Die Büffelherde

Schulschluss: Jeder vierte Schüler muss Nachhilfe nehmen

Schule. Jeder vierte Schüler in Österreich braucht Nachhilfe

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Die nächsten Tage werden für die 18-jährige Lisa Pfeiffer aus Krems eine Nervenprobe der besonderen Art. Vergangene Woche hat sie ihre schriftliche Matura in Mathematik abgegeben. „Ich will einfach nur bestehen“, seufzt Lisa.

Die vergangenen Wochen streberte sie fast ununterbrochen, nahm in Mathematik drei Stunden wöchentlich Nachhilfe. Ein kostspieliges Unterfangen: Ihre Eltern blätterten für einen Block von fünf Einheiten zu je eineinhalb Stunden bei dem Nachhilfe-Institut „Schülerhilfe“ 210 Euro hin. Wie viele Stunden sie insgesamt hatte, weiß die Maturantin heute nicht mehr. Mit nur einem Block ist sie jedenfalls bei Weitem nicht ausgekommen.

Problemfach Mathematik
Nicht nur Lisa hatte in Mathematik Probleme. Viele ihrer Klassenkollegen sind in dem Gegenstand völlig überfordert. Ein Mädchen aus ihrer Klasse lernte vor der Matura sechs Wochen lang nahezu Tag und Nacht durch und nahm dabei sechs Kilo ab. „Auch ich habe manchmal so lange geübt, bis ich einfach nicht mehr konnte“, beschreibt Lisa den Druck. Doch nun hat die Quälerei ein Ende. Sie muss nur noch zur mündlichen Matura antreten und hofft, bei allen Prüfungen positiv abzuschneiden. Im Herbst will sie dann Politikwissenschaft studieren.

Lisa ist ein typischer Fall. Laut einer bundesweiten Elternbefragung der Arbeiterkammer benötigen 27 Prozent aller Schüler in Österreich Nachhilfe. Ein Drittel wendet sich dafür an ein Lerninstitut, ein weiteres Drittel wird privat von Lehrern unterrichtet. Oft wird auch mit Studenten, Mitschülern, oder Familienmitgliedern gelernt. Drei Viertel der Eltern gaben bei dieser Studie an, dass auch sie selbst regelmäßig mit ihren Kindern üben und bei den Hausaufgaben nachhelfen müssen. Für die zusätzliche externe Lernunterstützung werden in jedem Haushalt im Schnitt 670 Euro pro Jahr (siehe Grafik, Seite 82) ausgegeben. Der Bildungsexperte und ehemalige „Kurier“-Schüleranwalt Andreas Salcher ist jedoch überzeugt, dass die Dunkelziffern weitaus drastischer ausfallen: „Ich habe Mails erhalten, in denen mir Eltern schreiben, dass sie 5000 Euro und mehr im Jahr für Nachhilfe ausgeben. Das ist ein Wahnsinn!“

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Doch warum straucheln trotz dieses enormen Aufwandes immer mehr Schüler in der Schule? Warum muss immer öfter zusätzlich am Nachmittag und in der ohnehin knapp bemessenen Freizeit gebüffelt werden, um den Stoff auch nur halbwegs zu bewältigen?

Grund dafür sind ein überholtes Schulsystem, veraltete Unterrichtsmethoden, überforderte Lehrer, sowie fehlende Fördermaßnahmen und psychosoziale Unterstützungsstrukturen. Die Politik versucht seit Jahrzehnten diese Defizite zu beheben, doch in der stark ideologisch geführten Bildungsdebatte, die in einem Hick-Hack zwischen Sozialdemokraten und Volkspartei ausgetragen wird, sind Reformversuche zum Scheitern verurteilt. Dabei werden immer mehr Eltern und Schüler zermürbt – während andere schamlos Profit aus der Misere ziehen.
Kriegsgewinner ist ausgerechnet jene Berufsgruppe, die selbst zumindest partiell Auslöser und Leidtragende des Desasters ist: die Lehrer. Da laut Elternumfrage zumindest ein Drittel der Nachhilfe von Lehrern angeboten wird, lautet der Umkehrschluss: Hier bereichert sich jene Berufsgruppe in ihrer Freizeit – meist steuerfrei – durch eine Leistung, die sie eigentlich im Regelunterricht auf Kosten der Steuerzahler erbringen hätte sollen.
Der Lehrer und Autor Niki Glattauer geht mit diesen Kollegen scharf ins Gericht: „Ich kenne Kollegen, die in ihrer Klasse sämtliche Schüler sitzen haben, die an der Kippe stehen, jedoch am Nachmittag anderen privat Nachhilfe geben. Das finde ich unverschämt, sie sollten gefälligst ihre Zeit und Energie dafür einsetzen, ihre eigenen Schüler zu fördern.“
Bildungsexperte Andreas Sacher geht in seiner Kritik noch weiter: Die Unterrichtsmethoden würden heute eher einem „Fernstudium mit Anwesenheitspflicht am Vormittag und Nachlernpflicht am Nachmittag“ gleichen.

