ungewöhnliche Leuchtreklame, indem sie ganz spezielle biologische Schaltkreise in die winzigen Mikroben einschleusen. Dort sollen die Schaltelemente leuchtfähige Enzyme rhythmisch zum Strahlen bringen und mittels chemischer Botenstoffe außerdem die Organismen in regelmäßigem Abstand zueinander positionieren, sodass letztendlich ein Pünktchenmuster gebildet wird. Der Leiter des Kurses, der Biotechnologe Drew Endy, räumt ein: „Das ist gewiss keine leichte Aufgabe. Diese Technologie steht noch ganz am Anfang.“

Endy spricht vom noch jungen Forschungszweig der „synthetischen Biologie“. Diese Disziplin zielt darauf ab, Organismen zu Maschinen zu machen, die sich dekonstruieren und neu zusammensetzen lassen. „Wir entwickeln einen Baukasten biologischer Schaltelemente“, sagt Endy, „die Biologen und Ingenieure künftig nützen sollen, um Zellmaschinen zu bauen, genauso wie man heute Transistorteile für elektronische Schaltkreise konstruiert.“ Für Endy ist die Zelle dementsprechend nicht mehr als ein Ersatzteillager – ähnlich den Komponenten eines Radios.

Von einer solchen Vision ist es natürlich nicht mehr weit, eine Zelle von Grund auf neu bauen zu wollen – und damit künstliches Leben zu erschaffen, gewissermaßen eine verbesserte Version der Schöpfung. Damit beschäftigen sich Endy und eine Hand voll gleichgesinnter Forscher weltweit. Sie sind überzeugt, dass ihre Arbeit eine Revolution in der Biotechnologie anstößt. Sie wollen Leben auf seiner elementarsten Stufe wie einen Computer lenkbar machen: „Man kann auf diese Weise Zellen dazu bringen, zum Beispiel Gewebe zu bilden oder eines Tages im Körper verkalkte Adern zu säubern“, prophezeit Endy.

Zellautomaten. Basierend auf solchen Ambitionen, fand kürzlich am MIT die erste internationale Konferenz zu dem neuen Forschungsgebiet statt. Seit Anfang Mai fördert außerdem die Europäische Union mit neun Millionen Euro ein Projekt namens PACE (Programmable Artificial Cell Evolution Project). Ziel von PACE ist, eine programmierbare Zelle zu bauen. Die Welt der Mikroorganismen, bis vor kurzem allenfalls das Feld einiger Tüftler, entwickelt sich damit zusehends zur Großbaustelle. „Allerdings dauert das Design wirklicher Zellautomaten heute noch zu lange“, so Endy. „Es braucht Jahre, um zu nennenswerten Ergebnissen zu gelangen.“

So hat Homme W. Hellinga von der Duke University zwar am Computermodell Mikroben bereits so manipuliert, dass sie TNT in der Umwelt aufspüren können. Der Sprengstoff würde in der Zelle eine Kettenreaktion in Gang setzen, die den Winzling letztlich zum Leuchten bringt. Doch die praktische Umsetzung wird wohl Jahre dauern.

Jay Keasling von der University Berkeley tüftelt seit drei Jahren an Mikroben, die Artemisinin, einen heute noch kostspieligen Stoff zur Malariabekämpfung, günstig herstellen sollen.

Und Craig Venter, der Entschlüsseler des Humangenoms, hofft zwar, Bakterien zu erschaffen, die den Treibhauseffekt beseitigen und die Energieprobleme der Welt lösen, indem sie Kohlendioxid binden und Wasserstoff produzieren – doch von der Verwirklichung seiner Ideen ist Venter noch weit entfernt. Deshalb ist Endy der Ansicht, dass es quasi vorgefertigter genetischer Bauteile bedürfe, die Forscher wie in einem Baumarktkatalog aussuchen können: „Wir müssen Standardelemente entwickeln, um künftig Schaltkreise ohne große Komplikationen zu bauen.“

Bioschaltkreise. Zweck solcher Lego-DNS ist es, Bakterien unseren Wünschen anzupassen. In Endys Seminar entwarfen MIT-Studenten aus vorgefertigten DNS-Bausteinen Schaltkreise, die – in ein Darmbakterium eingebaut – dieses in regelmäßigen Abständen aufleuchten lassen. Die Teile dazu kommen aus Endys Manufaktur so genannter „Biobricks“. Dabei handelt es sich quasi um biologische Legosteine.

