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Moskau: Feuer ins Öl

Feuer ins Öl

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Auf früheren Fotos blickt einem ein Mann unbestimmten Alters mit buschigem Schnauzbart, großer, schwerer Brille und festgezurrter Krawatte entgegen. Er wirkt ungelenk und schaut leicht grimmig. Ja, das ist ein Russe, denkt man, und wenn man erfährt, dass es sich um einen jener Männer handelt, die sich in den wilden Abenteuerjahren des vergangenen Jahrzehnts die Filetstücke des russischen Volkseigentums skrupellos unter den Nagel gerissen haben, dann würde man nicken. Das Klischee wäre bestätigt.

Der Mann heißt Michail Chodorkowskij. Er ist heute Chef und Mehrheitseigentümer von Yukos, dem größten russischen Ölkonzern. Die amerikanische Zeitschrift "Forbes" schätzt sein Vermögen auf acht bis neun Milliarden Dollar (je nach Kurswert seiner Aktien); auf der Liste der Reichen der Welt führt "Forbes" ihn auf Platz 26.

Der Mann indes, der uns in einem Konferenzsaal des Budapester Hotels "Meridien" empfängt, scheint ein ganz anderer zu sein als jener auf den Fotos. Viel jünger sieht er aus: Er ist 40 und wirkt wie 30. Der Bart ist ab. Er blickt freundlich, fast schüchtern durch die randlosen Designerbrillen. Seine sportliche Figur lässt auf diszipliniertes Fitnesstraining schließen. Er bewegt sich lässig, trägt einen Maßanzug mit offenem Hemdkragen.

Die Schmuddelzeit ist vorbei. Heute präsentiert sich Yukos international als die Avantgarde des russischen Unternehmertums: zivilisiert, gesetzestreu, verlässlich und mit westlich geprägter Firmenkultur. Der britische "Economist" ist voll des Lobes: "Innerhalb von wenigen Jahren hat ein Mann mit einer der schlechtesten Reputationen im russischen Geschäftsleben sich und seine Firma zu Champions von Modernität und Transparenz gewandelt."

Und Chodorkowskij, der inzwischen Koryphäen wie Henry Kissinger, Lord Rothschild und Lord Owen zu seinen Freunden zählt, lächelt, wenn er über seine Wandlung vom Räuberkapitalisten zum respektierten internationalen Player spricht: "Hätte während der damaligen Zeit etwa das Rechtssystem der USA gegolten - wir hätten natürlich viele Gesetze gebrochen" (siehe Interview). Damals, das war, Anfang und Mitte der neunziger Jahre, eine gleichsam rechtsfreie Zeit gewesen, in der man eben zugegriffen habe, wo sich die Möglichkeit bot. Und dann setzt Chodorkowskij ironisch hinzu: "Aber Gott sei Dank hat sich das Recht parallel mit uns entwickelt."

Ganz so parallel nun auch wieder nicht. Zumindest eine der Institutionen des russischen Rechtssystems, die Generalstaatsanwaltschaft, hat seit Anfang Juli Chodorkowskij im Visier. Die Angriffe richten sich vorerst allerdings nicht gegen ihn selbst, sondern gegen seinen engsten Vertrauten und Yukos-Großaktionär Platon Lebedew. Der sitzt wegen des Verdachts auf Betrug und Diebstahl von Staatseigentum in Untersuchungshaft. Ein Sicherheitschef Chodorkowskijs wird zudem verdächtigt, an einem Mordfall beteiligt gewesen zu sein. Und Anfang August wurde Chodorkowskij selbst vorgeladen und zu seinen Geschäften aus den neunziger Jahren befragt.

Niemand zweifelt daran, dass die Ermittlungen politisch motiviert sind, dass ohne Zustimmung oder zumindest Duldung des Kreml die Justiz nicht gegen Yukos vorgeht. Und alle Welt rätselt, was dahinter steckt: ein Angriff des Präsidenten Wladimir Putin auf den zu mächtig gewordenen Yukos-Chef, der sich gerade anschickt, seine Firma durch eine Fusion mit einer anderen großen russischen Ölfirma namens Sibneft zum viertgrößten Ölkonzern der Welt zu machen? Oder aber kämpfen zwei Fraktionen im Kreml um die Vorherrschaft - die bürokratische Geheimdienst- und Militärfraktion, Silowiki genannt, gegen die westlich orientierte liberale Businessfraktion? Wollen die bei der Verteilung des Sowjeteigentums zu kurz gekommenen Bürokraten die Privatisierung von damals rückgängig machen und mit etwas Verspätung nun doch auch ein Stück vom Kuchen? Oder hat, wie Sergej Markow von der "Moskow Times" mutmaßt, "der Kampf um Putins zweite Präsidenten-Periode begonnen"?
Jedenfalls befindet sich Michail Chodorkowskij im Auge des Hurrikans.

Wüste Privatisierungen. Ambitioniert ist er immer schon gewesen. Als einziges Kind einer Arbeiterfamilie absolviert er am prestigereichen Mendelejew-Institut in Moskau sein Chemie- und Wirtschaftsstudium. Als Student mit dem besten Examen darf Chodorkowskij sich eine Arbeitsstelle aussuchen; er will in eine Rüstungsfirma. Das wird von den Behörden aber aus "Sicherheitsgründen " verweigert - in seinem Pass steht "Jude", und das heißt für die Sowjet- Bürokraten: möglicher Risikofaktor.

