Die neue Generation

Islam. Junge Muslime sind moderner und säkularer als angenommen

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Von Franziska Dzugan

"Es war immer klar, dass ich einmal studieren werde“, sagt Aldijana Dosliè. "Familie und Kinder kommen später.“ Die 19-jährige HTL-Schülerin hat bosnische Wurzeln und ist mit muslimischem Glauben aufgewachsen. Wie ihr Mitschüler Denis Yatkin, türkisch-syrisch-stämmiger Maturant, verkörpert sie eine neue Migrantengeneration: säkular, offener und gebildeter als ihre Eltern.

Beide entsprechen dem Bild, das der Theologe Paul M. Zulehner in seiner Studie "Verbuntung“ von Muslimen zeichnet. Vor allem die Jungen unter den rund 500.000 Menschen islamischen Glaubens sind weitaus moderner, als Heinz-Christian Straches FPÖ glauben machen will. Zulehner ortet einen "rasanten Wertewandel“ von der ersten zur zweiten Generation: Während die ursprünglichen Zuwanderer aus der Türkei und Bosnien noch zu 54 Prozent gläubige Muslime waren, hat sich die Zahl bei deren Kindern mit 29 Prozent beinahe halbiert. "Das kommt einem Kulturbruch gleich“, so der Theologe.

Motor dieses Wandels sind die Frauen.
Vor allem bei den jungen Musliminnen hat die Obrigkeitshörigkeit enorm abgenommen. Die Unterwerfungsbereitschaft gegenüber Autoritäten hat sich auf 31 Prozent halbiert. Das ist weniger als der Durchschnittswert bei anderen österreichischen Frauen. "Frauen im Islam sind die Modernisierungsvorhut“, schreibt Zulehner. Das schlägt sich auch bei den Geschlechterrollen nieder. Die Hälfte der jungen Musliminnen strebt Beziehungen nach westlichem Maßstab an, nur noch sechs Prozent können sich mit dem traditionellen Bild von Ehefrau und Mutter als Hauptberuf identifizieren. Ein gewaltiger Wertewandel: Von den Frauen der ersten Einwanderergeneration konnten sich nur 15 Prozent ein modernes Familienleben vorstellen. "Ich will auf jeden Fall Kinder. Aber zuerst will ich Jus studieren und arbeiten. Der Vater meiner Kinder muss kein Muslim sein“, sagt die Maturantin Aldijana Dosliè. Die jungen Männer hinken da weit hinterher. Jeder dritte Muslim der zweiten Generation spricht sich noch für die traditionelle Rollenverteilung zwischen Frau und Mann aus - ein krasser Gegensatz zu den sechs Prozent bei den Frauen. Diese Kluft führe bei Muslimen zu regelrechtem "Modernisierungsstress“, so Zulehner. Denis Yatkin, dessen Großvater aus der Türkei nach Österreich kam, hat selbst ein sehr modernes Beziehungsverständnis. Viele seiner Freunde nicht: "Fragt man die Jungs, ob sie auch ihre Schwester mit in den Klub nehmen würden, schauen sie einen nur entgeistert an.“ So käme es oft zu familiären Konflikten.

Islamgläubige wären rückständig und zeigten wenig Interesse an Integration, so das gängige Vorurteil. Laut Zulehners Studie glaubt nur jeder zweite Österreicher, Muslime wären gute Demokraten. 46 Prozent hingegen denken, der Islam sei eine gewalttätige Religion, die radikale Gruppierungen und Terrorismus begünstige. Populismus à la FPÖ schürt mit Slogans wie "Daham statt Islam“ solche Ängste - unbegründet, wie die Langzeituntersuchung zeigt: 90 Prozent der Einwanderer muslimischen Glaubens der zweiten Generation sprechen sich für kulturelle Vielfalt aus, 64 Prozent für einen gleichberechtigten Religionsdialog. Maturantin Aldijana Dosliè hat jedenfalls Bezug zu ihrer Religion: Sie geht im Fastenmonat Ramadan in die Moschee, Pflege von Kultur und Tradition sind ihr wichtig. Das verträgt sich durchaus mit großer religiöser Offenheit: "Mein Kind soll mehrere Religionen kennen lernen und später selbst entscheiden.“ 35 Prozent der Muslime halten es für wichtig, dass Kinder in Österreich Religionsunterricht bekommen, um den christlichen Glauben kennen zu lernen. Nur noch 21 Prozent der Muslime in zweiter Generation wollen ausschließlich Landsleute heiraten, bei der Elterngeneration waren es noch 45 Prozent. Islamismus sieht anders aus.