Die Schaltelemente haben zwei Komponenten: zum einen DNS-Abschnitte, die Gene aus- und anschalten, und zum anderen Gene, die Proteine produzieren. Aus diesen Komponenten lassen sich einfache wie auch komplizierte Schaltkreise konstruieren, die meist in Form eines ringförmigen DNS-Moleküls, eines so genannten Plasmids, in die Zelle eingeführt werden. Bestimmte „Signale“ wie ein niedriger Zuckerspiegel lösen dann Kettenreaktionen aus, an deren Ende etwa ein fluoreszierendes Protein steht – wodurch das Bakterium leuchtet.

Endys Arbeitsgruppe wollte ihre Bakterien zudem so manipulieren, dass sie periodisch blinken und mittels eines Botenstoffs in bestimmtem Abstand zueinander verharren. Aus den Fertigbauteilen entwarfen die Jungforscher Schaltpläne und schickten diese in ein Labor, um sie dort synthetisieren zu lassen. Die Studenten selbst ließen ganz bewusst die Hände von Pipette und Reagenzgläsern. Denn, so sieht Endys Vision künftiger Arbeitsteilung vor: Bioingenieure entwerfen, ohne sich den Kopf über molekularbiologische Details zerbrechen zu müssen.

Künstliches Leben. Andere Forscher wollen das Leben aus seinen Bestandteilen überhaupt völlig neu kreieren. Unweit von Endys Wirkungsstätte, auf der anderen Seite des Charles River, sitzt Jack Szostak, umgeben von dunklem Holz, schwerem Metall und bücherbeladenen Regalen am Klinikum der Harvard-Universität. Der 51-Jährige gehört zu einer Wissenschaftergeneration, die Jungforschern wie Endy den Weg bereitet hat. Er spielt ebenso mit Bruchstücken des Erbguts – nur geht es ihm nicht darum, Maschinen zu bauen. Ihn interessiert, wie das Leben entstand. „Die meisten Forscher gehen davon aus“, erklärt Szostak, „dass das Leben vor drei oder vier Milliarden Jahren aus Ribonukleinsäuren entstanden ist.“

Bewiesen ist das allerdings nicht. Ribonukleinsäure (RNS), die in Zellen die Baupläne für Eiweiße liefert, kann prinzipiell alle Aufgaben wahrnehmen, die für die Existenz von Leben notwendig sind: als Matrize, molekularer Schalter, Strukturelement und, in Form der 1980 entdeckten „Ribozyme“, enzymatische Funktionen. Nur: Wie bringt man diese Fragmente zusammen, um eine RNS-Zelle zu schaffen?

Daran arbeitet Szostak, und er will zeigen, dass Leben tatsächlich aus RNS entstanden sein kann. Er lacht, wenn er zugibt, dass er immer noch mit dem ersten Schritt beschäftigt ist – nämlich RNS-Stränge dazu zu bringen, Kopien von sich selbst anzufertigen. Bislang gelingt selbst das nur mit 14 RNA-Bausteinen. „Wünschenswert wären 100 oder 200 solcher Nukleotide“, so Szostak. „Und selbst dann wird es noch ein weiter Weg sein, einen Organismus zusammenzubauen.“ Szostak gleicht einem Erfinder, der ein Auto bauen will, aber noch damit kämpft, die tragenden Teile zu schmieden. Doch er gibt sich optimistisch: „Ich sehe keine unüberwindbaren Hindernisse mehr. Ich schätze, dass wir mit 20 Millionen Dollar und drei Jahren Zeit das Ziel erreichen könnten.“