Mit dieser Frustration beginnt Chodorkowskijs Karriere als Unternehmer, paradoxerweise über den Umweg des Kommunistischen Jugendverbandes Komsomol, in dem er es bis zum Kassier bringt. Es ist die Zeit der Perestroika, und der Komsomol dient Präsident Gorbatschow als Versuchsstation: Er lässt die Jungen ein wenig Kapitalismus spielen. Die Organisation handelt mit Computern und Cognac, was in dieser Zeit ohne Kontakte zum Geheimdienst kaum möglich ist.

Doch Chodorkowskij begreift, dass die Epoche größere Chancen bietet. 1989, als Millionen Rubel der Kommunistischen Partei in die Wirtschaft abfließen, gründet er erfolgreich eine der ersten Privatbanken: die Menatep-Bank. Sie residiert in einem Kellerraum.

Bald kommen die wüsten Jahre der Privatisierung. Und Chodorkowskij ist ganz vorne mit dabei. Sein Finanzinstitut, das unter anderem Milliarden Rubel staatlicher und kommunaler Einlagen verwaltet, kauft aus den Gewinnen Anteile an hunderten privatisierten Firmen. Chodorkowskij, der 1991 auch für kurze Zeit Vize-Energieminister ist, steigt mit seiner Menatep-Bank in die Liga jener superreichen Magnaten auf, die man Oligarchen zu nennen beginnt.

Deal mit Putin. Die stehen jedenfalls auf der Seite von Boris Jelzin, des trinkfreudigen Kremlherrn, der die Sowjetunion auflöst und den Kommunismus ein für alle Mal zu Grabe trägt. Und es sind auch die Oligarchen, die mit viel Geld und dem Import von westlichen Wahlkampf-Experten dafür sorgen, dass der Reformer und Westfreund Jelzin, der bei dem russischen Volk schon unten durch schien, 1994 wieder gewählt wird.

Dafür dürfen sich die Oligarchen weiter ungehindert bedienen. Chodorkowskij agiert besonders erfolgreich: Menatep erwirbt die Mehrheit der damals zweitgröß- ten russischen Ölfirma Yukos zu einem denkbar niedrigen Preis, nachdem alle Konkurrenzgebote unter skandalösen Umständen ausgeschlossen wurden.

Nach seiner Banker-Zeit beginnt Chodorkowskijs Traumkarriere in der Realwirtschaft. Als einer der Ersten erkennt er die Zeichen der Zeit: Die Raubtier-Ära ist vorbei, nun geht es um Wachstum. Wachstum jedoch setzt Investment voraus, und das wiederum erfordert Stabilität, Transparenz, klare Regeln und eine geringe Einmischung des Staates. So formt Chodorkowskij seine Firma zu einem modernen und dynamischen Ölgiganten, den die internationale Geschäftswelt schätzt, und sich selbst zu jenem feinen Gentleman-Tycoon, als der er sich heute präsentiert.

Ein Gentlemen's Agreement mit den finanzstarken Freunden seines Vorgängers schließt 2000 der frisch an die Macht gekommene Putin. Botschaft an die Oligarchen: Ihr beschränkt euch auf euer Geschäft und haltet euch aus der Politik heraus. Dafür wird im Gegenzug über die zweifelhafte Entstehungsgeschichte der großen Vermögen der Mantel des Vergessens gebreitet. Putin nimmt den Deal ernst: Als zwei der Oligarchen, Beresowski und Gusinski, sich offen gegen ihn stellen und mittels ihrer Medien Oppositionspolitik betreiben, macht der Kreml- Chef kurzen Prozess: Die beiden werden mit Gefängnis bedroht und ins Exil getrieben.

Droht dasselbe Schicksal nun auch Chodorkowskij? Zwar agierte er lange Zeit viel vorsichtiger als Beresowski und Gusinski, aber in den vergangenen Monaten hat auch er seine politische Zurückhaltung aufgegeben: So macht er etwa kein Hehl daraus, dass er zwei Putin-kritische liberale Parteien sponsert. Und dass Putin verstimmt ist, war schon seit Anfang des Jahres klar: In einem vom Fernsehen übertragenen Treffen von Ölmanagern mit dem russischen Präsidenten beklagte sich Chodorkowskij bitter über die unfairen Taktiken von Rosneft, eines staatseigenen Ölunternehmens und Konkurrenten von Yukos. Da blickte Putin kurz auf und sagte lakonisch, Chodorkowskij habe sein Ölimperium schließlich auch mit unfairen Mitteln erworben.

Allem Anschein nach dürfte Chodorkowskij dennoch nicht das Schicksal seiner Oligarchen-Kollegen erleiden. Die Silowiki- Dunkelmänner dürften nicht stark genug sein, um sich durchzusetzen. Vergangene Woche genehmigte das Kartellamt die Fusion zwischen Yukos und Sibneft. Hätte Putin mehr geplant als einen Schuss vor den Bug des immer mächtiger und selbstbewusster werdenden Ölmagnaten, wäre der Mega-Deal wohl kaum genehmigt worden. Welches Gentlemen's Agreement hinter dieser wundersamen Deeskalation steckt, darüber kann man derzeit nur spekulieren.