Mode: Der Schnittmacher
Einen kurzen, symbolischen Moment lang schien die Modewelt am 12. Oktober wieder in Ordnung zu sein. Nach der Präsentation der Sommerkollektion 2004 von Yves Saint Laurent Rive Gauche in Paris betrat Chefdesigner Tom Ford den Laufsteg und nahm strahlend die Ovationen der handverlesenen Fashionistas entgegen. Zu ihm gesellten sich, ganz spontan, Bernadette Chirac, die Frau des französischen Staatspräsidenten, und François Pinault, Mehrheitseigentümer des internationalen Luxuskonzerns PPR (Pinault-Printemps-Redoute), der Ford verzückt auf die Wangen küsste.
Alles im Lot, registrierte die Branche erleichtert. Die Allianz zwischen Pinault, zu dessen Imperium die Gucci Group und das Traditionshaus Yves Saint Laurent gehören, und Tom Ford, der Guccis Welterfolg im vergangenen Jahrzehnt maßgeblich mitorchestriert hatte, war allem Anschein nach gesichert.
Der Anschein trog: Die Verbrüderungsgeste auf dem Laufsteg erwies sich als vorgezogener Abschiedskuss. Am Montag vergangener Woche gaben Tom Ford, 42, und sein finanztechnisches Alter Ego Domenico de Sole, 59, Geschäftsführer der Gucci Group, bekannt, dass ihre Vertragsverhandlungen mit PPR nach monatelangem Ringen gescheitert seien und sie per Ende April 2004 das Unternehmen verlassen würden.
Alle Beteiligten bemühten sich, den einvernehmlichen Charakter der Entscheidung zu betonen, doch diese Lippenbekenntnisse vermochten den Schock in der Branche nicht zu dämpfen. Denn mit dem Abgang von „Dom & Tom“ geht nicht nur ein Arbeitsverhältnis, sondern eine ganze Ära zu Ende. Das dynamische Duo hatte in den neunziger Jahren das Fashion-Business neu definiert und mit seinen kreativen und marktstrategischen Impulsen dafür gesorgt, dass es zum Epizentrum eines weltumspannenden Pop-Bewusstseins werden konnte. Die Mode, wie wir sie heute kennen, ist zu einem erheblichen Teil das Produkt der Visionen von Ford und de Sole, die das Glück hatten, zu einer Zeit anzutreten, als die Mode Visionen brauchte, die über die stetige Permutation von Farben und Schnitten weit hinausgingen.
Masterplan. In den achtziger Jahren war High-End-Mode noch, was sie Jahrzehnte lang gewesen war: ein prickelnder Zeitvertreib, den man sich je nach Liquidität mehr oder weniger kosten ließ. Die damit zu erzielenden Umsätze blieben im Rahmen der Investitionen überschaubar – ebenso die damit zu erzeugende Aufmerksamkeit. Das Potenzial der Branche als globales Megabusiness jedoch, vergleichbar mit dem Impact etwa der Unterhaltungsindustrie, hatte man noch nicht annähernd systematisch ausgelotet.
1984 war der italienische Rechtsanwalt und Harvard-Absolvent Domenico de Sole zum maroden Florentiner Traditionshaus Gucci gestoßen. Mit Handtaschen, Mokassins und einem einprägsamen Logo, dem kunstvoll verschlungenen Doppel-G, hatte sich das 1921 gegründete Familienunternehmen in den fünfziger und sechziger Jahren eine lukrative Nische im Luxussegment eröffnet, seinen feinen Namen in der Folge jedoch durch unzählige Lizenzierungen verludern lassen: Vom Schlüsselanhänger bis zum Toilettenpapier war bald kein niederer Gebrauchsartikel mehr GG-frei, was die Umsätze zwar beflügelte, die Marke schließlich aber bis zur Schmerzgrenze bastardisierte.
Binnen fünf Jahren arbeitete sich de Sole zum operativen Chef von Gucci hoch, was ihm das Pouvoir gab, den Konzern grundsätzlich zu repositionieren – im Sinne einer Rückwendung zu Luxus und Exklusivität, gepaart mit klug kanalisiertem Massen-Appeal. 1990 holte de Sole den gebürtigen Texaner Tom Ford an Bord, der nach einem Architektur- und Design-Studium bei zweitklassigen amerikanischen Modehäusern hospitiert hatte, und übertrug ihm die Damenkollektion von Gucci. Die Liaison trug bald Früchte: Die Marke Gucci gewann ihr altes Prestige zurück. 1994 ernannte de Sole Ford zum Chefdesigner – gegen den ausdrücklichen Willen des Gucci-Sprosses Maurizio, der allerdings nichts mehr ausrichten konnte, weil er im Vorjahr seinen Mehrheitsanteil am Unternehmen an ein Investorenkonsortium verkauft hatte.
