Musikindustrie

Musikindustrie: The show must go on

The show must go on

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Eigentlich hätte die neue CD des derzeit angesagtesten US-Rappers Curtis „50 Cent“ Jackson erst am 18. November erscheinen sollen. Doch das Internet machte den Marketingplänen einen Strich durch die Rechnung: Schon vor dem geplanten Veröffentlichungstermin tauchten sämtliche Songs des Albums im Netz und – auf CDs gebrannt – auf den Straßen auf. An sich nichts Ungewöhnliches heutzutage. Ungewöhnlich ist nur die Reaktion des Labels von 50 Cent: Es veröffentlichte das Album kurzerhand schon vergangene Woche, um den Raubkopierern nicht allzu viel Vorsprung zu lassen. Ebenso untypisch die entspannte Reaktion von 50 Cent selbst: „Die Straßen sind es gewöhnt, sich mein Material mit ungewöhnlichen Methoden zu besorgen.“ Der Hip-Hop-Star, der seine Karriere selbst mithilfe raubkopierter Beats begann, vertraut darauf, dass die Mundpropaganda der Straße seine CD-Verkäufe ankurbelt.

Die Geschichte ist symptomatisch für den Zustand der gesamten Musikindustrie: Die „Internet-Generation“ treibt sie zwar immer noch mit illegalen Downloads und selbst gebrannten CDs vor sich her. Doch statt wie in den vergangenen Jahren wie gebannte Karnickel auf die Schlange des technologischen Fortschritts zu starren, erwacht die Musikindustrie nun langsam und beginnt, Gegenstrategien zu entwickeln. Mit Fusionen, Preissenkungen und der forcierten Nutzung des Internets als Vertriebsweg sucht sie nun den Weg aus der Krise. „Die Tonträgerindustrie ist im Moment sehr rührig“, konstatiert Horst Unterholzner, Geschäftsführer von Sony Music Österreich.

Es ist hoch an der Zeit: Ihr Zustand ist bedauerlich. Seit 1999 sind die weltweiten CD-Verkäufe um 26 Prozent und die Umsätze aus dem CD-Geschäft um 14 Prozent zurückgegangen. Mit dem Aufkommen von MP3-Tauschbörsen im Internet und der Vefügbarkeit billiger CD-Brenner strichen vor allem Jugendliche den Gang ins Plattengeschäft zunehmend von der Liste ihrer Freizeitaktivitäten: Zu verlockend ist der schnelle und kostenlose Download aus dem praktisch unbegrenzten Online-Repertoire.

Sparkurs. Die Musikindustrie, die nach mehreren Fusionswellen ab Mitte der achtziger Jahre von nur noch fünf Unternehmen, den so genannten Majors, dominiert wird, reagierte zunächst defensiv – mit einem harten Sparkurs: Tausende Mitarbeiter wurden in den letzten Jahren gekündigt, ebenso wie hunderte Verträge mit Künstlern. Inzwischen ist man an der Schmerzgrenze angelangt: „Zu Tode gespart heißt auch gestorben“, meint Manfred Wodara, stellvertretender Geschäftsführer bei Warner Music Austria. Nun, da es mit Sparen nicht mehr weitergeht, wird das nächste vermeintliche Standardrezept zur Krisenbewältigung eingesetzt: Durch Fusionen soll Raum für neue Kostensenkungen geschaffen werden.

Im Sommer setzte ein regelrechter Reigen von Fusionsgesprächen unter den großen Fünf ein: Zunächst verhandelte die deutsche BMG, die Musik-Tochter des Bertelsmann-Konzerns, wochenlang mit dem amerikanischen Unternehmen Warner Music, das zu AOL Time Warner gehört, über eine Verschmelzung. Als die Gespräche nichts fruchteten, begann der britische Mitbewerber EMI um Warner Music zu werben und hat inzwischen auch das nötige Kleingeld für eine Übernahme – 1,6 Milliarden Dollar – aufgestellt.
Vorvergangene Woche platzte dann die Nachricht, dass Bertelsmann und der japanische Sony-Konzern ihre Musiksparten in ein Joint Venture einbringen wollen. Der Hintergrund des hektischen Gefeilsches: Fusionen müssen von den Wettbewerbsbehörden in den USA und der EU genehmigt werden – vor allem die EU-Kommission gilt hier als kritisch. Branchenbeobachter meinen, dass eine Fusion von der EU-Wettbewerbsbehörde vermutlich akzeptiert würde, eine Reduktion der Familie der Branchenriesen auf nur noch drei Mitglieder aber sehr wahrscheinlich ein Veto zuf Folge haben würde. So wird nun zwischen EMI/Warner einerseits und Sony/Bertelsmann andererseits um die Wette verhandelt. Schon in zwei Monaten sollen die Verhandlungen mit Sony abgeschlossen sein.

