Peter Michael Lingens

Mit Terroristen verhandeln?

Mit Terroristen verhandeln?

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Wenn ein Waffenstillstand zwischen Israel und den Palästinensern wieder einmal daran zerbricht, dass radikale Palästinenser neuerlich einen Anschlag verüben, können wir – vor allem in Österreich und Deutschland – nicht verstehen, dass Israel nicht dennoch zu einer in unseren Augen „rationalen“ Reaktion fähig ist und weiter über eine Friedenslösung verhandelt.

Spanien steht derzeit vor dem ungleich kleineren Problem, sich auf eine Strategie im weiteren Umgang mit der ETA zu einigen, nachdem der Flughafenanschlag vom 30. Dezember den neunmonatigen Waffenstillstand in die Luft gesprengt hat.

Und es funktioniert so wenig wie in Israel.

Mit Terroristen zu verhandeln erscheint immer nur denen ein Gebot der Vernunft, die wie Österreicher oder Deutsche im wahrsten Sinne des Wortes „weit weg vom Schuss“ sind – aber schon in Andalusien spaltet die Politik gegenüber den baskischen Terroristen nicht nur die Parteien, sondern die gesamte Bevölkerung.

Wie in Israel gibt es dafür auch simpel parteipolitische Motive. Die oppositionelle Partido Popular hat als Flüsterpropaganda ausgegeben: „Premierminister José Zapatero ist durch das Attentat auf den Bahnhof in Madrid an die Macht gekommen und wird über das al-Qa’ida-Attentat auf den Flughafen von Madrid stolpern.“ (Zur Erinnerung: ExPP-Vorsitzender und Ex-Regierungschef José María Aznar hatte versucht, das Attentat auf Madrider Züge der ETA in die Schuhe zu schieben, und diese Manipulation hatte entscheidend zu seiner Wahlniederlage beigetragen.)

Als Gewerkschaften, Bürgerinitiativen und Immigrantenverbände vorvergangenen Samstag zu einer Großdemonstration gegen den ETA-Terror aufriefen, wurde diese von der PP daher praktisch boykottiert: Nur 200.000 Menschen gingen auf die Straße, während es in vergangenen Jahren bis zu eine Million gewesen waren.

Wesentlich zu diesem schwachen Ergebnis trug die Absage der spanischen Terroropferverbände bei, die in den Verhandlungen Zapateros mit der ETA seit jeher eine Geringschätzung der rund neunhundert Todesopfer des ETA-Terrors sehen.

Genauso wie die Opferverbände in Israel. Denn zwangsläufig werden Menschen, die durch einen Terroranschlag Angehörige verloren haben, von entsprechender Erbitterung heimgesucht. Solche persönlichen Emotionen hintanzustellen, kann immer nur derjenige locker fordern, der nicht die geringste Gefahr läuft, dass sein nächster Angehöriger einem Attentat zum Opfer fallen könnte.

Haben schon die kleinen Opferverbände Spaniens beträchtlichen Einfluss auf die Politik, so mag man ermessen, wie groß der Einfluss israelischer Opferverbände mit ihren vielen tausend Hinterbliebenen sein muss. (Und wie undenkbar Friede mit Israel für tausende Palästinenser-Familien ist, die durch israelische Vergeltungsschläge Angehörige verloren haben.)

Fast immer fordern die Opferverbände ein „noch viel härteres Vorgehen gegen die Terroristen“ und „das sofortige Ende jeglicher Verhandlungen“.

Und fast immer identifiziert sich mindestens die Hälfte der Bevölkerung mit genau dieser Strategie.

Kein Regierungschef, weder der israelische noch der spanische, ist in der Lage, sich über diese Spaltung hinwegzusetzen.

Zwangsläufig hat auch Premier Zapatero sofort den Stopp aller Gespräche erklärt – dass er aber nicht erklärt hat, sie nie wieder aufzunehmen, ist der Hauptvorwurf seiner Kritiker. Und zwar auch in den eigenen Reihen. „Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Terroristen Waffenruhen immer wieder ausnutzen, um sich neu zu formieren“, erklärte etwa Eduardo Uriarte, prominentes Mitglied der sozialdemokratischen Partei PSOE, die mit Zapatero derzeit den Regierungschef stellt. „Durch ihre Dialogpolitik hat die Regierung die Batasuna (den politischen Arm der ETA; Anm. d. Red.) salonfähig gemacht“, sagte Uriarte. Und sein Wort hat Gewicht, denn ehe er nach Francos Tod der demokratischen Linken beitrat, hat er selbst der ETA angehört (und war dafür von Franco zum Tode verurteilt, dann aber begnadigt worden).

Wer, so sagen Zapateros Kritiker, sollte die ETA besser kennen als Uriarte.
Dennoch glauben wir fast alle, Hamas und Fatah besser zu kennen als der israelische Geheimdienst.

Ich habe zu beiden Konflikten meine persönliche These: Ich glaube, dass es nach wie vor so viele friedensbereite Palästinenser gibt, dass es lohnt, trotz fortgesetzter Anschläge Radikaler, sowohl mit der Fatah wie auch der Hamas zu verhandeln, obwohl sich weit und breit keine „Friedenslösung“ abzeichnet.
Bezüglich der ETA glaube ich, dass es in ihr derzeit eine ähnliche Spaltung gibt: Gemäßigte, die eine Verhandlungslösung suchen, und Radikale, die sie durch das Attentat vom 30. Dezember unter allen Umständen verhindern wollen. Auch hier glaube ich, dass Weiterverhandeln lohnt, obwohl auch hier niemand weiß, wie eine „Lösung“ auch nur des Amnestieproblems aussehen soll.

Aber ich bin nicht so selbstsicher überzeugt, dass ich auch Recht habe. Und ich habe mehr Verständnis für die Schwierigkeit der jeweiligen Regierung, in meinem Sinn zu agieren: Wie soll Israel in Bezug auf die Hamas schaffen, was Spanien nicht einmal in Bezug auf die ETA gelingt?