Täter-Therapie

Missbrauch. Ein evangelischer Pfarrer soll sich an Minderjährigen vergangen haben

Drucken

Schriftgröße

Im Gegensatz zur katholischen Kirche war sexueller Missbrauch in der evangelischen Kirche Österreichs bisher kaum ein Thema. Nur wenige Fälle sind in den vergangenen Jahren bekannt geworden. Umso schwerer scheint man sich bei den Protestanten mit dem einzigen Opfer aus den eigenen Reihen zu tun, das sich entschlossen hat, an die Öffentlichkeit zu gehen: Maria K. (Name geändert), heute 43, erzählt, sie sei als 15-Jährige Mitte der achtziger Jahre in Oberösterreich vom evangelischen Pfarrer Hannes B. (Name geändert) im Rahmen des Konfirmandenunterrichts sexuell missbraucht worden. Die evangelische Kirche weigere sich, Entschädigung zu leisten, und der Berufsverband der oberösterreichischen Psychotherapeuten habe nichts gegen diesen Pfarrer unternommen, der auch als Psychotherapeut arbeitet.

Maria K.
habe Pfarrer B. Mitte der achtziger Jahre offenbart, lesbisch zu sein, wor­auf B. beschloss, die sexuelle Orientierung des Mädchens umzupolen. B. hatte damals mit seiner Ausbildung zum Psychotherapeuten begonnen und mit der Schülerin „bioenergetische Übungen“ durchgeführt. Dabei habe er sie am ganzen Körper gestreichelt und sie angehalten, es ihm gleichzutun. Maria K.: „Ich sollte sehen, wie zärtlich, sanft und weich Männer sein können. Er sagte, ich solle auf seinem Schoß Platz nehmen, durch die Scheide einatmen, mein Becken lockern und meine Brüste fühlen.“ Das sei oft so gegangen. Er habe ihr die Zunge in den Mund gesteckt, und als sie ihm einmal davon erzählte, dass es ihr persönlich und in der Schule schlecht gehe, habe er gemeint, am hilfreichsten sei es, wenn sie mit ihm ins Bett gehe. Hannes B., der als Pfarrer in Pension, aber als Psychotherapeut weiter aktiv ist, bezeichnet im profil-Gespräch Maria K. als „schwer gestört“ und bestreitet sexuelle Übergriffe: „Ich habe sie nur geküsst. Alles andere ist unwahr.“

Jahre später habe Maria K. eine Frau getroffen, die nach einem Missbrauch durch den Vater zu Pfarrer B. gegangen sei und dort ähnliche „Behandlung“ erfahren habe wie Maria K. Beide sprachen beim damaligen Superintendenten der evangelischen Kirche vor, wurden aber abgewimmelt. 1997 wandten sie sich an die Ethikkommission des Berufsverbands der oberösterreichischen Psychotherapeuten, denn Pfarrer B. arbeitete zu diesem Zeitpunkt auch als Psychotherapeut. Die Ethikkommission legte ihm nahe, einen Entschuldigungsbrief an die Opfer zu richten und einige tausend Schilling an ein Frauenprojekt zu überweisen. Pfarrer B. entschuldigte sich „für die Verletzungen, die ich Ihnen zugefügt habe“, und bedauerte seine eigene „Naivität“, den sexuellen Umpolungsversuch unternommen zu haben.

Im Jahr 2000 ließ sich Maria K. einige Therapiestunden von der evangelischen Kirche bezahlen. Der Erfolg sei bescheiden und vorübergehend gewesen. 2004 bat K. um weitere Therapiestunden, die ihr gewährt wurden. Im Gegenzug musste K. schriftlich erklären, keine weiteren Ansprüche mehr zu stellen.

Als vor etwa zwei Jahren die großen kirchlichen Sexskandale ans Tageslicht kamen und Opferkommissionen gebildet wurden, wunderte sich Maria K.: „Ich verstand nicht, warum ein katholisches Opfer entschädigt wird, ich als evangelisches aber nicht.“ Und sie wurde wieder bei der evangelischen Kirche vorstellig. Dort erklärte man ihr, man habe kein Geld für Entschädigungen. Der amtierende evangelische Bischof Michael Bünker wurde in einem Antwortschreiben an K. deutlich: Er werde K.s Anliegen dem Oberkirchenrat vorlegen, doch „ohne dem Ergebnis vorzugreifen, will ich Ihnen aber keine großen Hoffnungen machen“.

Im Gespräch mit profil macht Bischof Bünker einen Schwenk: „Kategorisch ausschließen will ich eine Entschädigung natürlich nicht. Ich sehe ein, dass die Frau gleich wie andere Opfer behandelt werden möchte.“

Auf „PsyOnline“, dem Internetportal für Psychotherapeuten, bietet Hannes B. weiterhin seine Therapien an. Seine Arbeitsschwerpunkte: Borderline, Gewaltopfer, Männerthemen, Religion und Spiritualität. Und: sexueller Missbrauch. Auf Wunsch gibt es auch Hausbesuche.

Der Psychiater Anton Tölk, Chef des oberösterreichischen Berufsverbands, sieht sich in einer Zwickmühle: „Da hat die ­Supervision bei der Ausbildung nicht funktioniert. Denn allein mit dem, was der Herr zugibt, hätte er nicht Psychotherapeut werden dürfen, ohne selbst eine Therapie gemacht zu haben.“ Doch er sei nun einmal Therapeut. Man müsse ihm auch die Möglichkeit zugestehen, seine eigenen Probleme in den 20 Jahren überwunden zu haben. Jedenfalls könne man ohne konkrete Anzeige nicht tätig werden. Und eine aktive Beobachtung von möglicherweise problematischen Therapeuten sei unmöglich.

Dazu Bischof Michael Bünker: „Ich weiß nicht, was damals genau passiert ist. Aber dass da etwas war, ist klar. Und dass er jetzt Therapien nach sexuellem Missbrauch anbietet, finde ich doch sehr seltsam.“