Kopie der Natur. Szostak ist indes keineswegs der Einzige, der Leben im so genannten „Bottom-up“-Verfahren, also „von unten nach oben“, aus Elementarbestandteilen zusammensetzen will. Eine weitere Variante, um dieses Ziel zu erreichen, besteht darin, das Erbgut von Organismen künstlich nachzubauen. So hat Eckard Wimmer von der State University of New York vor zwei Jahren das Erbgut des Poliovirus, das Kinderlähmung hervorruft, synthetisiert. Bei Mäusen löste der Erreger prompt die Krankheit aus. Eine derart erstellte Kopie demonstriert immerhin die Funktionstüchtigkeit der Technik.

Der Trend dagegen geht allerdings dahin, nicht bloß eine künstliche Kopie der Natur zu erstellen, sondern aus elementaren Bausteinen eine Minimalzelle zu bauen – ein gewissermaßen abgespecktes Modell, das nur die benötigten Gene enthält.

So peilt Genetiker Craig Venter ein rund 300 Gene kleines Minimalgenom an, das er in eine Bakterienhülle einsetzen will. Der an der Ruhruniversität Bochum forschende Chemiker Günter von Kiedrowski dagegen baut an einem „Chemoton“. Das vom Ungarn Tibor Gánti 1971 erdachte Modell postuliert, jede Zelle bräuchte einen Metabolismus, also einen chemischen Motor, der sie antreibt, sowie eine Hülle und selbstreplizierende Informationseinheiten.

Bei letzterem Bestandteil hat Kiedrowski angesetzt. Er hat in den vergangenen Jahren sternförmige DNS-Bauelemente entwickelt, die sich von selbst zu größeren Strukturen vereinigen. Sie könnten Teil eines solchen Chemotons werden, das er und andere Forscher jetzt im Rahmen des europäischen PACE-Programms entwickeln wollen. Eines der großen Probleme, sagt er, sei „die Zellteilung eines solchen Gebildes“. Dennoch hält er das Ziel für greifbar nahe – innerhalb des nächsten Jahrzehnts könnte es erreichbar sein.

Mikromaschinen. Der Wunsch, eine künstliche Minizelle zu bauen, und Endys Legobiologie mögen sich vom Zugang unterscheiden – der eine setzt unten an, der andere oben, „top down“. Beide vereint jedoch der Gedanke, Mikroorganismen wie Maschinen zu verstehen und nach Belieben zu demontieren und wieder zusammenzufügen. Und deshalb überrascht es nicht, dass auch Endy an einem Organismus ab initio arbeitet. Wenn er nicht gerade im Legolabor steht, müht er sich, das vor allem in Colibakterien vorkommende Virus T7 zu synthetisieren. Er will jedoch keine bloße Kopie kreieren, sondern ein verschlanktes Genom, indem er alles weglässt, was er für überflüssig hält. Eines fernen Tages hofft er außerdem, Organismen aus Fertigbauteilen anbieten zu können. Doch aller Anfang ist schwer, gesteht er etwas missmutig zu. Veteranen wie Wimmer überrascht das nicht: „Biologische Systeme sind ungeheuer komplex. Wir verstehen die Funktionen all ihrer Bauelemente eben noch nicht gut genug.“

Während Endy mit zusammengekniffenen Augen von T7 berichtet, spielt er mit einem mechanischen Zählwerk, das er per Knopfdruck um je eine Ziffer höher schraubt: 647, 648, 649… „Ich will mich ständig daran erinnern, wie leicht es ist, so etwas mechanisch zu bauen“, erklärt er, „aber wie schwer es ist, einer Zelle so etwas beizubringen. Davon sind wir noch weit entfernt.“

Auch die Leuchtreklame-Bakterien von Endys Studenten sind noch nicht fertig gestellt. „Ich will keine Kunstwerke schaffen“, wiederholt der gelernte Ingenieur stets wie ein Mantra. Er ist all die Unikate leid, an denen Forscher ewig feilen. Endy sehnt sich nach Fließbandfertigung.