Leitartikel: Herbert Lackner

Mission Extrawurst

Mission Extrawurst

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Sie sind schon ein merkwürdiger Haufen. Wiedergängern gleich tauchen sie alle paar Monate aus ihren Studierstuben auf, drohen in düsteren Andeutungen Not und Elend an, sollte man nicht sogleich auf sie hören, fordern die Politiker zu entschlossener Tat auf und tauchen dann wieder ab.
Jeder kennt sie aus dem „ZiB“-Studio, die besorgten Mienen der Herren Marin und Mazal, Tomandl und Felderer, der österreichischen „Pensionsexperten“ also.

Allesamt sind sie Professoren, leiten Institute oder standen solchen viele Jahre lang vor, alle sind sie Meister der Zahlen und der Intra- wie der Extrapolationen. Meist verheißen sie uns nichts Gutes: Fürchtet euch, lautet ihre Botschaft. Tut Buße und leistet Verzicht.

Auch vergangene Woche, als die Bundesregierung den österreichischen Pensionisten eine Erhöhung ihrer Renten zugestand, rückte der Chor der akademischen Jammersusen sogleich aus. Seine „schlimmsten Befürchtungen“ seien nunmehr bestätigt, stöhnte etwa der emeritierte Sozial- und Arbeitsrechtsprofessor Theodor Tomandl. „Sehr negative Folgen“ solcher Unmäßigkeit sah Bernhard Felderer, Chef des Instituts für Höhere Studien, auf Österreich zukommen. „Eine nachhaltige Belastung des Systems“, befundete der Sozialrechtsexperte Wolfgang Mazal ernst, und der Sozialforscher und Pensionsexperte Bernd Marin fand im Verhandlungsergebnis sogar „Extrawürste“, die für ihn unzweifelhaft „ein Vorziehen der nächsten Pensionsreform“ notwendig machen werden.
Was war geschehen? Hatten Gusenbauer und Molterer den grauen Panthern das Familiensilber überlassen, durften sich die Pensionistenvertreter ad libitum am Budget vergreifen? Mitnichten. Zwischen 1,7 Prozent und 2,9 Prozent an Erhöhung macht diese von den Experten als nationale Katastrophe identifizierte Erhöhung aus. Um ganze 21 Euro pro Monat werden die Mindestrentner künftig mehr bekommen und müssen sich dafür von oben genannten Herren als maßlose Bezieher von „Extrawürsten“ an den Pranger stellen lassen.

Anders verhält es sich natürlich, wenn die Herren Universitätsprofessoren später selbst in Pension gehen (Professor Tomandl ist es schon) und dann 80 Prozent ihres Letztbezugs als „Ruhegenuss“ kassieren werden. 80 Prozent von derzeit 6500 Euro.

Die Durchschnittspension in Österreich liegt übrigens bei 937 Euro. Fast eine Viertelmillion Österreicher muss mit der Mindestrente auskommen, die nach dem schamlosen „Extrawurst“-Zuschlag künftig 747 Euro ausmachen wird.
So stehen wir also vor dem Paradoxon, dass die Experten uns glaubhaft machen wollen, das – gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf – neuntreichste Land der westlichen Welt könne sich keine menschenwürdige Versorgung seiner Alten leisten. Ein Land, in dem Banken, Versicherungen, Industrielle und Baukonzerne wegen der fetten Gewinne im „neuen Europa“ seit Jahren im Freudentaumel liegen, in dem mancher Manager allein als zusätzlichen Erfolgsbonus Summen bezieht, von denen tausende Mindestrentner einen Monat lang leben müssen.

Halt, halt!, rufen unsere Experten: Wer weiß schon, wie lange die Wirtschaft noch so schnurrt? Vielleicht geht es in zwei, drei Jahren schon wieder bergab. Und wie sollen wir dann die hohen Pensionen zahlen? Nein, es wäre viel gescheiter gewesen, den Rentnern eine „Einmalzahlung“ von ein, zwei Hundertern in die Hand zu drücken, meinen sie.

Nun haben die Experten zwar nicht das Herz am rechten Fleck, aber alle Tassen im Schrank und wissen daher auch, dass Einmalzahlungen statt prozentueller Erhöhungen zur tendenziellen Verarmung breiter Bevölkerungsschichten führen können. Denn auch die Inflation ist kein „Einmalereignis“, nach dem die Preise wieder auf das Vorjahresniveau zurückgenommen werden. Diese gibt es – im Gegensatz zu den von den Herren mit der kalten Schnauze vorgeschlagenen Einmalzahlung – überdies auch in wirtschaftlich mieseren Zeiten.

Die Leute mit den kleinen Renten haben dann halt Pech gehabt – so wie sie in den vergangenen sieben Jahren Pech hatten, in denen ihre Pensionen real um acht Prozent an Wert verloren: ein Anschlag auf die Lebensqualität von Menschen, die es ohnehin nicht leicht hatten. Keine andere Berufs- und Bevölkerungsgruppe hätte eine solche Politik so lange hingenommen wie diese Generation von Duldern.

Ob sich eine Gesellschaft eine würdige Altersversorgung leisten kann, entscheidet sie selbst – dies ist keine Frage der Versicherungsmathematik, sondern eine der Politik. Der Versuch, Alte gegen Junge auszuspielen, ist in seiner Ruchlosigkeit deshalb besonders empörend. Denn dass Junge für Alte, Gesunde für Kranke zahlen, ist nicht nur das Wesensmerkmal des modernen Sozialstaats, sondern eines der Zivilisation überhaupt.

Den Herren Experten sei zu einem Selbstversuch geraten: ein halbes Jahr mit 747 Euro im Monat zu leben. Danach reden wir weiter. Über Extrawürste, zum Beispiel.