Modefarbe Angst von New York bis Mailand

Modefarbe Angst

Krisenstimmung regiert die Laufstege der Welt

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Ring frei für die vierte Runde. Nach New York, London und Mailand manövriert sich der Tross der schwarz bebrillten Moderedaktricen, Einkäufer, Fotografen und Models diese Woche nach Paris, wo die Prêt-à-porter-Schauen für das kommende Frühjahr steigen. Die Müdigkeit in den Gesichtern der Fashion-Schlachtenbummler hat weniger mit dem dichten Terminplan und all den Champagnercocktails zu tun als mit der Tatsache, dass eine kommerzorientierte Verhaltenheit die Laufstege dominiert, die von manchen schlicht als „gähnende Langeweile“ („Süddeutsche“) bezeichnet wird.

Branchenzyniker klassifizierten Kate Moss’ Kokainskandal als einziges Highlight der bisherigen Schauen. Selbst der jahrelang verlässliche Exzentriker Alexander McQueen, der einst seine Models blutverschmiert und in Autoreifenkleidern über den Catwalk hetzte, flüchtete sich in mainstreamkompatible Biederkeit. Sein Dienstgeber Robert Polet, Chef der Gucci-Gruppe und früher verantwortlich für Tiefkühlkost bei Unilever, hat McQueen eine Schonfrist bis 2007 gegeben, um aus dem defizitären Bereich zu kommen. Ein Damoklesschwert, das auch über Stella McCartney hängt, die nach ihrem Abgang bei Cloé mit dem eigenen Label aus der Bilanzfarbe Rot nicht mehr herauskam.

Der kommerzielle Druck und die damit verbundenen Job-Rochaden haben eine weltweite Schockstarre der Designer zur Folge. Neben prominenten Rauswürfen wie Tom Ford bei Gucci sowie Helmut Lang und Jil Sander durch den Chef der Prada-Gruppe Patrizio Bertelli aus ihren eigenen Firmen hatten zuvor schon Julien MacDonald (Givenchy) und Michael Kors (Celine) ihr Entlassungsschreiben von ihrem Konzernherrn Bernard Arnault in die Hand gedrückt bekommen. Givenchy musste sogar zwei Couture-Kollektionen entfallen lassen, ehe der Marilyn-Manson-Kostümbildner Riccardo Tisci als neuer Chefdesigner gewonnen werden konnte. Dem Traditionshaus drohe, laut Insidern, das gleiche Schicksal wie Christian Lacroix, den „Luxus-Rambo“ Bernard Arnault – so sein firmeninterner Spitzname – kürzlich mit Haut und Haaren an eine amerikanische Duty-free-Kette verkauft hatte.

Auch bei den jüngsten Schauen in New York und Mailand lautete die Modefarbe der Saison Angst und das Stilgebot keine exzentrischen Experimente. Bei Prada regierte spröder Schulmädchenschick; Marc Jacobs gab sich betont ideenlos; Frida Giannini, die nach Tom Fords Abgang die kommerziell glücklose Alessandra Facchinetti nach nur zwei Kollektionen ersetzt hat, praktizierte in vorauseilendem Gehorsam konservative Heiterkeit in Form von Blümchenmustern und Puffärmeln; Dolce & Gabbana und Roberto Cavalli schwelgten in sorbetfarbenen Artigkeiten.
Und auch für Paris stehen die Prognosen für Innovationen und Glamour schlecht.

