Misswirtschaft und Intransparenz

Misswirtschaft und Intransparenz: NÖ-Ärzte laufen gegen Pensionskürzungen Sturm

Niederösterreichs Ärzte gegen Pensionsfonds

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Von Tina Goebel

Vollversammlungen der niederösterreichischen Ärztekammer gelten selbst für deren Mitglieder nicht eben als Pflichttermin. Umso bemerkenswerter war der Zulauf Mittwoch vergangener Woche. Der Gästeandrang war so groß, dass eigens ein größerer Sitzungssaal in St. Pölten angemietet werden musste. Verständlich: Das Anliegen, über das an diesem Tag entschieden werden sollte, sorgt bereits seit Jahren für erhitzte Gemüter. Der lokale Wohlfahrtsfonds, der die Versorgung retirierter Ärzte respektive deren Hinterbliebener gewährleisten soll, ist in Schieflage geraten. Über das so genannte Umlageverfahren – aktive Mitglieder bezahlen Beiträge ein, die direkt an die pensionierten ausbezahlt werden – können die Ansprüche der Rentner künftig nicht mehr gedeckt werden. Was gravierende Einschnitte für alle Beteiligten zur Folge haben dürfte. Laut Josef Sattler, Finanzchef des niederösterreichischen Wohlfahrtsfonds, haben „katastrophale“ Berechnungsmodelle diese Misslage herbeigeführt. Die Fehler sieht er bei seinen Vorgängern, die es „verschlafen“ hätten, rechtzeitig Maßnahmen zu treffen. Bisher wäre alles überhaupt nur deshalb gut gegangen, da es eine Zeit lang immer mehr aktive Ärzte als Pensionisten gab. Bei der steigenden Lebenserwartung wäre der Fonds jedoch unter diesen Umständen in ungefähr 25 Jahren pleite, da die aktive Generation diese Summen nie abdecken könnte.

Um den Fonds zu retten, wurden folgende Maßnahmen beschlossen: eine Anhebung des Pensionsalters von 60 auf 65 Jahre und eine Senkung der bereits bestehenden Pensionen um bis zu zwanzig Prozent in den nächsten zehn Jahren. Letzteres stößt den bereits pensionierten Ärzten sauer auf. „Das ist ein gravierender Einschnitt, und ich kann mein Leben nicht mehr anders einrichten“, konstatiert der frühere Gemeindearzt Rudi Fehrmann aus Böheimkirchen. „Natürlich werden die Maßnahmen von vielen als schmerzhaft empfunden, aber wir müssen eine notwendige Stabilität schaffen“, rechtfertigt sich Sattler. Außerdem würde die Pensionskürzung erst in zehn Jahren voll zum Tragen kommen und dann maximal 210 Euro betragen – sollte sich bis dahin nichts zum Positiven verändern.

Heftige Kritik hagelt es von Sattlers Vorgänger Günter Höhne. Er sieht keinen Grund zu derartig massiven Maßnahmen, die „österreichweit einmalig“ seien. Änderungen wären nötig, jedoch nicht in einem solchen Ausmaß. Das nun beschlossene ­Paket würde sich auf ein realitätsfremdes Gutachten beziehen. Auch der ehemalige Kammerpräsident Gerhard Weintögl findet das Vorgehen seiner Nachfolger ärgerlich. „Diese Entscheidung wird wohl eine Sammelklage der pensionierten Ärzte nach sich ziehen“, meint Weintögl, der hier verfassungsrechtliche Widrigkeiten sieht.

Schlagabtausch. Die harschen Worte der Vorgänger kann sich der amtierende Präsident der Ärztekammer Niederösterreichs, Christoph Reisner, nur mit „persönlichen Motiven“ erklären. Tatsächlich ist es seit dem Amtsantritt Sattlers und Reisners zu heftigen Spannungen mit der alten Führungsriege gekommen. Nach einiger Zeit im Amt wurde Sattler bald schwerer Amtsmissbrauch vorgeworfen. Dies geschah laut Sattler jedoch deshalb, weil er in den Finanzen des Fonds nicht näher genannte Ungereimtheiten aufgedeckt haben will. Eine Anzeige gegen einen ehemaligen Angestellten der Ärztekammer läuft in diesem Fall noch. Sattler selbst sollte jedoch auch eine anonyme Anzeige erhalten. Mysteriöser als die Anzeige selbst, die nach vierzehn Tagen fallen gelassen wurde, waren die Umstände, unter denen sie zustande kam. Aus den vorgelegten Unterlagen ging hervor, dass Sattler ein halbes Jahr lang von einem Privatdetektiv observiert wurde. Diese Feststellung hätte ihn zwar sehr „betroffen“ gemacht, würde jedoch zeigen, dass er auf dem „richtigen Weg“ sei. Wer den Detektiv beauftragt und bezahlt hat, ist nicht bekannt.