Die Lehrer, die an dem defizitären System finanziell profitieren, können ihr Kopfgeld erstaunlich ungeschoren verdienen. Unterrichtsministerin Claudia Schmied betont, dass sie weder „für Schwarzarbeit zuständig“ sei, noch daran denke, die „Aktivitäten von Lehrern in ihrer Privatsphäre zu kontrollieren.

Sogar der ansonsten so kämpferische Lehrergewerkschafter Paul Kimberger gibt zu, dass sein Berufszweig von schwarzen Schafen durchsetzt ist: „Ich lege die Hand nicht für alle Kollegen ins Feuer. Es gibt bestimmt viele, die sich zu wenig im Unterricht engagieren, dafür aber umso mehr in ihrer Freizeit. Aber genauso existieren auch jede Menge Vorzeige-Lehrer. Ich bin für Aufnahmeselektionen bei der Lehrerausbildung, damit wirklich nur für diesen Beruf geeignete Personen ausgebildet werden.“

Rahmenbedingungen schaffen
Kimberger fordert aber auch viel mehr Unterstützung für seine Kollegen, vor allem durch Psychologen und Sozialarbeiter. Eine Bedingung, die er auch als zwingend an seine aktuellen Dienstverhandlungen mit dem Ministerium knüpft. Es geht wieder einmal um längere Dienstzeiten: „Ich bin natürlich dafür, dass Schüler individuell betreut werden, aber dann müssen dafür die Rahmenbedingungen geschaffen werden. Man kann nicht alle Probleme allein auf dem Rücken der Lehrer austragen.“

Dass Schüler auch ohne Unsummen an Kosten für private Zusatzförderung ihre Leistungen erbringen können, beweist das skandinavische Schulsystem, das durch glänzende Pisa-Ergebnisse als Vorbild Europas gilt. Private Nachhilfe nehmen die Schüler dieser Lände kaum in Anspruch. Um leistungsschwache Schüler kümmern sich dort speziell geschulte Lehrkräfte, die genau analysieren, wo die Probleme liegen.

Bildungspsychologin Christiane Spiel kritisiert, dass gerade der zeitgemäße Kenntnisstand von Lernschwächen in der österreichischen Lehrerausbildung fehlt: „Problematiken wie eben Legasthenie werden oft gar nicht oder zu spät erkannt. Das hat jedoch oft fatale Folgen für die Schulkarriere.“ Solche Kinder erleiden oft jahrelange Frustrations-Biografien: Sie konsumieren reichlich Nachhilfe ohne jegliche Erfolgserlebnisse, da die Ursachen ihrer Schwächen nicht erkannt und schon gar nicht behoben werden.

Laut Spiel verzerrt der Übereinsatz von Nachhilfe auch die Einschätzung der Lehrer, was das Leistungsniveau der Schüler betrifft. „Hausübungen wären an sich ein guter Gradmesser für das Unterrichtsverständnis der Schüler. Doch für viele Lehrer sind deren ordnungsgemäße Abgabe und Korrektheit vor allem ein Einflussfaktor für die Notengebung. Und deshalb helfen viele Eltern oder eben Nachhilfelehrer.“

Dass die Urteilsfähigkeit der Lehrer bei der Notengebung häufig von Willkür, Impulsverhalten und Sympathie geprägt ist, belegt eine Studie des Salzburger Erziehungswissenschafters Ferdinand Eder. Demnach erhalten vor allem in Gymnasien viele Schüler weit schlechtere Noten, als sie verdient hätten. Benachteiligt werden vor allem Buben, während Mädchen oft sogar viel bessere Noten erhalten, als ihnen eigentlich zustehen würden. Die Erklärung ist simpel: Noten werden noch immer als Druckmittel bei schlechtem Betragen eingesetzt, weshalb Mädchen häufig besser abschneiden, da sie in der Regel angepasster und systemkonformer agieren. Für viele Schüler bedeutet das, dass sie sich in einem Fach abquälen und Nachhilfe nehmen, obwohl es von ihren Leistungen her gar nicht notwendig wäre.

