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Museum: Zu gut zum Wäschetrocknen

Zu gut zum Wäschetrocknen

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Jahrzehntelang führte es in Wien ein Schattendasein. Im 9. Bezirk, abseits der Trampelpfade des Kulturtourismus gelegen, gehörte das barocke Gartenpalais Liechtenstein zu den am schlechtesten besuchten Museen der Stadt. Es beherbergte – bis zu der immer wieder hinausgezögerten Fertigstellung des Museumsquartiers in den Hofstallungen – einen Teil des Museums moderner Kunst, ein ruck, zuck installiertes Provisorium, eine Notlösung auf Zeit, die von niemandem so recht geliebt wurde, am allerwenigsten von den dort ausgestellten Künstlern. Joseph Beuys hielt angesichts der schlecht beleuchteten Räume im zweiten Stock fest, dass diese wohl eher zum Wäschetrocknen als zur Präsentation moderner Kunst geeignet seien.

Das alles soll sich nun gründlich ändern. Ab dem 28. März werden, meint hoffnungsfroh der neue Direktor des Hauses, Johann Kräftner, „die großen Touristenströme aus Japan und den USA“ das barocke Gebäude stürmen. Erleben sollen sie dort nach dem Plan des Hausherrn „einen Ort der Sinne und der Lebensfreude“, eine Zeitreise durch die Kunstgeschichte Europas im Rahmen barocker Räumlichkeiten und historischer Gärten.

Seinen Höhepunkt erlebt dieses Gesamtkunstwerk durch ausgewählte Bilder, Skulpturen und künstlerische Gebrauchsgegenstände aus einer der größten Privatkollektionen der Welt, der Kunstsammlung des Fürstenhauses Liechtenstein, zusammengetragen in mehr als drei Jahrhunderten, verteilt auf zahlreiche Schlösser und Palais in Mähren, Niederösterreich und Wien. In der Sammlung befinden sich Gemälde von Raffael, Rubens, Breughel, van Dyck und Rembrandt sowie Plastiken von Mantegna, Giambologna, Adrian de Fries und Antonio Canova.

Big Spender für Museen. Obwohl im Dienste des Kaiserhauses stehend, sahen sich die Liechtensteiner als Kunstsammler den Habsburgern stets ebenbürtig. Dies begann mit Karl I. von Liechtenstein, um 1600 Obersthofmeister am Hof des kunstfreudigen Rudolf II. in Prag, der mit Auftragswerken an den damals führenden Bildhauer Adrian de Fries seinen Kaiser als Sammler übertrumpfte. Und es fand einen letzten Höhepunkt zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Johann II., einem der reichsten Menschen seiner Zeit: Der Junggeselle und Philanthrop hortete mit Meisterwerken der frühen italienischen und niederländischen Malerei unvorstellbare Werte und verschenkte diese zum Teil großzügig weiter – an das Kunsthistorische Museum, die Österreichische Galerie, die Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste und nicht zuletzt an das Historische Museum der Stadt Wien, das damit den Grundstein für seine Biedermeier-Sammlung legen konnte.

In der NS-Zeit entging die Sammlung Liechtenstein nur knapp dem Schicksal anderer adeliger oder jüdischer Kollektionen, etwa der Sammlung Czernin oder der Sammlung Rothschild. Franz I. war mit einer Jüdin, Baronesse Gutmann, verheiratet, flüchtete sofort nach dem „Anschluss“ aus Österreich und starb ein Jahr später. Sein Nachfolger als regierender Fürst, Franz Josef I., aus einer anderen Linie des Hauses stammend, ging mit seiner Familie nach Vaduz und setzte sich dort intensiv für die Unabhängigkeit des kleinen und damals sehr armen Landes ein. Im Zuge eines Besuchs bei Hitler in Berlin erreichte er eine Neutralitätsgarantie für Liechtenstein nach dem Vorbild der Schweiz sowie die Zusage, dass die nach Vorarlberg pendelnden Liechtensteiner ihre Arbeitsplätze behalten und ungehindert dorthin reisen konnten.

Aus der in Wien gelagerten, später in den Stollen von Lauffen verbrachten Sammlung wurden gegen Ende des Krieges von den Nazis Bilder zweiter Qualität freigegeben. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion schaffte in den letzten Kriegstagen der Sammlungsdirektor Gustav Wilhelm, der einen Einberufungsbefehl zur Wehrmacht negierte und damit Kopf und Kragen riskierte, auch die Prunkstücke nach Vaduz, indem er einfach Bildetiketten vertauschte.

Ein Leonardo für eine Bank. Das wertvollste Bild, das sich je in der Sammlung befand, kann nicht mehr in Wien gezeigt werden, trug jedoch indirekt zur Entstehung des neuen Museums bei. Das Porträt Ginevra de’ Benci, ein Hauptwerk Leonardo da Vincis, wurde 1967 um die damals stattliche Summe von fünf Millionen Dollar an die National Gallery in Washington verkauft, deren ganzer Stolz das Bild noch heute ist. Mit dem Geld gründete die Familie die Fürstliche Bank LGT in Vaduz, die das Wiener Museum nun finanziert. Dieses wird als privates Investment gesehen, das über eine Wertsteigerung der Sammlung und den Imagegewinn der Bank einmal Früchte tragen soll.