Denkbar ist auch die Möglichkeit, dass die EU keine der beiden Fusionen genehmigt: Schließlich hat sie ein ähnliches Ansinnen vor drei Jahren bereits einmal abgelehnt, als sich Warner Music und EMI zusammenschließen wollten. Die damalige Begründung birgt heute eine gewisse Ironie: Die EU-Kommission befürchtete, dass das fusionierte Unternehmen, an dem über Warner der Internetprovider AOL beteiligt gewesen wäre, beim Aufbau von Musikangeboten im Internet einen allzu großen Vorsprung vor der Konkurrenz gehabt hätte. Heute ist es genau dieses Versäumnis, das den Majors zu schaffen macht und sie hoffen lässt, dass die Kartellbehörden diesmal nachsichtig sein werden.

Ob die geplanten Fusionen überhaupt die erhofften Kosteneinsparungen in Verwaltung und Vertrieb bringen und somit den Unternehmen eine Atempause verschaffen werden, steht wiederum auf einem anderen Blatt. „Kritiker sagen, dass die Unternehmen sich wie Ertrinkende aneinander klammern und sich dadurch umso schneller in die Tiefe ziehen“, meint Branchenkenner Walter Gröbchen, der für Universal und Warner neue Talente im deutschsprachigen Raum sucht. Und Warner-Music-Mann Wodara befüchtet, dass die Fusionen zu einem schmaleren Angebot an Musik führen werden.

Zusammenschlüsse sind freilich nicht die einzigen Maßnahmen, welche die Industrie gegen die Krise ergreift. So hat Marktführer Universal, eine Tochtergesellschaft des französischen Mischkonzerns Vivendi, vor wenigen Wochen in den USA versucht, mit Preissenkungen ein Zeichen zu setzen – wenn auch ein sehr kleines: Sie treten nur in Kraft, wenn die CD-Händler eine Reihe von Bedingungen akzeptieren. Bei Universal in Europa wartet man erst einmal ab. Die Konkurrenz beurteilt das Vorpreschen des Marktführers skeptisch: „Man kann das Heil nicht in Pseudopreissenkungen suchen“, kritisiert Manfred Wodara von Warner Music.

Klagewelle. An einem Strang ziehen die Musikkonzerne hingegen, wenn es um das juristische Vorgehen gegen die Internet-Tauschbörsen und ihre User geht. Über den US-Industrieverband Recording Industry Association of America (RIAA), in dem alle Labels vertreten sind, werden Klagen im Akkord ausgestoßen. In den vergangenen Jahren war man juristisch erfolgreich, aber faktisch erfolglos gegen
die Internet-Tauschbörsen vorgegangen: Napster, der Urvater dieser Plattformen, wurde zwar per Gerichtsbeschluss in die Knie gezwungen. Doch die zweite Generation von Tauschbörsen ist juristisch schwieriger fassbar. Es handelt sich um dezentrale Netzwerke ohne belangbare Knotenpunkte, deren Betreiber sich beispielsweise auf der Karibikinsel Vanuatu verstecken.

RIAA hat sich daher nun auf das Klagen der User selbst verlegt: Im Sommer flatterten 261 amerikanischen Internetnutzern Schadenersatzforderungen über bis zu 150.000 Dollar pro heruntergeladenen Song ins Haus. Dass sich darunter ein 80-jähriger Großvater, ein zwölfjähriges Mädchen und eine arbeitslose New Yorkerin fanden, vermittelte eine Botschaft, die wohl nicht unbeabsichtigt war: Es kann jeden treffen. Prompt ging die Zahl der illegalen Downloads zurück, und im September verzeichneten die CD-Händler in den USA zum ersten Mal seit mehr als zwei Jahren Verkaufszuwächse.

Doch das für eine Trendwende zu halten wäre verfrüht: „Die Musikindustrie erlebt einen extrem heftigen Wandel. Das wird auch in den nächsten zwei bis drei Jahren noch mit Einbußen verbunden sein“, analysiert Gröbchen. Noch immer sind in der derzeit beliebtesten Tauschbörse Kazaa rund um die Uhr mindestens drei Millionen Menschen online.