Die „International Herald Tribune“ zitiert einen enttäuschten Chefeinkäufer: „New York war trostlos wie immer, London hat nichts mehr zu bieten. In Mailand musste ich mir die Augen zuhalten, in Paris werden mir wahrscheinlich auch die Tränen kommen.“

Die stilistische Verhaltenheit und Risikounlust der Designer ist in erster Linie krisenbedingt. Zwar verzeichnen die Luxuskonzerne nach der Flaute der letzten Jahre seit einigen Monaten wieder Wachstumsraten (der Marktführer, Louis Vuitton Moët Hennessy, konnte seinen Gewinn im ersten Halbjahr 2005 um 19 Prozent auf rund 559 Millionen Euro steigern), trotzdem raten die Analysten ihren Anlegern zur Vorsicht. Der Erfolg der großen Konzerne ruht meist auf einigen wenigen Cash Cows (im Falle Louis Vuittons auf dem Accessoires-Geschäft, das für fast 80 Prozent des Gewinns verantwortlich ist), während die anderen Labels der Holdings oft durchgefüttert werden müssen. Mode steht als Einnahmequelle bei allen Luxuslabels an letzter Stelle. Das meiste Geld wird mit Taschen, Schuhen, Kosmetik und der Vergabe von Lizenzen getätigt. Der prominente Bloomberg-Analyst Matthew Lynn warnt in jedem Fall vor Investitionen ins Luxussegment. Haute Couture und Börse hätten sich als wenig krisenresistente Kombination erwiesen, die großen Modehäuser wären wohl bestenfalls mit europäischen Großfußballklubs vergleichbar: „Man sieht ihnen gern zu, aber ihre Aktien hätte man lieber nicht.“

McDonaldisierung. Die sinkenden Umsätze im Prêt-à-porter-Geschäft seien mit der Demokratisierung des Luxus zu erklären, der „sich als Verrat am Kunden herausstellt“, so Wolfgang Joop, der sich schon 1998 von seinem Lebenswerk „JOOP!“ trennen musste. Von Armani sind bereits Olivenöle und Schokolade im Umlauf. Lagerfeld, dessen eigenes Label vergangenen Dezember von Tommy Hilfiger aufgekauft worden war, entwarf mit größerem Echo als für Chanel für den schwedischen Textilriesen H&M. Im virtuellen Auktionshaus e-bay können Restposten von Gucci-Mäntelchen und Manolo-Blahnik-Stilettos zu einem Bruchteil ihres Ladenpreises erworben werden. Ganz abgesehen davon, dass Billigketten wie H&M, Zara und Mango „ohnehin längst zu einer Echokammer der Laufsteg-Designer geworden sind“, so Suzy Menkes in der „International Herald Tribune“.

„Die McDonaldisierung der Mode ist das Crack der Branche“, betreibt Michelle Lee, US-Modespezialistin und Autorin des Buchs „Fashion Victim“, Desasterforschung. „Die, die da noch brav mitlaufen, sind echte Masochisten.“ Das Ende der Mode als Spielplatz für Individualisten und Exzentriker setzte mit Beginn der neunziger Jahre ein. Zu diesem Zeitpunkt begann der ehrgeizige Vorsitzende und Hauptaktionär von Louis Vuitton Moët Hennessy (LVMH), Bernard Arnault, die Modewelt mit den gnadenlosen Gesetzen der Marktwirtschaft zu fusionieren. Die überschaubare Gemeinschaft italienischer und französischer Familienunternehmen wurde durch seine aggressive Unternehmenspolitik nachhaltig durcheinandergewirbelt – im Lauf der neunziger Jahre kaufte er von Dior bis Donna Karan fast manisch Marke um Marke ein, bis sein Konzern fast 60 Unternehmen umfasste. Die Konkurrenz folgte auf dem Fuß. Aus dem Modehaus Gucci, das der US-Designer Tom Ford 1995 vom Mottenkugel-Mief befreit hatte, wurde die weltumspannende Gucci Group (Yves Saint Laurent, Stella McCartney, Alexander McQueen und andere), die 2001 dem französischen Kaufhauskonzern Pinault-Printemps-Redoute einverleibt wurde. Den dritten Player stellt der hemdsärmelige Tycoon Patrizio Bertelli, Chef der Prada-Gruppe und Ehemann von Mucchia Prada. Bertelli brachte durch den überteuerten Erwerb von Jil Sander und Helmut Lang (siehe Kasten rechts) sein Unternehmen in schwere finanzielle Bedrängnis und musste den Börsengang der Gruppe, der unter anderem auch Church’s und Azzedine Alaia angehören, bereits zum dritten Mal verschieben.

