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Mode: Ein Spiel für Masochisten

Ein Spiel für Masochisten

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Der Teufel trägt Prada. Und Balenciaga. Oder Lagerfeld. Oder Lang. Der Teufel ist eine Frau, die seit Jahren konsequent Kleidergröße 34 trägt. Zweimal im Jahr blättert der Teufel durch die Lookbooks von Chanel, Helmut Lang, Alexander McQueen und all den anderen Pferdchen des Modezirkus. Da werden die Objekte der teuflischen Begierde mit gelben Post-it-Zettelchen versehen. Oder die vernichtenden Verdikte mit einer „NO!“-Markierung in cholerischen Filzstiftstrichen gefällt.

Der Teufel heißt Miranda Priestly und ist als Chefredakteurin der Zeitschrift „Runway“ die mächtigste Scharfrichterin im internationalen Modegeschäft. Inzwischen weiß die ganze Branche, dass die machiavellische Antiheldin des Schlüssellochromans „The Devil Wears Prada“ eine Raubkopie von Anna Wintour, der berüchtigten Chefredakteurin der amerikanischen „Vogue“, ist.

Der literarische Rachefeldzug hat Wintours ehemalige Assistentin Lauren Weisberger reich gemacht. 3,5 Millionen Dollar lukrierte die Neoautorin, die dereinst als Allzeitbereit-Vasallin demütigende Dienste für Wintour zu verrichten hatte, allein für die Filmrechte.

Die Demontage des Mode-Zentralorgans „Vogue“ als korrupte Stil-Diktatur, in der die Wintour ein hysterisches Regime des Größenwahns abzieht, löste ein kleineres Beben in einem Zirkus aus, der bislang vor allem durch das schnelle Ablaufdatum seiner Produkte am Rotieren gehalten wurde. Die Enthüllung des stillen Bestechungsabkommens zwischen Designern und Presse, wonach Fendi-Pelze, Versace-Cocktailfähnchen und Prada-Taschen gegen entsprechend positive Berichterstattung frei Haus geliefert werden, sorgte für – zumindest gut gespielte – Entrüstung.
Dass berufsmäßige „Speed chic“-Addicts wie Anna Wintour, so Lauren Weisenberger, bei Eintreffen neuer Kollektionswaren die Teile von der Vorsaison in Müllsäcken umstandslos in Secondhand-Läden entsorgen lassen, kann allerdings niemanden wirklich verblüffen. Unter Modeinsidern gilt das eherne Gesetz: „Lieber tot, als in Helmut Lang von der letzten Saison erwischt zu werden.“

Wenn die Karawane der Modemedien, angeführt von „Vogue“-Chefin Anna Wintour und Suzy Menkes, Mode-Scharfrichterin der „Herald Tribune“, seit vergangenem Freitag in New York und in den nächsten Wochen in London, Mailand und Paris bei den Designern ihrer Gunst in der ersten Reihe Platz nimmt, wird wieder einmal die schrille Mechanik des „Spiels für Masochisten“ (so die renommierte Modejournalistin Michelle Lee in ihrer fundierten Untergangsanalyse „Fashion Victim“) abschnurren.

Fashion-Esperanto. Beim After-Show-Geschwirre werden die schwarz bebrillten „Erfüllungsgehilfinnen, die im Korsett ihrer Anzeigenkunden zappeln“ (Lee), wie immer aufgeregt Phrasen in jenem für Laien schwer dechiffrierbaren Fashion-Esperanto dreschen, das sich ungefähr so anhört: „Ist Beige das neue Braun?“, „Hat Galliano den Lagenlook bei den Taliban geklaut, oder war’s umgekehrt?“, „Utility Chic ist zwar so was von over, aber ob dieser postapokalyptische Romantiklook bei Balenciaga der richtige Weg ist?“.