So hat sich in den Chefetagen der Majors inzwischen die bittere Erkenntnis durchgesetzt, dass es kein Zurück in das Prä-Internet-Zeitalter gibt und man sich langsam von der CD als Umsatzgarant verabschieden muss: „Es wird den physischen Tonträger zwar noch zehn bis 15 Jahre geben, aber die Distribution von Musik wird sich radikal verändern“, meint Sony-Mann Unterholzner. Die Industrie sucht ihr Heil nun selbst im Internet – mit bezahlten Downloads. „Ob die Musikindustrie so überlebt wie bisher, hängt davon ab, ob es uns gelingt, legale Downloads als neuen Vertriebsweg zu nützen“, prophezeit Hannes Eder, Geschäftsführer von Universal Music in Österreich.

Mut in dieser Hinsicht macht der Industrie vor allem der Erfolg von Apple. Der Computerhersteller zeigt vor, dass man mit einem ansprechenden und benutzerfreundlichen Angebot Konsumenten sehr wohl dazu bringen kann, auch im Internet für Musik zu bezahlen. Apple bietet in seinem Online-Shop „iTunes Music Store“ derzeit 400.000 Songs an, die per Mausklick zu je 99 US-Cent auf den eigenen Computer geladen werden können. Seit dem Start im Frühjahr haben Musikfans in den USA schon mehr als 14 Millionen Mal zugegriffen. Seit kurzem werden auch Windows-User bedient, nach Europa soll der Dienst 2004 kommen.

Zukunftsmusik. Die Musikindustrie kann sich bei Apple-Chef Steve Jobs bedanken: 65 der 99 Cent fließen direkt an sie als Inhaber der Urheberrechte zurück. Apple selbst verdient wenig bis nichts am Musikverkauf, wie Jobs unumwunden zugibt. Für ihn soll der Online-Shop hauptsächlich den Verkauf der iPods fördern. Dieser Mp3-Walkman in der Größe einer Zigarettenpackung gilt unter der technophilen Jugend von New York bis Sydney bereits als unverzichtbares Style-Accessoire.
Der „iTunes Music Store“ ist freilich nicht konkurrenzlos. Legale Download-Plattformen mit Bezahlpflicht sprießen derzeit geradezu aus dem Boden. Allein in den USA sind zehn solcher Online-Shops bereits gestartet oder stehen kurz davor. Auch sie werden nicht von den Plattenlabels selbst betrieben, sondern von Computer- und Softwareunternehmen wie Roxio, das Napster als Bezahldienst wiederbelebt hat, oder Real, das seine Songs um nur 79 Cent anbieten will. In Deutschland hat hingegen die Musikindustrie selbst das Heft in die Hand genommen und entwickelt die Plattform „Phonoline“, die – nach mehreren Verzögerungen – im ersten Quartal 2004 in Betrieb gehen soll.

Den bezahlten Downloads winkt eine rosige Zukunft: Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Forrester werden 2008 bereits 33 Prozent der Umsätze im Musikgeschäft mit Downloads gemacht werden, während die Umsätze aus dem CD-Verkauf bis dahin um 30 Prozent unter den Spitzenwerten von 1999 liegen werden. Die großen Gewinner dieser Entwicklung, so die Forrester-Studie, werden allerdings nicht die Industriegiganten sein: Sie werden sich in Zukunft mit einem kleineren Stück des Kuchens zufrieden geben müssen. Profitieren würden vor allem die Internetportale, die die Musik zum Download anbieten, und die Musiker selbst, die unabhängiger werden würden. US-Star Moby bringt das Argument auf den Punkt: „Warum soll eine Plattenfirma qualifizierter sein als ich, ein MP3 an iTunes zu schicken?“ Auch Walter Gröbchen erwartet eine Machtverlagerung weg von den Majors und hin zu unabhängigen Labels.

Für Konsumenten sind diese Entwicklungen gute Nachrichten: Sie bedeuten mehr Auswahl bei Inhalten und Formaten, vom preiswerten MP3 bis zur teuren Sammlerkollektion. Für Sony-Music-Austria-Chef Unterholzner drängt sich ein Vergleich mit dem Buchmarkt auf: „Da gibt es auch billige Taschenbücher, normale, gebundene Ausgaben und schöne Sonderausgaben.“ Walter Gröbchen hat dieselbe Vision vom Musikmarkt der Zukunft: „Ob die nackten Dateien aus dem Internet, die Billig-CD in der Plastikhülle oder die hochwertige Audio-DVD in schöner Verpackung – der Kunde wird wählen können“, glaubt Gröbchen. „Der echte Fan kauft sowieso alles.“ Genau das ist der Grund, warum Hip-Hop-Star 50 Cent trotz der Raubkopien cool bleibt.