Seelenausverkauf. Die Couture-Idylle wurde zum beinharten Geschäft, regiert von Managern, die sich die Haltung von am Markt vorbei produzierenden Designer-Seelchen nicht mehr länger leisten wollten. Die unrühmlichen Abgänge von Tom Ford, Jil Sander und Helmut Lang haben der Branche drastisch vor Augen geführt, dass die Position eines Chefdesigners längst nicht mehr in Stein gemeißelt ist.

„Der Star ist ohnehin die Marke, wir brauchen keine Designer-Diven“, lautete die Parole des Pinault-Printemps-Redoute-Vorstands Serge Weinberg, als die Bühnenarbeiter nach Tom Fords letzter Gucci-Schau vergangenen Jänner noch die Rosenblätter, die beim Finale auf das geschasste Marketing-Genie herabgeflattert waren, wegkehrten. Nervöse Genies wie der inzwischen pensionierte 68-jährige Yves Saint Laurent, dessen dauerhafte Selbstinszenierung am Rande des Nervenzusammenbruchs eine starke Komponente der Markenaura präsentierte, gehören der Vergangenheit an.

Aber auch strategische Masterminds wie Tom Ford, der Mitte der Neunziger die Job-Description des Frontdesigners neu definierte, in dem er entwerfen ließ und sich selbst vorrangig mit dem Image-Auftritt von Gucci beschäftigte, wirken im Lichte der aktuellen Entwicklungen bereits fast aus der Mode.

Der zeitgemäße Designer muss wissen: Wer sich mit Großkonzernen ins Bett legt, muss nach deren Regeln spielen. Deren wichtigste lautet: Wer nicht verkauft, muss gehen. Im Zweifel auch aus der eigenen Firma.

Bleibt unter anderem die Frage offen, die diese Woche in Paris sicher am häufigsten diskutiert wird: Wird der Aufschwung Chinas den Luxusmarkt (der weltweit rund 134 Milliarden Euro Jahresumsatz ausmacht) retten? Oder werden Billigproduzenten und Fälscherwerkstätten das Geschäft endgültig ruinieren?

Kreatives Einerlei. Allein in Mailand wurden in den vergangenen fünf Monaten fünf Millionen gefälschte Markenartikel, vorrangig chinesischen Ursprungs, sichergestellt. Zudem wird die Produktion mehr und mehr ins kommunistische Billiglohnland ausgelagert. Was die Pariser Mode-Analystin Li Edelkoort in der Vorwoche zu apokalyptischen Vorhersagen bewegte – die europäische Modekultur drohe so zum kreativen Einerlei zu verkommen.

Andere sehen das rosiger. Am vergangenen Montag wurde in Mailand auch gleich die „Vogue China“ vorgestellt: China gilt als das Hoffnungsland des Luxus. Giorgio Armani will bis 2008 an die 30 neue Boutiquen eröffnen, Prada zieht mit, und Louis-Vuitton-Shops schießen schon seit Jahren aus dem chinesischen Boden – gern auch eingeweiht von örtlichen Feng-Shui-Meistern samt Räucherstäbchenzeremonie. Merrill-Lynch-Analysten gaben Anfang des Jahres die Parole aus: In zehn Jahren werde China der wichtigste Luxusmarkt sein, mit dem doppelten Umsatz der USA.

Spekulationen, die Helmut Lang heute angenehm kalt lassen. Er konzentriert sich in seinem Long-Island-Anwesen auf die Eierproduktion seiner Hühner. Tom Ford harrt noch immer seines Hollywood-Debüts, soll aber ansonsten auch bester Dinge sein. In einem Interview ließ er verlautbaren, dass „es auf Dauer sowieso lähmend ist, ständig künstlich das Bedürfnis nach neuen 500-Dollar-Schuhen zu erzeugen“.

Von Angelika Hager und Sebastian Hofer