Inzwischen plagen die Branche ganz andere Sorgen. „Trends sind out“, konstatiert die „Wall Street Journal“-Redakteurin und Autorin des Buchs „The End of Fashion“, Teri Agins. „Die Konsumenten sind mündig geworden und realisieren, dass sich hinter großen Namen ziemlich gewöhnliche Ware verbergen kann.“

Drastische Umsatzeinbrüche haben der Luxusbranche weltweit einen gewaltigen Kälteschock beschert. Dem Marktführer, der französischen Gesellschaft Louis Vuitton Hennessy Moet (LVHM), die unter anderem Dior und Givenchy unter ihrem Dach beherbergt, gelang es 2002 nur durch die Verkäufe von Unternehmensteilen, den Schuldenstand um rund zwei Milliarden Dollar zu verringern. Die Gucci-Gruppe, der zweitgrößte Luxuskonzern weltweit, musste im ersten Quartal 2003 erstmals seit ihrer Umwandlung zu einer Aktiengesellschaft vor acht Jahren einen operativen Verlust in der Höhe von 24,4 Millionen Euro hinnehmen. Und Prada, der Dritte im Bunde der angeschlagenen Riesen, hat seinen Börsengang nun schon zum dritten Mal verschoben. Sollte er bis 2005 nicht über die Bühne gehen, muss der Konzern, zu dem auch Helmut Lang und Jil Sander gehören, seinen Investoren 800 Millionen Dollar zurückzahlen.

Der Vorstandsvorsitzende von Gucci, Domenico De Sole, übt sich noch in schwachbrüstigen Trostparolen: „Wir stehen in einer schwachen Konjunktur. Die Angst vor Terror, der Einfluss des Krieges und eine Seuche haben die Leute überdies vom Reisen abgehalten.“ Doch De Sole weiß so gut wie die Markt-Analysten, dass mit der Beruhigung der Weltlage und dem Verschwinden von SARS der Haussegen in den Luxushäusern nicht automatisch wiederhergestellt sein wird.

Monsieur „Luxus-Rambo“, wie Bernard Arnault, Chairman bei LVMH, gern genannt wird, verblüfft da mit deutlich mehr Ehrlichkeit: „Unsere Industrie ist in einer alles entscheidenden Phase, in der die Umstände unüberschaubar sind.“

Die Industrie schaufelte sich in den Neunzigern ihr eigenes Grab. Gleich Präsidenten von Fußballvereinen shoppten Tycoone wie Arnault und De Sole, beflügelt von den Milliarden, die mit den Börsengängen lukriert wurden, Couture-Häuser und Designer, als ob sie Fußballspieler wären. Im globalen Dorf wurden reihenweise Boutiquen im Einheitsstil eröffnet, die dem nomadisierenden Shopaholic den Eindruck vermittelten, dass Styling-Originalität angesichts des gebotenen Einerleis eine – wenn auch teure – Illusion sei.

Nachdem etwa Gucci-Mastermind Tom Ford nach dem Abgang des nervlich zerrütteten Yves Saint Laurent 2001 dessen kreatives Erbe antrat, verlor das Lebenswerk bald jegliche Spurenelemente der Couture-Legende und wirkte zusehends „wie eine Softporno-Version von Gucci“, so die „Süddeutsche Zeitung“.

Neue Job-Description. Der kometenhafte Aufstieg von Tom Ford Mitte der neunziger Jahre markierte auch eine kopernikanische Wende in der Job-Description eines Designers. Das ehemalige Werbegesicht des Billig-Rasierwassers „Old Spice“ hielt sich nur marginal mit Eigenentwürfen auf und konzentrierte „die Kraft eines Panzerkommandanten“, so die „New York Times“, auf die Dreifaltigkeit Marketing, Management und Medienzauberei. Im Gegensatz zu seinen Generationskollegen John Galliano (Dior) und Alexander McQueen (vormals Givenchy), die Mode noch als exzentrische Spielwiese für die eigene Selbstverwirklichung begriffen, regierte in Fords Kopf nur mehr eiskalter Geschäftssinn. Begleitende Zynismen wie die Ansage „Die Kunden sind zu Recht nach einer Saison von den Klamotten angeödet“ oder „Niemand braucht ein neues Sakko, wir müssen künstlich ein Bedürfnis danach wecken“ raubten den Produkten aus der Ford-Fabrik Gucci und YSL den konsumentenbindenden Glaubwürdigkeitsfaktor.

