Moldawien in Mitteleuropa

Moldawien in Mitteleuropa

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Wahrscheinlich fühlt sich Jörg Haider, mag ihm das Wasser auch schon bis zum Kragenknopf stehen, im Moment sogar wohl: Endlich wieder einmal auf den Titelseiten, endlich wieder Live-Interviews, endlich wieder im Mittelpunkt!

Freilich war noch einmal die Dosis zu steigern. Denn immer schriller, immer hysterischer müssen die Ausfälle des politischen Ausnahmefalles Haider werden, um die Aufmerksamkeit des Publikums noch zu fesseln. So ging es im Lauf der vergangenen 23 Jahre – ja, so lange irrt der fliegende Holländer der Innenpolitik schon durch die Kulisse! – auch immer wieder gegen andere Halunken: gegen die Ausländer und die Bonzen, die linkslinken Chaoten und die Nationalbank-Direktoren; gegen die Redaktionsstuben, in denen ohnehin bald aufgeräumt werde; gegen subventionierte Künstler und weicheiige Gutmenschen. Später dann – im Wiener Landtagswahlkampf 2001, als das Interesse an Haider schon ein wenig lahmte – gegen die Juden im Allgemeinen und Ariel Muzicant im Speziellen; und jetzt eben gegen die „Gangster“ vom ORF, gegen die „Wiener Strizzi“, gegen die „Securitate“ des schwarzen Kanzlers, diese neugierigen Lauscher in den Telefonleitungen braver FPÖ-Funktionäre in Kärnten. Zuletzt behauptete Haider sinngemäß gar, die ÖVP sei schuld am Krebstod des Wiener FPÖ-Politikers Michael Kreissl, gegen den die Behörden in der Spitzelaffäre ermittelt hatten.

Es verwundert, wie gleichmütig es die Kärntner akzeptieren, dass ihr Landeshauptmann sie offenbar für schlichte Dumpfbacken hält. Denn nur bei ihnen, die Haider vor Jahresfrist noch einmal im Amt bestätigt haben, kann er ja mit seinem Aberwitz noch auf Reste von Verständnis hoffen. Wenigstens sie, so rechnet er wohl, würden ihm diese Räuberpistolen noch abkaufen und damit über das Versagen der realen Politik hinwegsehen.

Tatsächlich nehmen es die Kärntner ja seit Jahren ohne lautes Murren hin, dass ihr Land im Bundesländervergleich im letzten Drittel rangiert, meist sogar am letzten Platz. Kaufkraft, Arbeitsplätze, Wachstum – Kärnten ist Nachzügler. Bedeutende Betriebsansiedlungen gab es nur dank einiger engagierter Bürgermeister. Besser Gebildete wandern mangels attraktiver Jobs seit Jahrzehnten in andere Bundesländer ab. In Wirtschafts-News aus dem Süden geht es meist um die Schließung einer weiteren Schuhfabrik oder Papiermühle. Das Landesbudget ist ein Torso, der FPÖ-Wirtschaftslandesrat floh kürzlich aus der Regierung.

Jetzt zeigt sich, dass die Politik dieses Landes nicht einmal mehr den Bau eines Fußballstadions und den Betrieb einer Musicalbühne schafft. Moldawien in Mitteleuropa.

An diesem Unvermögen trägt natürlich nicht Jörg Haider allein die Schuld, was etwa am jammervollen Zustand seines Koalitionspartners SPÖ unschwer zu erkennen ist. Zänkisch und zerrissen zeigt sich die einst so stolze Partei auch sechzehn Jahre nach dem Verlust des Landeshauptmann-Sessels, völlig unfähig zur Erneuerung. Längst ist die Moral verkommen: Der frühere Landesparteisekretär kandidierte zuletzt bei der FPÖ, der Bürgermeister von Wolfsberg, ein SPÖ-Präsidiumsmitglied, zeigte vor der letzten Wahl unverblümt seine Präferenz für Jörg Haider. Erschöpft scheinen die Sozialdemokraten den Dilettantismus der FPÖ in der Landesregierung heute nur noch abzunicken.

Die in Kärnten nie besonders wichtige ÖVP ist inzwischen in die völlige Bedeutungslosigkeit abgerutscht. Acht Jahre lang war der 20-Prozent-Partei wegen des Patts zwischen SPÖ und FPÖ das Amt des Landeshauptmanns zugekommen. Was sie daraus gemacht hat, zeigte sich bei der Wahl im Vorjahr: Da schaffte sie gerade noch elf Prozent.

Das Versagen der Politik in Kärnten ausschließlich auf die Schwäche der Akteure zu reduzieren, greift aber ebenfalls zu kurz. Im Süden herrschen einfach andere Randbedingungen als in Restösterreich. Hier gab es nie eine nennenswerte Industriearbeiterschaft, die Stärke der SPÖ beruhte auf ihrer Verankerung im öffentlichen Dienst und ihrer Kaltschnäuzigkeit beim Heimholen alter Nazis. Die Kärntner Bauern sind zu einem guten Teil Protestanten, sie dachten seit jeher eher großdeutsch als christlich-sozial. Die normierende Kraft des Katholizismus, bei aller Fragwürdigkeit ein zentraler Faktor in der österreichischen Nationsbildung, fehlte hier. Die alpine Unzugänglichkeit großer Teile des Landes, die Grenzlandlage, die über Jahrzehnte geschürten Ängste vor den slawischen Nachbarn – das alles schuf besondere Verhältnisse, in denen sich viele nicht wohl fühlten: Peter Handke, Ingeborg Bachmann, Peter Turrini – lauter Kärnten-Emigranten.

In dieses Biotop platzte Anfang der 80er-Jahre Jörg Haider und gedieh darin prächtig. Für ganz oben reichte es nicht, weil nicht ganz Österreich wie Kärnten ist.
Damit hat er sich nie abgefunden.

Übrigens bauen die Wiener Strizzis für die Fußball-EM gerade eine neue U-Bahn-Linie – und zwar ganz ohne Nebengeräusche.