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"Mir wurde schon ein bisschen mulmig"

Interview. Ulrichs Seidls Darstellerinnen aus "Paradies: Liebe" im Gespräch

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Interview: Stefan Grissemann

profil: „Paradies: Liebe“ ist ein Film, der hohe schauspielerische Anforderungen stellt. Wussten Sie, worauf Sie sich einließen, als Sie vor Jahren zum ersten Casting-Termin gingen?
Tiesel: Ich hatte zunächst keine Ahnung, was eine Sugar-Mama überhaupt sein sollte. Ich dachte ganz naiv, die Figur, die ich darstellen sollte, werde einfach so genannt.
Maux: Ich fand erst beim Casting heraus, worum es in dem Film gehen sollte, aber ich hatte einen Startvorteil: Meine beste Freundin war in Kenia gerade zur Sugar-Mama geworden. Sie war schon am ersten Abend ihres Urlaubs einem Beachboy auf den Leim gegangen, war mit ihm in eines der schäbigen Motels gegangen – und hatte am Ende 40.000 Euro für ihn und seine Familie ausgegeben. Sie fiel voll auf die Gefühlsnummer und den Sex herein. Viele dieser Beachboys sind ja fabelhafte Schauspieler, die sagen einem Dinge, die man Jahrzehnte nicht mehr gehört hat. Da kann man dann schon dazu neigen, die Vernunft auszuschalten. Ich wusste also zufällig wirklich viel von diesem Thema und erzählte diese Geschichte beim Casting, als wäre sie mir selbst passiert.

profil: Hatten Sie je ein Drehbuch in der Hand?
Tiesel: Nein. So läuft das bei Ulrich Seidl nicht. Einmal sah ich in seinem Büro eines herumliegen – und spielte kurz mit dem Gedanken, es mir zu schnappen. Aber dann entschied ich mich doch dagegen.
Maux: Seidl legt ja Wert darauf, dass sein Ensemble nicht schon vorher weiß, wor­auf die einzelnen Szenen und der Film an sich hinauslaufen sollen.

profil: Seidl sucht vor der Kamera Überraschungsmomente, auch die Verblüffung seines Teams. Empfanden Sie das nicht auch als Zumutung?
Tiesel: Nein. Seidl gibt ja keine Dialoge vor, man muss ohnehin alles in eigene Worte fassen. Und wenn man eh schon am Improvisieren ist, muss man auch nicht mehr vorab wissen, was in einer Szene genau passieren wird. Was kommt, das kommt.
Maux: Seidl instruiert seine Darsteller vor jeder Aufnahme – aber streng getrennt voneinander. Wir beschlossen also, da einfach reinzuspringen.

profil: Ulrich Seidl sieht sich oft dem Vorwurf ausgesetzt, er beute seine Schauspieler aus, zwinge sie zu unliebsamen Dingen. Ist an dieser Behauptung aus Ihrer Sicht etwas dran?
Maux: Nein, er bringt einen eher dazu, um der Sache willen sehr weit zu gehen.
Tiesel: Er begegnet einem mit so viel Respekt, dass man schon dadurch viel eher geneigt ist, weiter als vielleicht geplant zu gehen.

profil: Aber Seidl ist immerhin bekannt dafür, dass er an fast allem zweifelt – und auch mit guten Ergebnissen kaum je zufrieden ist. Ist das nicht mühevoll?
Maux: Es stimmt schon, er lobt einen so gut wie nie. Allenfalls raunt er einem en passant todernst zu, dass er eine Szene sehr komisch gefunden habe. Aber man muss schon sehr gut hinhören, um darin ein Lob wahrzunehmen. Seidl hat eine gewisse Unerbittlichkeit nur in der Frage der Authentizität. Alles, was vor der Kamera geschieht, muss authentisch sein.

profil: Mussten Sie oft sehr viele Varianten einer Szene drehen?
Tiesel: Kommt drauf an. Manchmal passt’s, manchmal dauert’s. Das Problem ist nur, dass jeder weitere Versuch bei Seidl wieder ganz neu sein muss. Wiederholungen gibt’s da nicht. Wenn man also in einer Szene, die nicht hinhaut, seinen besten Schmäh verbraten hat, ist der für immer dahin.

profil: Seidl verwendet bekanntlich nur einen Bruchteil des Materials, das er dreht. Bedauern Sie, dass es bestimmte Sequenzen nicht in den Film geschafft haben?
Tiesel: Ja! Sehr! Ich hatte beispielsweise ein großartiges Streitgespräch mit Maria Hofstätter, das leider nicht im Film ist.

