Mujtahid: Ein Sturm braut sich zusammen
Interview: Martin Staudinger
Wer er ist und wie er aussieht, weiß niemand: Dennoch umfasst seine Fangemeinde inzwischen fast 1,2 Millionen Menschen so viele Follower hat Mujtahid Bin Hareth Bin Hammaam zumindest auf Twitter. Dort rechnet der saudi-arabische Regimekritiker unter der Identität @mujtahidd Tag für Tag schonungslos mit dem Königshaus ab, deckt Fälle von Korruption auf und verbreitet Interna bis hin zu Informationen über den Gesundheitszustand des greisen Monarchen Abdullah ibn Abd al-Aziz (Bild).
Einige seiner Enthüllungen waren derart peinlich für die Regierung, dass der Großmufti von Saudi-Arabien die Bevölkerung aufforderte, auf Twitter zu verzichten, weil dort Lügen verbreitet und Persönlichkeiten angepatzt werden erfolglos. Statt geächtet zu werden, avancierte @mujtahidd zur einflussreichsten öffentlichen Stimme der saudischen Opposition.
Für profil beantwortete @mujtahidd per Mail eine Reihe von Fragen.
profil: Wie würden Sie die innenpolitische Situation in Saudi-Arabien beschreiben?
Mujtahid: Über dem Land braut sich ein Sturm zusammen. Allgemein wird erwartet, dass entweder ein großer Streit innerhalb der Königsfamilie ausbricht oder ein Volksaufstand, ob friedlich oder gewalttätig.
profil: Was hält die Bevölkerung Saudi-Arabiens vom Königshaus?
Mujtahid: Derzeit denken die meisten Saudis, dass die Königsfamilie der Grund für die Probleme des Landes ist, und wollen sie loswerden. Das hat eine Umfrage auf Twitter ergeben.
profil: Wie ist der Zustand der Königsfamilie?
Mujtahid: Sie versucht, die Tatsache zu verschleiern, dass sie keine Führungsqualität mehr hat und alle gegeneinander intrigieren. Die Monarchie hängt an einem seidenen Faden: dem Leben des Königs (Abdullah ibn Abd al-Aziz, 89, Anm.).
profil: Wie stehen die Chancen, dass sich das Königshaus von innen heraus erneuert?
Mujtahid: Das ist völlig ausgeschlossen.
profil: Ist die Monarchie dem Untergang geweiht?
Mujtahid: Definitiv. Sie hat keine Chance, ihren Zusammenhalt und ihre Einigkeit zurückzugewinnen.
profil: Gibt es eigentlich eine echte Opposition innerhalb von Saudi-Arabien?
Mujtahid: Es gibt eine immens große Zahl von Oppositionellen, die aber extrem schwach sind, was Organisation und Tatkraft betrifft.
profil: Sind die Oppositionellen generell eher religiös oder säkular motiviert?
Mujtahid: Es gibt keine wirklich säkulare Opposition. Die wichtigsten Player sind die Islah-Bewegung außerhalb Saudi-Arabiens und im Inneren HASM, die Bewegung für Bürger- und Politikrechte. Daneben gibt es noch zahlreiche unabhängige islamistische Aktivisten.
profil: Sie haben Fälle von Bestechlichkeit in Ihrem Heimatland aufgedeckt: Wie stark ist Saudi-Arabien von Korruption betroffen?
Mujtahid: Korruption ist hier die Regel, Sauberkeit die Ausnahme. 80 Prozent vom Reichtum des Landes enden in den Taschen der königlichen Familie.
profil: Wie sollte Saudi-Arabien aussehen, um das 21. Jahrhundert und die Zukunft zu bewältigen?
Mujtahid: Es sollte ein transparenter, sauberer Rechtsstaat mit einer gewählten Regierung sein, die einem gewählten Parlament verantwortlich ist.
profil: Wie ist das zu erreichen?
Mujtahid: Durch politischen Wandel. Aufgrund der Unreformierbarkeit der Monarchie ist aber unglücklicherweise ein radikaler Wandel unausweichlich.
profil: Wird dieser Wandel gewaltsam vor sich gehen?
Mujtahid: Nicht unbedingt. In unserem Land gibt es viele Religions- und Stammesführer, die Gewalt ablehnen.
profil: Sie werden manchmal als der Julian Assange von Saudi-Arabien bezeichnet. Ehrt Sie das?
Mujtahid: Assange hat nur Informationen hinausgespielt. Ich verbinde das mit einer klaren Botschaft.
profil: Wie würden Sie Ihre Rolle beschreiben?
Mujtahid: Als Türöffner für jeden, der einen Beitrag zur wirklichen Rettung des Landes leisten möchte.
profil: Welches Risiko gehen Sie ein, indem Sie die Monarchie kritisieren?
Mujtahid: Ein großes nicht nur, weil ich das Regime kritisiere, sondern vor allem, weil ich es glaubwürdig bloßstelle. Wenn ich keine Vorsichtsmaßnahmen getroffen hätte, wäre ich schon vor langer Zeit verschwunden.