1995 wurde Maurizio Gucci ermordet – im Auftrag seiner Ex-Frau, wie sich später herausstellte. Zu diesem Zeitpunkt war das Haus jedoch schon so weit konsolidiert, dass selbst solche „Dynasty“-reifen Verwerfungen sein Renommee nicht mehr gefährden konnten. De Sole und Ford brachten Gucci an die Börse und zündeten damit die erste Stufe ihres globalen Masterplans. Als Kreativdirektor fühlte Ford sich nicht nur für die Kollektionen zuständig, er schuf eine homogene corporate identity für Gucci, die vom Layout der Anzeigen-Sujets bis zur Innenausstattung der Filialen sämtliche Aspekte der Labelpräsenz umfasste. Ford inszenierte die Marke Gucci nach allen Regeln einer Kunst, die mit offensivem Marketing ebenso viel zu tun hatte wie mit exklusiver Ästhetik. Im Hintergrund regelte de Sole umsichtig die Finanzen und optimierte die Vertriebswege.
Die betont minimalistische Ästhetik der frühen Neunziger konterte Ford mit einer zeitgenössisch-smarten Definition von Hedonismus; er lud die Marke Gucci konsequent mit Sex auf und schuf so ein unwiderstehliches Identifikationsangebot für Modebewusste, die mit einem Cocktailkleid, einem Paar Stilettos, einer Handtasche oder, man gönnt ihm ja sonst nichts, einem Lederwams für den Chihuahua zugleich ein Lebensgefühl kaufen wollten. Gucci avancierte zum Synonym für eine Weltanschauung, und Ford und de Sole schafften es, diese Weltanschauung unverschämt sexy erscheinen zu lassen.
Globalisierung. Dass Ford selbst in Aussehen und Habitus über Model-Qualitäten verfügt und diese auch bereitwillig ausspielt, hat den Erfolg des Projekts Gucci in den vergangenen Jahren sicher nicht beeinträchtigt. „Mein Gesicht“, sagt Ford, „wird mit einem Produkt, nämlich mit Gucci, verbunden – und übt dadurch Macht aus. So funktioniert Mode. Designer waren immer Charismatiker, man wollte so sein wie sie.“
Um jedoch den Markt als global player mitkontrollieren zu können, musste man wachsen. Deshalb hieß die zweite Säule des Masterplans von de Sole und Ford Expansion. Binnen weniger Jahre wurde Gucci zur Gucci Group, einem virtuellen Großkaufhaus für alle Artikel des nicht ganz alltäglichen Luxusbedarfs. Heute umfasst die Gruppe neben der Kernmarke Gucci die Edellabels Bédat (Uhren), Bottega Veneta (Lederartikel), Boucheron (Schmuck), Sergio Rossi (Schuhe, Taschen) sowie die Haute-Couture-Häuser Balenciaga, Alexander McQueen, Stella McCartney und Yves Saint Laurent. Der Jahresumsatz der Gruppe liegt heute bei 2,5 Milliarden Euro (1995 waren es noch 500 Millionen gewesen).
Die Handelsware Luxus generierte in den Boomzeiten der späten Neunziger weltweit ein Marktvolumen von 100 Milliarden Euro. Aus Gründen der Synergie wird sie heute, nicht anders als die Handelsware Entertainment, von einer Hand voll Akteuren kontrolliert. Die Gucci Group gehört zum französischen Handelsriesen PPR (Pinault-Printemps-Redoute), dem weltweit drittgrößten Luxuskonzern. Dessen Gründer François Pinault sprang Domenico de Sole 1999 als „weißer Ritter“ bei, um die Übernahmegelüste von Bernard Arnault abzuwehren, seines Zeichens Patron von LVMH Moët Hennessy Louis Vuitton, dem weltweit führenden Luxuskonzern (Moët & Chandon, Louis Vuitton, Givenchy, Christian Dior u. v. a.). Arnault hatte damals klammheimlich 30 Prozent der Gucci-Aktien gekauft und setzte schließlich zum „unfriendly takeover“ an – sehr zum Missvergnügen von de Sole, der im Bannkreis von Arnaults Nobelmoloch LVMH um die Eigenständigkeit von Gucci fürchtete.