Während andere Landesärztekammern wie Oberösterreich und Kärnten keine Probleme mit ihren Wohlfahrtsfonds haben oder überhaupt Unzufriedenheiten bei ihren Mitgliedern bemerken, scheint sich die Geschichte der Niederösterreicher am Beispiel der Wiener Ärztekammer zu wiederholen. Wegen derselben Probleme, die in Niederösterreich durch die drastischen Maßnahmen ausgeräumt werden sollen, ging der Fonds der Wiener Ärztekammer Anfang der Neunziger beinahe pleite. Laut einem profil vorliegenden Rechnungshofbericht aus dem Jahr 1998 resultierte dies daher, dass „gesetzliche Bestimmungen missachtet“ wurden. Deshalb wurde als vermeintlicher Rettungsanker 1995 ein Fremdwährungskredit in der Höhe von ­damals einer Milliarde Schilling aufgenommen.

Falsche Bescheide. Das Rettungsszenario dürfen die Wiener Ärzte nun ausbaden. Die Zinsen müssen sie in Form des „Altlastenbeitrags“ monatlich begleichen, für den sie aber keine Anwartschaftspunkte bekommen, nach denen sich die Höhe der Pension berechnet. Die daraus errechneten Belastungen für die Mediziner sind erheblich. In Summe müssen Wiener Ärzte heute bis zu 20 Prozent ihres Bruttogehalts an die gesetzliche Standesvertretung abliefern. Dazu werden viele der Bescheide offensichtlich falsch berechnet – den dadurch entstandenen „Verwaltungsaufwand“, den auch der Rechnungshofbericht kritisiert, tragen die Ärzte letztendlich aber selbst, da sie ja die Kammern finanzieren. Der Rechtsanwalt Gabriel Lansky bestätigt, dass es „eine hohe Menge an Verfahren zu diesem Thema“ gebe, und stellt dies anhand eines Beispiels aus der Praxis dar. Er konnte eine hohe Nachzahlung für eine Klientin erfolgreich abwenden. Die Betroffene bekam aber einen ähnlichen Bescheid immer wieder zugesendet, weshalb Lansky sarkastisch von einem finanziellen „Abonnement“ spricht, das ihm die Wiener Ärztekammer dadurch beschert hat, da er den Bescheid mit demselben Grund immer wieder abweisen konnte.

Doch nicht nur die Vielzahl an fehlerhaften Berechnungen, auch die Pensionsleistung selbst ist für viele Ärzte ein ­Ärgernis – das sie mitunter in einigen der Internetplattformen ventilieren, die es mittlerweile zu diesem Thema gibt. Laut derzeitigem Satzungsstand müssten einige Ärzte hundert Jahre werden, um überhaupt jemals die Pension herauszubekommen, die sie einbezahlt haben. „Da bekomme ich von jeder privaten Lebensversicherung mehr“, zeigt sich ein Chirurg verbittert, der profil seinen eigenen Pensionsanspruch vorrechnete.

Für manche Ärzte sind die hohen Summen außerdem existenzgefährdend, da ­viele Ärzte heute nicht mehr das verdienen, was dem Berufsstand zugerechnet wird. So konnte eine Chirurgin, die nach einem Arbeitsplatzwechsel und einer aufreibenden Scheidung plötzlich eine Nachzahlung von 15.000 Euro bekam, diese nur bezahlen, indem ihr neuer Partner mit seinem Managergehalt dafür aufkam. Die Summe kam aufgrund einer falschen Schätzung zustande, die nach einem Primariatsgehalt berechnet wurde. Doch wegen der privaten Probleme verabsäumte die Chirurgin die Beschwerdefrist.

Kritiker behaupten, dass viele Fristen der Kammer absichtlich so kurz gehalten werden, dass sie einfach versäumt werden können. Michael Gnant, Leiter des Wiener Wohlfahrtsfonds, findet viele der Kritikpunkte unbegründet. „Ich würde auch lieber keine Steuern zahlen“, so Gnant und fügt hinzu: „Und Fristen gibt es überall.“ Die Ärzte würden Pensionsleistungen bekommen, die „sie privat nie kriegen würden“, und überhaupt wären die meisten damit zufrieden.

Der Pensionsfonds sorgt jedoch nicht nur in Einzelfällen für böses Blut. Ein Aufschrei ging durch die Ärzteschaft, als 2005 die Todesfallbeihilfe abgeschafft wurde, die Hinterbliebene finanziell absichern sollte. Ärzte, die jahrelang dafür Beiträge einbezahlt hatten, fielen ersatzlos um diese Leistung um. „Wenn man ein System ändert, dann ist es halt so“, meint Gnant dazu. Außerdem sei die Entscheidung durch eine demokratische Abstimmung mit eindeutiger Mehrheit zustande gekommen. Jedoch meinen Gegner des Wohlfahrtsfonds, dass sich für die Abstimmung nur deshalb so viele Ärzte ausgesprochen haben, da sie die Chance gesehen haben, endlich weniger Geld in ein „Loch ohne Boden werfen zu müssen“. In der Wiener Ärzteschaft kursiert mittlerweile nämlich folgender Witz: „Was ist der Unterschied zwischen dir und deiner Pension?“ Antwort: „Deine Pension ist bereits in der Karibik.“