Missionarseinstellung

Missionarseinstellung

Drucken

Schriftgröße

Die Job-Description eines statusbewussten Rockstars ist auch nicht mehr, was sie einmal war: Früher reichte es, unaufschiebbare Konzert- und Studiotermine halbwegs pünktlich wahrzunehmen und den lähmenden Rest der Zeit damit totzuschlagen, unter dem Einfluss legaler oder illegaler Substanzen Hotelzimmer, VIP-Bars oder die Gesichter ungebetener Zaungäste zu verwüsten. Rock ’n’ Roll bedeutete, jedenfalls dem landläufigen Klischee nach, Showbusiness im krudesten Sinn: die Welt durch möglichst rüpelhaft inszenierte Egomanie zu unterhalten.

Dieser Teil des Geschäfts wird heute allenfalls von spät-pubertierenden Nachgeborenen besorgt, die sich verzweifelt mühen, die Heldenmythen aus den wilden Sixties und Seventies nachzustellen. Die echten Premium-Stars aber haben dafür längst keine Zeit mehr; sie müssen – neben ihren angestammten Entertainment-Pflichten – Politik machen: ein Arbeitsfrühstück mit Tony Blair, eine Privataudienz beim Papst – oder eine Stippvisite bei der EU-Kommission in Brüssel.

Am 9. Juni etwa stattete Bono Vox, im Hauptberuf Sänger der irischen Rockband U2, dem Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso einen offiziellen Besuch ab. Bono trug, dem quasiamtlichen Anlass entsprechend, Anzug und Krawatte; nur die extracoole Sonnenbrille und die aerodynamische Frisur ließen darauf schließen, dass es sich bei dem Ehrengast nicht um einen Habitué auf internationalem Politparkett handelte. Die besprochenen Themen jedoch waren keinesfalls folkloristisch: Mr. Vox warb für verstärkte Entwicklungshilfe und gab außerdem seiner tiefen Besorgnis angesichts der schwelenden Krise Europas Ausdruck.

Der weltverbesserische Gestus prägt das Auftreten von Bono Vox seit jeher und trug dem Rockstar vor allem in den späten achtziger Jahren Spott und Hohn von Musikkritikern ein. Der Abstecher nach Brüssel wäre damals auch unisono als großkotzige Selbstinszenierung eines notorischen Wichtigtuers geschmäht worden, dem die Flutlichtscheinwerfer in Konzertarenen zur Bestrahlung des eigenen Ruhms partout nicht genügen. Mittlerweile jedoch hat Bonos Wichtigkeit Dimensionen angenommen, die selbst habituelle Zyniker nur schwer ignorieren können. Im Zuge seiner Kampagne für einen totalen Schuldenerlass zugunsten der ärmsten Länder der Welt schlägt Vox seit Jahren geradezu schamlos Kapital aus seiner globalen Popularität, um zumindest das Bewusstsein für die Problematik zu schärfen – beim Publikum, vor allem aber auch bei höchstrangigen Entscheidungsträgern wie Bush, Blair oder Barroso.

Im Rahmen der aktuellen U2-Welttournee „Vertigo“ rührt Bono Vox massiv die Werbetrommel für die Bewegung „One“, die sich dem Kampf gegen Aids und Hunger verschrieben hat und dafür kostenlos so prominente Fürsprecher wie Brad Pitt, Tom Hanks, Susan Sarandon, Toni Morrison, P. Diddy, Cameron Diaz, George Clooney und viele andere rekrutieren konnte. Auch beim Konzert am 2. Juli im Wiener Ernst-Happel-Stadion wird Bono die Fans mit dem ihm eigenen missionarischen Pathos auffordern, sich auf www.one.org zu registrieren. Am selben Tag steigt das größte konzertierte Popevent der Geschichte: „Live 8“ versammelt in London, Philadelphia, Berlin, Rom und Paris die Top-Granden des internationalen Musikgeschäfts mit dem Ziel, dem für 8. Juli im schottischen Gleneagles anberaumten G8-Gipfel schon im Vorfeld tüchtig einzuheizen. (Dummerweise beschlossen die G8-Finanzminister bereits am 11. Juni in London einen Schuldenerlass für die ärmsten Länder der Welt.)

Eingefädelt und koordiniert wurde „Live 8“ von der früheren Rock-Koryphäe Bob Geldof, die vor 20 Jahren bereits das transatlantische Charity-Konzertspektakel „Live Aid“ veranstaltete. Mit Bono Vox teilt Geldof nicht nur den Geburtsort Dublin, sondern auch den streitbaren Ruhm als „Gutmensch“: Die beiden bilden mittlerweile ein schlagkräftiges GRÖPHAZ-Duo – die größten Popheiligen aller Zeiten.

Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder wurde in kleinem Kreis einmal nach den fünf mächtigsten Menschen der Gegenwart gefragt. Schröder nannte die Präsidenten der USA und Chinas, den Papst, Bill Gates und, nach kurzer Überlegung, „wahrscheinlich irgendeinen Popstar“. Ob er damit einen bestimmten Popstar meinte, ist nicht überliefert – jedenfalls kann es sich nach objektiven Maßstäben nur um Bono Vox handeln, der exakt jene Rolle einnimmt, auf die Schröder hingewiesen haben dürfte: die Rolle einer Identifikationsfigur, die ihre Massentauglichkeit nicht nur für fromme Botschaften, sondern für realpolitische Interventionen nutzt.

Das ist tatsächlich eine Form von Macht, wenn auch eine diffuse. Man mag Bono Vox heillos überspannte Eitelkeit oder Bigotterie nachsagen – nicht aber mangelnde Effizienz. Er trägt erfolgreich dazu bei, dass die Agenda der Mächtigen nicht mehr von den Mächtigen allein gestaltet wird. Das ist vielleicht nicht so unterhaltsam, wie Hotelzimmer zu zerlegen, aber wahrscheinlich sinnvoller. Selbst eingefleischte U2-Verächter könnten Bonos wohltätigem Tick durchaus etwas Positives abgewinnen: Solange er die Welt rettet, singt er wenigstens nicht.