Er verbündete sich mit Pinault, der 1999 einen namhaften Minderheitsanteil von Gucci erwarb und zwei Jahre später, nach einem brutalen Justizkrieg mit Arnault, Gucci-Mehrheitseigner wurde – am 10. September 2001. Einen Tag später schlug die al-Qa’ida in New York und Washington zu, und die ohnehin schon rezessionsgebeutelte Hochpreis-Branche stürzte vollends ab. Wie die großen Luxuskonkurrenten LVMH, Richemont und Prada musste auch die Gucci Group in den vergangenen beiden Geschäftsjahren dramatische Umsatz- und Gewinneinbrüche hinnehmen.
Kompetenzstreit. Ironischerweise sind die Gründe, die de Sole und Ford 1999 gegen Arnaults LVMH mobilisierten, nun auch ausschlaggebend für die Trennung von Pinaults PPR. Das PPR-Management, das heute immerhin 67 Prozent der Gucci-Anteile kontrolliert (und ab April kommenden Jahres möglicherweise 100 Prozent), war nicht länger gewillt, dem Gucci-Führungstandem volle Autonomie zuzugestehen, schon gar nicht angesichts dramatisch schrumpfender Profite. Ford und de Sole wiederum mochten sich ihre Freiräume keinesfalls von oben beschneiden lassen. Um Geld ging es bei den Verhandlungen, die sich fast über ein Jahr hinzogen, dem Vernehmen nach weniger als um Kompetenzen: Insbesondere Ford, seit 2000 auch Kreativdirektor von Yves Saint Laurent, fühlte sich nachhaltig brüskiert durch die unverhohlenen Bestrebungen des Pinault-Clans, den Prestigeposten einem anderen Designer zu überantworten, um das Markenprofil gegenüber Gucci zu schärfen.
Die PPR-Verantwortlichen geben sich, was die Zukunft der Gucci Group ohne Ford und de Sole betrifft, erwartungsgemäß zweckoptimistisch. Schon im Februar hatte Seniorchef François Pinault in einem Interview erklärt, der Erfolg des Unternehmens Gucci hänge keinesfalls nur von zwei bestimmten Personen ab. Mit dieser Einschätzung steht die PPR-Führung derzeit allerdings ziemlich allein. Am Dienstag der Vorwoche, nach Bekanntwerden der Trennung, verzeichneten die Aktienkurse sowohl von PPR als auch von Gucci signifikante Einbrüche. Vor allem der Abgang von Tom Ford, schätzen Analysten, könnte Gucci mittelfristig bis zu 15 Prozent Marktwert kosten.
Großes Loch. „Eine Katastrophe“, entsetzte sich Anna Wintour, einflussreiche Chefredakteurin der US-Ausgabe der Modezeitschrift „Vogue“. Michael Roberts, Moderedakteur beim Intellektuellenblatt „The New Yorker“, hält Tom Ford in der einzigartigen Gucci-Dynamik von Mode und Image für schlicht unersetzbar: „Wenn man ihn aus der Gleichung herausnimmt, klafft ein großes Loch.“
Ford selbst muss sich um seine Zukunft wenig Sorgen machen. Er hat seit 1990 so viel Geld verdient, dass er sich bis an sein Lebensende täglich zehn jener Gucci-Mokassins leisten könnte, mit denen er als 13-Jähriger in die Fashion-Sphäre eingetreten war. Allein 2002 kassierte er 5,5 Millionen Euro Gehalt. Dazu kamen in den vergangenen Jahren rund 160 Millionen Euro durch die Einlösung von Gucci-Aktienoptionen.
Mit diesem Finanzpolster könnte Ford bequem ein eigenes Modelabel gründen – potente Investoren würden ihm dabei sicher dankbar zur Hand gehen. An der Gerüchtebörse werden Ford und de Sole indes bereits auf den verglühenden Modestern Versace angesetzt, während das Haute-Couture-Genie Alexander McQueen als heißester Kandidat für die Ford-Nachfolge bei Gucci gehandelt wird.
Alles ist möglich in der Mode, und möglicherweise haben „Dom & Tom“ auch schlicht die Nase voll von der Mode. Er könne sich gut vorstellen, in Zukunft nur mehr segeln zu gehen, erklärte de Sole vergangene Woche lakonisch. Ford wiederum werden ernsthafte Ambitionen in Hollywood nachgesagt – als Filmproduzent. Die Stars kennt er ja alle schon: Er hat sie fünfzehn Jahre lang eingekleidet. Manchmal auch ihre Chihuahuas.