Die Nachhilfeindustrie ist längst zu einem echten Volkswirtschaftszweig gewachsen: Geschätzte 107 Millionen Euro lukrieren Lehrer und Nachhilfeinstitute jährlich; die Dunkelziffern liegen laut Experten weit höher.
Die Kosten für eine Stunde variieren stark und hängen von den Anbietern ab. Im Durchschnitt legt man für eine Stunde 15 Euro ab. Wobei jedoch Studenten, die sich ein Zubrot verdienen, manchmal nur zehn Euro bar auf die Hand wollen, während speziell ausgebildete Fachleute wie Legasthenie-Trainer etwa 25 Euro verlangen. Manche Nachhilfeinstitute kassieren für eineinhalb Stunden über 40 Euro, wobei das Gros im Institut bleibt. Eine Studentin, die für ein solches Unternehmen arbeitete, erklärt gegenüber profil: „Die Eltern haben 25 Euro pro Stunde bezahlt, ich hingegen habe nur 13 Euro bekommen. Das war mir auf Dauer zu ausbeuterisch, deshalb habe ich aufgehört.“

Doch auch die Preise schwanken zwischen den verschiedenen Instituten stark, wie Konrad Zimmermann, Sprecher von Lernquadrat, einem der größten Nachhilfe-Anbieter, erklärt: „Bei uns kostet eine Unterrichtsstunde im Schnitt 15 Euro. Ein Automechaniker oder Installateur verlangt für eine Stunde nicht weniger als 75 Euro. Wir können die Stunden nur so günstig anbieten, da wir gut organisiert sind.“ Für diesen Preis erhält ein Kind jedoch nur Gruppenunterricht. Einzelstunden und Intensivkurse sind dementsprechend teurer. Zimmermann legt Wert auf die Feststellung, dass „Lehrkräfte bei uns speziell für ihre Aufgaben trainiert werden, da das an der Universität bekanntlich verabsäumt wird“.

Auch 89 Prozent der von der Arbeiterkammer befragten Eltern beklagten, Lehrer sollten den Unterricht endlich so gestalten, dass Kinder den Lehrstoff wirklich verstehen. Diese Daten decken sich mit einer Schüler-Studie, die am Wiener Institut für Bildungspsychologie durchgeführt wurde. Dabei gaben viele der Schüler an, dass sie während des Unterrichts nicht wagen, Zwischenfragen zu stellen. Die 18-jährige Wiener Maturantin Valerie Kastinger erlebte, dass Fragen im Unterricht auch abgeschmettert wurden: „Unser Lehrer meinte, wir sollten damit aufhören, sonst käme er mit dem Stoff nicht weiter.“

Daniel Perschy, Bundesobmann der Schülerunion, beklagt das Prinzip des antiquierten Frontalunterrichts und wünscht sich neue Lern- und Lehrmethoden im Klassenzimmer. Tatsächlich soll in der neuen Lehrerausbildung besonders auf moderne Didaktik eingegangen werden. Bildungsministerin Claudia Schmied verspricht, dass es in Zukunft strenge Aufnahmekritierien bei der Lehrerausbildung geben wird: „Nur geeignete und motivierte junge Menschen sollen diesen Beruf ergreifen.“ Experten bezweifeln jedoch, dass bei dem derzeitigen Lehrermangel Kandidaten abgelehnt werden. Zur Zeit wirbt man sogar Studenten und Quereinsteiger als Lehrer ab, da die aktuelle Pensionierungswelle personelle Engpässe hinterlässt.

Bundesschulsprecher Felix Wagner würde sich wünschen, dass zukünftig vor allem „Lernen gelernt“ wird, da sich seiner Meinung nach zu wenige Schüler selbst helfen können: „Ein Kind, das Lernen richtig gelernt hat, wird kaum Nachhilfe brauchen. Es kann sich den Stoff anhand von Unterlagen auch selbst beibringen und braucht nur jemanden, der für Fragen bereitsteht.“

Doch das derzeitige Schulsystem setzt nicht auf Verständnis, sondern klopft vor allem reines Faktenwissen ab, das im Kurzzeitgedächtnis abgespeichert wird und schnell wieder verloren geht.