Stella McCartney, der nach ihrem Chloé-Höhenflug unter dem Dach des Gucci-Konzerns nun ein eigenes Label finanziert wird, dürfte ein ähnliches Schicksal ereilen. Ihre in New York eben bombastisch eröffnete Filiale deprimiert, wie die Modeexpertin des „Kurier“, Brigitte Winkler, berichtet, „durch gähnende Leere“.

„Die Demokratisierung des Luxus hat sich als Verrat am Kunden herausgestellt“, klagt Wolfgang Joop, der sich inzwischen von der „lähmenden Sportveranstaltung“ des Prêt-à-porter-Geschäfts zurückgezogen hat und nur noch „trendlose“ Couture unter dem Label „Wunderkind“ fertigt.

Elite und Masse. Und in der Tat: Die Mode taugt nicht mehr als Zeichensystem, mittels dessen sich die Elite von der Masse abgrenzt. Heute kann jeder sein Ego mit einschlägigen Label-Versatzstücken aufmunitionieren. Die „McDonaldisierung der Mode“, so „Fashion Victim“-Autorin Michelle Lee, „ist das Crack der Branche. Sie vergiftet den natürlichen Kreislauf.“
Von Armani sind bereits Olivenöle und Schokolade im Umlauf, Missoni macht in Bettwäsche, Yohiji Yamamoto, der Zen-Meister des Purismus, stellte sich in den Sold des Sportausstatters Adidas, und Lagerfeld hat sich schon vor Jahren zu Entwürfen für den Quelle-Katalog herabgelassen. In London, Paris und Rom werden an jeder Ecke Taschen-Fakes aus den aktuellen Gucci- und Prada-Kollektionen um maximal 50 Euro das Stück feilgeboten.

Im Internet kann man auf Schnäppchen-Websites aktuelle Kreationen von Chanel und Balenciaga um 70 Prozent des Verkaufspreises in den Boutiquen erjagen. Aber auch im Einzelhandel wird der „reguläre“ Konsument bereits der Lächerlichkeit überführt. Denn oftmals kann man bereits im Dezember den 1400-Euro-Armani-Anzug aus der Herbst-Kollektion um weniger als die Hälfte erwerben.

Der letzte Schrei von den Laufstegen sieht spätestens dann alt aus, wenn er in derselben Saison in dreisten Billigkopien an den Kleiderstangen der Diskonter-Riesen H&M, Mango und Zara baumelt.

„Wir sind Opfer von Betriebsspionage“, lamentiert Muccia Prada, „inzwischen lassen wir jeden Prototypen von Bodyguards bewachen, als ob es sich um einen Staatspräsidenten handelt.“

Allein Marken wie Louis Vuitton und Hermès, deren Produkte hohe Handwerkskunst und Zeitlosigkeit atmen, konnten sich in Zeiten der Rezession an Umsatzsteigerungen erfreuen. „Die hochpreisigen Labels“, so Beatrice Reich, Analystin der Züricher Vontobel-Bank, „sind krisenresistenter. Bei den Ultra-Consumern fällt es weniger ins Gewicht, ob ein Milliönchen weniger am Konto ist.“

Neben den Billiganbietern hat die kollektive Labelmüdigkeit nur einem Branchenzweig zum Boom verholfen: dem Vintage-Business. Vintage ist der Begriff für bereits getragene Designerkleidung und ein Ticket für das unerreichbare Ziel aller „fashion victims“, den Traum vom originären Individualismus. „Vintage ist Rebellion gegen die standardisierte Mode“, schwärmt der Pariser Pionier des Gedankens, Didier Ludot.

Wenn der Hype weiter um sich greift, läuft der Gedanke der Einzigartigkeit jedoch wieder Gefahr, zum Massenphänomen zu verkommen.

„Dann werden die wahren Exzentriker“, so prognostiziert Suzy Menkes von der „Herald Tribune“, „Müllmännerhosen tragen oder auf den Flohmärkten nach afghanischen Rebellenmänteln suchen. Sobald einem Stil nämlich Bemühtheit anhaftet, wird er zum Look, was wiederum der Originalität schwer abträglich ist.“