Mit Bildern Geschichten erzählen. Die Vorausinvestitionen sind jedenfalls beträchtlich: Um rund 20 Millionen Euro wurde das barocke Gartenpalais, gebaut gegen Ende des 17. Jahrhunderts von italienischen Architekten, unter der Leitung von Kräftner, einem anerkannten Kunst- und Architekturhistoriker, saniert und restauriert. Dabei wurden verloren geglaubte Fresken vom Beginn des 18. Jahrhunderts freigelegt und aufwändig wiederhergestellt. Eine seit Jahrzehnten unbenutzte Bibliothek wurde zudem renoviert; sie soll als Schauraum und für Grafikausstellungen genutzt werden.

Erneuert wird auch der Garten hinter dem Palais – ursprünglich eine Barockanlage, im 19. Jahrhundert jedoch in einen englischen Garten umgewandelt.

In der Sala terrena, dem Entree ins Palais, wurden alle Einbauten aus der Zeit des Museums moderner Kunst entfernt. Wo damals Jean Tinguelys bewegliche und klingende Skulptur „Meta-Harmonie“ für Staunen sorgte, glänzt jetzt das größte Stück der Sammlung, der „Goldene Wagen“, eine französische Prunkkutsche von 1738, als Joseph Wenzel von Liechtenstein kaiserlicher Botschafter in Paris war.

Der prächtigste Raum des Palais, der Herkulessaal im ersten Stock mit seinem monumentalen Deckenfresko aus den Jahren 1704–1708 (einem Hauptwerk von Andrea Pozzo, dem Vollender der spätbarocken illusionistischen Raummalerei), soll für Konzerte genutzt werden. Um den Saal herum gruppieren sich die Ausstellungssäle mit der großen Galerie und sechs weiteren Räumen. Der zweite Stock, den Beuys zum Wäschetrocknen empfahl, wird nicht für Ausstellungen genutzt, sondern beherbergt die Verwaltung.

Kräftner will mit den Exponaten auch „Geschichten erzählen“, etwa die künstlerische Rückbesinnung auf die Antike, die im 16. Jahrhundert die ersten römischen Ausgrabungen begleitete, die Biedermeiermalerei zur Zeit Schuberts oder die Auseinandersetzung der Kunst mit den napoleonischen Kriegen.

Dazu hatte der neue Direktor in den letzten Jahren ein nicht unbedeutendes Ankaufsbudget zur Verfügung. Mit diesem gelang es, Themen abzurunden und einige Werke, die im 20. Jahrhundert aus der Sammlung verkauft worden waren, zurückzuerwerben.

Insgesamt wird das Museum permanent rund 150 Werke zeigen – das sind etwa zwanzig Prozent der gesamten Sammlungsbestände. In Wechselausstellungen werden weitere Werke abwechselnd in Wien und im Liechtensteinischen Museum in Vaduz präsent sein.

Mitnahmeeffekt. Um Synergieeffekte zu erzielen, arbeitet das neue Museum bereits vor seiner Eröffnung, die Ende März stattfinden wird, mit anderen österreichischen Privatsammlungen zusammen, etwa der Graf-Harrach’schen Familiensammlung, der Esterházy-Privatstiftung, der Sammlung Schönborn-Buchheim und der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste in Wien. Renate Trnek, Leiterin der Sammlung der Akademie, erhofft sich in einer Situation, in der etwa die

Barocksammlungen des Kunsthistorischen Museums oder der Österreichischen Galerie (ÖG) so gut wie gar nicht beworben werden, durch das neue Museum einen „Mitnahmeeffekt“. Sie hofft auf einen Ticketverbund und bewirbt ihrerseits das neue Haus im Folder der Akademie-Galerie.

Werbung in New York und Tokio. Für die Bundesmuseen stellt das neue Haus angesichts seiner „aggressiven Werbestrategie“ (Wolfgang Prohaska von der Gemäldegalerie des KHM und selbst im Kunstbeirat des Liechtenstein-Museums) zweifellos scharfe Konkurrenz dar. Wilfried Seipel, Generaldirektor des KHM, fand keine Zeit, dazu Stellung zu nehmen. Gerbert Frodl, Leiter der ÖG, gibt sich zweckoptimistisch: „Selig und glücklich“ sei er über die „ungeheure Bereicherung für Wien“. Es sei möglich, dass sich in den ersten Monaten ein gewisser Besucherrückgang für die bestehenden Museen ergebe, das werde sich aber einpendeln.

Genau das bleibt abzuwarten. Kräftner ist im Vorfeld der Eröffnung zwischen New York und Tokio unterwegs, tritt auf allen großen Tourismusmessen auf. Einen spektakulären ersten Auftritt hatte das Gartenpalais schon beim diesjährigen Neujahrskonzert mit dem Staatsopernballett.

Direktor Kräftner wehrt sich gegen Vorwürfe, vor allem Eventkultur zu pflegen. Mit den Ankäufen und Wechselausstellungen (geplant ist bereits „Maler unter dem Vesuv“, eine Schau zu neapolitanischer Kunst) verfolge man eine durchaus auch forschungsorientierte Museumspolitik. Die Sammlung Liechtenstein, meint Wolfgang Prohaska, mache gemeinsam mit dem KHM Wien zur „wichtigsten Stadt für flämische Malerei“ überhaupt.

Das bedeute, so gibt sich Kräftner selbstbewusst, eine längst fällige Korrektur des alten Wien-Images. Es sei höchst einseitig, die Stadt kunsthistorisch auf die Periode um 1900 zu reduzieren, wie das in den letzten Jahrzehnten geschah – und dabei die glanzvollste Epoche in der Geschichte der Stadt, nämlich das Barock, auszublenden. Die Imagekorrektur kommt – wie erfolgreich sie sein wird, bleibt abzuwarten.