Schrumpft die Obrigkeitshörigkeit, nimmt auch die Religiosität ab, stellt Zulehner fest. "Modernisierung führt oft zu Glaubensverlust und in diesem Sinn zu einer Säkularisierung des Islams.“ Sind in der ersten Generation noch 54 Prozent für eine enge Zusammenarbeit von Staat und Kirche, sind es in der zweiten nur 31 Prozent.

"Mein Studium ist das Wichtigste in meinem Leben“
, sagt die junge Muslimin Mona C. Sie eilt gerade aus dem Hauptgebäude der Universität Wien, im Arm einen Stapel Bücher. Die Eltern der 21-Jährigen stammen aus der Türkei. Mona trägt Kopftuch und geht regelmäßig in die Moschee, ihre Wünsche und Ziele unterscheiden sich aber kaum von jenen anderer junger Österreicher: Studium abschließen, Karriere machen, irgendwann eine Familie gründen. Ob moderat religiös oder Muslimin mit Kopftuch: Aldijana Dosliè und Mona C. vertreten den neuen, von Zulehner beschriebenen "Typ, welcher Modernität mit (gewandelter) Gläubigkeit verbinden kann“.

Studentin Mona C. meint, viele junge Frauen würden das Kopftuch eher als politisches Statement oder aus Zugehörigkeitsgefühl zur muslimischen Gemeinschaft tragen denn aus Religiosität. Viele entscheiden sich bewusst und ohne Druck der Familie dafür. Oft sei das Kopftuch ein Trotzsymbol gegen antiislamische Parolen von Politikern des rechten Lagers. Somit steht es auch für ein neues Selbstbewusstsein der jungen Frauen, die sichtbar als Gemeinschaft auftreten wollen. Dazu hat auch die islamische Regierungspartei AKP in der Türkei beigetragen, mit welcher die Mehrheit der in Österreich lebenden Muslime sympathisiert. Von 71 Prozent der Muslime wird der Islam als ein Stück Heimat betrachtet. "Die Religion ist Heimat, die man überallhin mitnehmen kann“, so Zulehner.

Fuat Sanac, seit vergangenem Juni Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, hat keine Angst, seine Schäfchen könnten abhandenkommen: "Die Moscheen sind voll. Islam und Moderne sind kein Widerspruch.“ In Österreich gibt es mehr als 200 Gebetsräume und drei Moscheen, bisher alle von Männern geführt. Das will Sanac ändern. Seit seinem Amtsantritt haben 100 Frauen höhere Aufgaben innerhalb der Islamischen Glaubensgemeinschaft übernommen. "Predigerinnen gibt es noch wenige, aber ich arbeite daran“, so der Präsident.

Leicht gemacht wird es Zuwanderern, Muslimen im Besonderen, in Österreich nicht. Laut Zulehners Studie stehen über die Hälfte der Österreicher (55 Prozent) Ausländern ablehnend gegenüber. Viele junge Migranten werden wegen Sprachproblemen in Sonderschulen abgeschoben. "Wir erleben in den letzten fünf Jahren einen wahren Boom des zweiten Bildungswegs. 90 Prozent davon sind Frauen“, sagt Zerife Yatkin von der Volkshochschule Wien-Ottakring. Oft kämen die jungen Musliminnen völlig müde aus der Arbeit, um einen Abschluss zu machen.

"Die Annäherung der Zugewanderten an die österreichische Kultur erfolgt mit enormer Geschwindigkeit“, so Zulehners Fazit. Was fehlt, ist der Kontakt zwischen Muslimen und anderen Österreichern.

Wegen seines fremdländischen Aussehens wird der junge Muslim Denis Yatkin immer wieder angepöbelt. Er ist in Wien geboren, seine Familie lebt in dritter Generation in Österreich. Er spricht perfekt Deutsch. Trotzdem fühlt sich der angehende Ingenieur oft abgewiesen: "Solange mich die Österreicher nicht so akzeptieren, wie ich bin, bezeichne ich mich auch nicht als Österreicher.“