Russland, Moskau: Der Nächste bitte!

Moskau: Der Nächste bitte!

Präsident Wladimir Putin inszeniert seine Nachfolge

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Die Sommerpause ist vorbei. In Moskau regnet es, die Russen sind von ihren Datschen in die Metropole zurückgekehrt, und Wladimir Putin hat den politischen Herbst mit einem Paukenschlag eröffnet. Viktor Subkow wurde vorige Woche zum russischen Premierminister ernannt. Erschüttert spekulieren die Kremlologen: Soll der graumäusige 66-jährige Putin-Freund tatsächlich im März 2008 Präsident werden? Ist der bisherige Chef der föderalen Finanzaufsichtsbehörde wirklich der lang erwartete Überraschungskandidat? Für ein Kaninchen, das gerade aus dem Hut gezogen wurde, hält Subkow sich wacker. Der Presse kündigte er vorigen Donnerstag gleich eine Kabinettsumbildung an und erklärte: „Ich schließe eine Kandidatur zum Präsidentenamt nicht aus.“

Niemand zweifelt daran, dass Putin allein entscheidet, wer sein Nachfolger werden wird. Alle zweifeln daran, dass er sich von der Macht wirklich verabschieden will. Sollte er abtreten, muss er einen Vertrauten einsetzen, damit die bisherige Führungsclique ihre Pfründe nicht verliert und die Machtübergabe das entdemokratisierte Russland nicht destabilisiert. Bisher wurden die Vizepremiers Sergej Iwanow und Dmitri Medwedew als mögliche Nachfolger aufgebaut. Mit Subkow geht nun ein dritter Kandidat ins Rennen.

Alle drei Politiker stehen dem Präsidenten nahe. Nur Iwanow ist ein ausgewiesener „Silowik“, ein Vertreter des Sicherheitsapparates mit klarer Geheimdienst-Vergangenheit. Medwedew gilt eher als gemäßigter Liberaler, dessen Verbindung zu Putin aus den Petersburger Jahren stammt. Auch Subkow hat zumindest nicht offiziell für den KGB und dessen Nachfolgeorganisation FSB gearbeitet. Alle aber waren bisher extrem loyal und standen immer im Schatten Putins.

Während vorne auf der Bühne das Königsdrama geboten wird, ist hinter den Kulissen längst alles gelaufen. Die Restauration des autoritär regierten Staates ist abgeschlossen. Zur Kontrolle des Volkes gehören nicht nur die Entmachtung unliebsamer Oligarchen und das Ende des Pluralismus in Politik und Medien, sondern auch ein neues nationales Selbstverständnis (siehe Seite 64). Da „keiner in Putins Kopf hineinschauen kann“ (Mascha Lipman vom Carnegie-Zentrum), hat profil die drei wahrscheinlichsten Szenarien aufgezeichnet.

1. Platzhalter Subkow
Nach den Duma-Wahlen im Dezember wird Putin über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament verfügen. Die vom Kreml kontrollierte Mehrheitspartei „Geeintes Russland“ und die eigens von Putins Leuten für diese Wahlen geschaffene linkere Alternativpartei „Gerechtes Russland“ erhalten die große Mehrheit der Sitze. Ob die Liberaldemokraten von Wladimir Schirinowski die 7-Prozent-Hürde überspringen und auch in der Duma sitzen werden, ist noch unklar. Der radikalpopulistische Schirinowski genießt aber ohnehin nur noch als prügelnder Pausenclown Unterhaltungswert, die LDPR stimmt fast immer mit der Regierung.

Einzige Oppositionspartei dürfte nach diesen Wahlen die kommunistische KPRF sein. Direktmandate wurden abgeschafft. Landesweit werden Garry Kasparow und andere Demokraten kaum sieben Prozent einsammeln können.