Dabei ist Verständnis die Grundlage für dauerhaften Wissenserwerb, der nur durch die Vernetzung von Wissen effizient funktioniert. Außerdem kann das Gehirn nur dann volle Leistung bringen, wenn Kinder und Jugendliche ausreichend schlafen, also in etwa zehn Stunden. Viele sitzen aber bis spät nachts vor dem Computer. Auch die Ernährung lässt zu wünschen übrig, häufig gehen die Schüler ohne Frühstück aus dem Haus und trinken zu wenig. Dadurch sind sie in ihrer Konzentration geschwächt und dehydriert oder unterzuckert. Die Lernpsychologin Katharina Turecek erklärt: „Unser Gehirn funktioniert nicht wie eine Festplatte, auf der einzelne Ordner für Mathematik oder andere Fächer liegen. Lernen passiert, wenn sich Synapsen verbinden. Und das ist nachhaltiger, wenn sie oft stimuliert und immer wieder in einem anderen Kontext aufgerufen werden.“
Doch genau dem stehen die streng abgegrenzten Schulfächer mit Prüfungsmodalitäten entgegen, die spezifische Einzelheiten abfragen. Damit wird nur das Kurzzeitgedächtnis trainiert, das Gelernte verflüchtigt sich nach der Prüfung schnell, um den temporären Gedächtnisspeicher mit neuem Faktenwissen zu füllen. Damit sind viele mühselige Lernstunden völlig umsonst – so müssen im Medizinstudium in den ersten zwei Jahren beispielsweise Grundlagen der Biologie und Chemie wiederholt werden, die eigentlich jeder Maturant beherrschen sollte.

Da nicht auf Nachhaltigkeit und Verständnis hin gelernt wird, gibt es vor allem in Mathematik – das Fach in dem vor Fremdsprachen und Deutsch am meisten Nachhilfe benötigt wird – die gravierendsten Probleme.
Hans Humenberger, Leiter der Arbeitsgruppe für Didaktik der Mathematik von der Universität Wien begegnet diesem Problem oft: „Ich und meine Studenten hören von Nachhilfeschülern oft, dass wir bitte nicht umständlich erklären, sondern endlich zeigen sollen, wie es geht.“ Schüler wollen die Aufgabe nicht verstehen, sondern wollen ein funktionierenes Schema herunterspulen. Dieses gibt es jedoch nicht, weshalb sie bei geringfügigen Änderungen sofort versagen. Und da in Mathematik ein aufbauendes Fach ist, steigen mit der Zeit immer mehr Schüler aus.

Mathematiker Rudolf Taschner findet ohnehin, dass „zu viel Stoff und davon das falsche“ gelehrt wird. Außerdem sei der Stoff nicht praxisbezogen, viele Schüler brauchen das Erlernte nie wieder in ihrem Leben. Viele Menschen würden sich bei Integrationen später nur noch an das „giraffenartige Symbol“ erinnern.

Wolfgang Steindl, Lehrer einer Neuen Mittelschule in Niederösterreich, findet es befremdlich, dass immer mehr Stoff durchgenommen werden soll, obwohl Stunden gekürzt werden. So würden Schüler nur noch auf Durchzug schalten. In seinem jüngsten Jahrgang musste er erleben, dass Schüler von einer Stunde auf die andere absolut nichts mehr von dem wussten, was davor durchgenommen wurde. Obwohl Steindl betont, dass es „sehr wohl viele unfähige Kollegen gibt“, glaubt er an eine weitere gravierende Ursache, die Schuld an dem Nachhilfe-Dilemma ist: „Es sitzen einfach zu viele Schüler in der falschen Schule. Seit den achtziger Jahren hat sich die Hochschulabsolventenrate verdreifacht. Doch angeblich haben wir noch immer zu wenig Akademiker. Alle sollen studieren, deshalb drängen Eltern Kinder ins Gymnasium, die dafür aber leider zu schwach sind. Und dabei sucht die Wirtschaft dringend Handwerker. Doch das wird nicht mehr geschätzt.“