profil: Als Sie realisierten, worum es in „Paradies: Liebe“ gehen wird und was Sie da auch an obszönen Szenen zu spielen haben: Gab es nie den Punkt, an dem Sie erwogen, doch lieber abzusagen?
Tiesel: Wenn man es bei Ulrich Seidl in die Endauswahl schafft, sagt man nicht mehr Nein. Dann denkt man nur noch: Wie schaff ich das? Natürlich zweifelt man auch an sich. Aber meine Vorbereitung war die Nichtvorbereitung. Ich ging da ganz arglos rein. Das half mir auch.

profil: „Paradies: Liebe“ hat zweifellos sehr komische Momente, aber immer wieder auch äußerst beklemmende – etwa jene große Sequenz, in der Sie einen jungen Kenianer zum Striptease im Hotelzimmer bewegen. War das schwer zu drehen?
Maux: Schon. Wir brauchten zwei ganze Nächte dafür. Und es wurde mir schon ein bisschen mulmig davor. Aber die Schwierigkeit ist weniger, so etwas schauspielerisch hinzukriegen, sondern eher: Was werden die Kollegen am Theater denken? Wie wird mein Mann reagieren? So etwas hat man im Hinterkopf, aber das muss man dann im Sinne der Sache verdrängen.

profil: Ist es nicht problematisch, so viel Persönliches in eine Rolle einzubringen – und dann trotzdem jemanden zu spielen, der man nicht ist?
Tiesel: Ich hab am Theater gelernt, dass Schauspiel nur dann gut wird, wenn man es möglichst persönlich betreibt.

profil: Entstand die fabelhafte Szene, in der Sie Peter Kuzungu beibringen, wie er Sie anzufassen und zu küssen habe, in langer Kleinarbeit oder ganz schnell?
Tiesel: Das war eine Aufnahme – und aus. Seidl hat mich da reingeschickt, nachdem er mir erklärt hatte, dass viele Sugar-Mamas sehr darauf bedacht seien, ihre Jungs zu erziehen, ihnen gutes Benehmen beizubringen. Diese Vorgabe hab ich dann benutzt, um Teresas sexuelle Sehnsüchte und Wünsche zu artikulieren.

profil: War stets abgesprochen, welche Szene wie weit gehen konnte oder sollte?
Tiesel: Seidl hatte in den Vorgesprächen sehr klar festgehalten: „Es geschieht nichts, was Sie nicht wollen.“ Dieser Satz blieb mir im Kopf.

profil: Wenn Sie ­an die Dreharbeiten zurückdenken: War das eine eher anstrengende oder doch vor allem glückliche Erfahrung?
Tiesel: Es war die aufregendste und wunderbarste Arbeit meines Lebens. Das liegt auch daran, dass Seidl nicht so sehr Schauspieltechnik sucht, sondern einen selbst: die Worte und Ideen, die man aus sich schöpft.
Maux: Es war wirklich immer spannend. Und man lernt so viel, auch durch das Improvisieren.

profil: Es muss aber schwierig gewesen sein, in Kenia zu drehen.
Tiesel: Man betrachtete uns schon mit Argwohn. Irgendwann begannen wilde Gerüchte zu kursieren, dass da pornografisches Zeug gedreht werde. Außerhalb des Resorts musste Seidl fast heimlich arbeiten, ließ oft die Autos an falschen Orten parken, um zu verschleiern, wo wir tatsächlich gerade drehten. Einer der lokalen Schauspieler wurde mitten aus einer Szene gerissen, unsanft abtransportiert und bedroht. Man wusste nicht: War das die Strandpolizei? Und immer wieder gab es überraschende Geldforderungen an Seidl, denen er, um die Dreharbeiten fortzusetzen, nachkommen musste. Billig war das alles nicht.

Inge Maux, 68, ist Schauspielerin, Fotografin und Malerin. Sie hat in Zürich, München und Wien Theater gespielt und ist in Filmen von Heide Pils, Andreas Gruber und Julian Pölsler aufgetreten. Inge Maux ist Mitglied des Ensembles am Wiener Volkstheater.

Margarethe Tiesel, 53, absolvierte Anfang der 1980er-Jahre das Salzburger Mozarteum, ging dann nach Deutschland, hatte Engagements in diversen Stadttheatern. In Österreich trat Tiesel (im Bild links) oft am Grazer Schauspielhaus auf. Sie spielte 1999 in Barbara Alberts „Nordrand“, in Kino- und TV-­Komödien. Für ihre Leistung in „Paradies: Liebe“ wurde Tiesel als Beste Schauspielerin für den Europäischen Filmpreis nominiert, der diese Woche vergeben wird.