Militäroperation ohne wirkliches Ergebnis

Militäroperation ohne eigentliches Ergebnis: Mit dem Gaza-Krieg wurde wenig erreicht

Israel hat mit dem Gaza- Krieg wenig erreicht

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Von Robert Treichler

Wenn im Feindesland alles in Schutt und Asche liegt und die Zahl der Toten das Hundertfache der eigenen Verluste übersteigt, dann kann man wohl von einem Sieg sprechen. Also sprach Ehud Barak, Israels Verteidigungsminister, am vergangenen Mittwoch in einem TV-Interview: „Wir haben einen großen Sieg errungen.“ Die Militäroperation in Gaza, die von Israel nicht „Krieg“ genannt wird, habe erfolgreich eine „neue Sicherheits­lage im südlichen Israel geschaffen“, so ­Barak.

Das Kriegsziel war von Anfang an so unklar formuliert, dass man dahinter die taktische Finte vermuten konnte, der Gegner sollte im Unklaren gelassen werden. Jetzt, wo das Kriegsziel angeblich erreicht wurde, wird die Frage drängender: Welches eigentlich? Solange der Krieg gegen die Hamas andauerte, schossen deren Kämpfer jeden Tag Raketen auf den Süden Israels ab; weniger als zuvor zwar, aber das Feuer wurde nie eingestellt. Unmittelbar nach Beginn der von Israel verkündeten Waffenruhe schoss die Hamas 20 Raketen ab, um ihre ungebrochene Schlagkraft zu demonstrieren. Wie sieht die neue Sicherheitslage nun aus? Der Armeerundfunk zitierte einen Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums, wonach die Hamas weiterhin über etwa 1200 Raketen verfügt. Der israelische Geheimdienst Shin Bet schätzt, dass der Schmuggel von Waren und Waffen in den Gazastreifen in den kommenden zwei Monaten wieder aufgenommen wird. So neu ist die Sicherheitslage folglich nicht.

Zweifel. Aber wenigstens lief Israel dank der vagen Zielvorgabe nicht Gefahr, so nachweisbar gescheitert zu sein wie beim Feldzug gegen die Hisbollah im Sommer 2006, als die Streitkräfte zwei verschleppte Soldaten befreien und die Hisbollah vernichten hätten sollen – und beides nicht schafften. Noch tönen die Siegesfanfaren in Israel, doch Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Operation „Gegossenes Blei“ regen sich bereits. Dafür gibt es gute Gründe.

Israel konnte zwar aufgrund eklatanter militärischer Überlegenheit den Krieg nicht verlieren, wohl aber seinen Ruf als demokratischer Rechtsstaat. Die Entscheidung der Regierung, israelische und ausländische Journalisten aus Gaza auszusperren, war der fatale Auftakt einer Serie von Verstößen gegen internationale Regeln. Die israelischen Streitkräfte beschossen Gebäude der Vereinten Nationen und behaupteten anschließend, Hamas-Kämpfer hätten von dort aus gefeuert. Beweise dafür blieben sie schuldig. Weiters wurde die Definition, wer als Zivilist und wer als Kriegsbeteiligter gilt, von Israel arg gedehnt. Zivile Regierungsgebäude oder auch die Teilnehmer an einer Abschlussveranstaltung der Polizeischule wurden als legitime Ziele deklariert. Dutzende Polizisten kamen bei einer Attacke ums Leben. Laut internationalem Recht gilt als legitimes Ziel nur, wer sich aktiv an den Kämpfen beteiligt.

Auch der angebliche Einsatz von Phosphorwaffen bringt Israel in Misskredit. Erst dementierten Sprecher der israelischen Streitkräfte deren Einsatz. Vorvergangenen Donnerstag schließlich beschossen die Israelis das UN-Hauptquartier in Gaza, und John Ging, der Chef des UN-Hilfswerks UNRWA in Gaza, wurde im profil-Interview deutlich: „Es sah aus wie Phosphor, roch wie Phosphor und brannte wie Phosphor“ (profil 4/2009). Vergangene Woche schließlich gaben die israelischen Streitkräfte bekannt, dass die Anschuldigungen untersucht würden. Phosphorgranaten können legal verwendet werden, um Rauchvorhänge zu erzeugen oder Ziele zu beleuchten, in unmittelbarer Umgebung von Zivilisten ist der Einsatz solcher Munition jedoch höchst umstritten. Bei Hautkontakt verbrennt Phosphor das Gewebe bis auf die Knochen.

Kriegsverbrechen. Der Verdacht, die israelischen Streitkräfte hätten in Gaza Kriegsverbrechen begangen, ist begründet. Ein Leitartikel der israelischen Tageszeitung „Haaretz“ listet die drängenden Fragen auf: „Massenhafte Tötung von Zivilisten, darunter 300 Kinder und 100 Frauen; Beschuss von medizinischem Personal; die Verwendung illegaler Munition gegen die Zivilbevölkerung; das Verhindern des Abtransports von Verwundeten; das Bombardieren von Schulen, Spitälern, Hilfskonvois und einer UN-Einrichtung.“ Israel solle selbst eine Untersuchung der Vorwürfe durchführen, so „Haaretz“.

Israelische Medien melden, dass hohe Offiziere von der Regierung angewiesen wurden, nur nach Absprache mit der Justiz nach Europa zu reisen. Die Gefahr, dort wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen verhaftet zu werden, sei groß. Die Bilanz der Operation „Gegossenes Blei“ könnte aus israelischer Sicht noch schlimmer ausfallen. Geschockt von der Brutalität des Konflikts, scheint sich die internationale Gemeinschaft langsam von der Doktrin zu verabschieden, wonach die Hamas kein Gesprächspartner sein dürfe. Frankreich ließ verlautbaren, dass Hamas-Minister in einer palästinensischen Einheitsregierung kein Grund dafür seien, „den Raum zu verlassen“. Die islamistische Palästinenserorganisation könnte somit gestärkt aus dem Desaster von Gaza hervorgehen.

Israel muss nach diesem Krieg einmal mehr die Erfahrung machen, dass eine im Volk verankerte Organisation nicht einfach militärisch ausradiert werden kann. So banal diese Einsicht ist, so teuer wurde sie erkauft.