Mit einer Zweidrittelmehrheit könnte Putin ohne Weiteres eine Verfassungsänderung durchsetzen, die ihm eine dritte Amtszeit erlaubt. Bisher hat der Präsident dies stets weit von sich gewiesen, ein diktatorischer Hautgout wäre bei dieser Machterhaltungsvariante nicht zu vermeiden.

Subkow bietet nun eine angenehme Alternative: Der angegraute 66-jährige Premierminister könnte nach seiner Wahl zum Präsidenten zwei Jahre regieren und dann aus Erschöpfung das Handtuch werfen. Retter in der Not: der zehn Jahre jüngere Judomeister Putin. Er könnte nach kleiner Pause wieder zwei Amtsperioden durchregieren, im Einklang mit der Verfassung.

2. Parteichef Iwanow als Präsident
Möglicherweise ist Subkow nur zur Ablenkung in den Wahlkampf-Ring gestiegen. Die Kremlologen hatten bereits zu meckern begonnen. Sowohl die Duma-Wahlen als auch die Präsidentenwahlen seien schon so gut wie entschieden. Favorit und Vizepremier Sergej Iwanow war ständig als Anhang Putins zu sehen. Putins zweiter Thronprinz, Dmitri Medwedew, hat zwar keine schlechte Figur als Vizepremier gemacht, drängt sich aber nicht als zwingender Nachfolger auf.

Damit der „Wahlkampf“ an Spannung gewinnt, unterhält Putin seine Untertanen daher mit einem kleinen Manöver. Subkow spielt darin die gleiche Rolle wie sein Vorgänger Michail Fradkow: oberster Verwalter ohne weitere Karriere. Sergej Iwanow dagegen, langjähriger Verteidigungsminister und enger Vertrauter Putins, wird nach den Duma-Wahlen zum Chef der Mehrheitspartei „Geeintes Russland“ bestimmt. Von dieser Position springt er nach geglückter Kampagne auf den Präsidentensessel. Dies würde suggerieren, dass der Parteichef der größten Duma-Fraktion und damit das ganze Parlament politisches Gewicht besitzt. Das trifft zwar nicht zu, kommt aber beim Volk gut an.

3. Verlierer Putin
Das dritte Szenario ist aus heutiger Sicht das unwahrscheinlichste. Subkow wird auf den Präsidentensessel gehievt. Die vom Kreml kontrollierten Massenmedien haben ihr Bestes getan, um den bisher unbekannten Finanztechnokraten zum Landesvater zu stilisieren. Nach seinem zweiten Amtsjahr aber erlebt die führende Elite ein Déjà-vu: Aus dem Platzhalter ist ein eigenständiger Politiker geworden. Das Machtzentrum verschiebt sich, Subkow schart seine eigenen Günstlinge um sich, Putins Basis zerbröckelt. Subkow dankt nicht ab und schickt Putin in die Wüste.

Auch der einstige Strippenzieher Boris Beresowski hielt es im Jahre 1999 für unmöglich, dass der blasse FSB-Offizier Putin jemals der einflussreichen „Familie“ um Boris Jelzin den Kampf ansagen würde.

Vorerst aber läuft alles nach Plan. Viktor Subkow gab Ende der Vorwoche erst einmal ausführliche Fernsehinterviews. Quasi zum Kennenlernen referierte er vor den höflich lächelnden Korrespondenten wie ein Schulbub seinen Lebenslauf: „Bin bei Swerdlowsk geboren, habe dann in Leningrad Landwirtschaft studiert.“

Fernab von der Hauptstadtbühne präsentierte sich derweil der Amtsinhaber. Auf Besuch im Gebiet Belgorod an der ukrainischen Grenze ließ sich der Präsident im legeren Polohemd ausführlich dabei filmen, wie er einem neugeborenen Kalb die Milchflasche gab.

Da soll noch jemand behaupten, Wladimir Putin hätte bei der Auswahl seines Nachfolgers die Hand im Spiel.

Von Tessa Szyszkowitz/Moskau
Mitarbeit: Andrej Iwanowski