Experten betonen seit Langem, dass einerseits eine Gesamtschule bis zum vierzehnten Lebensjahr sowie eine Ganztagsschule nötig wären, um die Bildungsmisere zu beheben. Doch der reformwilligen SP-Bildungsministerin Schmied gelang bisher keine Abschaffung dieses Systems, lediglich ein kleiner Durchbruch mit der Einführung der Neuen Mittelschule, deren Sinnhaftigkeit jedoch nicht zum Tragen kommt, so lange Gymnasien und Hauptschulen parallel existieren. Und daran wird sich bald nichts ändern: Vizekanzler Michael Spindeleggern sprang auf den Zug der altbackenen Volkspartei-Blockierer auf und wetterte gegen „Zwangstagsschulen“ und kann sich zukünftig nur noch eine Koalition mit den Sozialdemokraten vorstellen, wenn diese den Erhalt der Gymnasien garantieren. Deshalb werden auch in nächster Zukunft Kinder bereits mit zehn Jahren unter Druck gesetzt, um die Volksschule mit so guten Noten abzuschließen, dass sie den Aufstieg ins Gymnasium erreichen. Mit ein Grund dafür, dass immer mehr Kinder und Jugendliche unter psychischen Krankheiten wie Angststörungen und Depressionen leiden und das subjektive Wohlbefinden der jungen Österreicher in den vergangenen Jahren kontinuierlich bergab ging, wie eine aktuelle Unicef-Studie belegt. In Puncto Lebenszufriedenheit findet sich Österreichs Jugend im Europa-Ranking auf Platz 16 und damit sogar hinter krisengeschüttelten Nationen wie Italien, Spanien und Griechenland (profil 19/2013).

Doch Kinder, die von ihren panischen Eltern angetrieben werden, nur ja nicht zu versagen, können nicht glücklich sein. In der besten Absicht, etwas Gutes zu tun, lassen Eltern ihre Kinder bereits in der Volksschule Klassen wiederholen, so fern sie einen Dreier im Zeugnis haben – denn damit ist die Aussicht auf einen Aufstieg ins Gymnasium aussichtslos. Manche schrecken auch nicht davor zurück, Lehrer zu bedrohen oder zu bestechen, um ihrem Nachwuchs den Weg in die elitären Gefilde zu ebnen. Während wohlhabende Eltern mit finanziellen Engagement ihre Kinder ohne Rücksicht auf deren eventuellen Schwächen bis zur Matura durchboxen, sacken jene aus bildungsfernen Schichten immer weiter ab. Diese Schere dürfte durch die Finanzkrise nun noch weiter auseinander klaffen. Im Vergleich zu den Vorjahren haben sich in Österreich die Ausgaben für Nachhilfe im Jahr 2012 um ein Fünftel reduziert – was jedoch daran liegt, dass sich viele einkommensschwache Familien diese einfach nicht mehr leisten können.

International sind noch befremdlichere Trends zu erkennen: In Nationen wie China oder Frankreich nehmen enorm viele Schüler Nachhilfe – trotz bester Noten. Der internationale Bildungsexperte Mark Bray von der Universität Hongkong erklärt: „Diese Nachhilfe verfolgt nur den Zweck, der Elite die Vormachtstellung zu sichern.“

Wie sehr Kinder im harten Bildungswettbewerb leiden, weiß die pensionierte Lehrerin Sylvia Lausecker, die an einer Oberstufe Geschichte und Deutsch unterrichtete. Sie nahm sich um ein Mädchen an, dass bereits in der zweiten Klasse Unterstufe in vier Fächern gefährdet ist. „Das Mädchen quält sich unglaublich ab, es ist einfach zu schwach für ein Gymnasium, noch dazu ist ihre Muttersprache Russisch, und sie kann zu schlecht Deutsch. Doch die Eltern würden ein Vermögen dafür ausgeben, damit es das Gymnasium besteht und lassen sich davon nicht abbringen“, so Lausecker.

Schockiert war die ehemalige Lehrerin allerdings von den völlig überzogenen Schularbeitsthemen. „Eine rein literarisch-analytische Interpretation einer anspruchsvollen Kurzgeschichte könnte sogar ich als promovierte Germanistin nicht einfach in zwei Stunden aus der Hand schütteln.“

Es müssen jedoch gar nicht derartige überbordende Anforderungen sein, die Schülern zu schaffen machen. Manchmal liegt der Kern des Übels anderswo. Legasthenie-Trainerin und Lern-Coach Alexandra Kaufmann berichtet aus ihrem Alltag: „Manche Kinder sind seelisch so extrem belastet, dass einfach nichts mehr geht. Manche leiden an der Trennung der Eltern. Andere erzählen mir, dass sie die ganze Nacht fernsehen. Ihre Eltern bekommen davon nichts mit.“ Kaufmann fühlt sich manchmal eher als Psychotherapeutin als eine Nachhilfe-Lehrerin. Deshalb entwickelte sie Strategien, um diese Sorgen zumindest etwas zerstreuen zu können. In ihren Stunden lässt sie Kinder auf einen Papierflieger schreiben, was sie belastet. Dann dürfen sie ihn wegschießen. Das hilft manchmal etwas. Doch auch die beste Nachhilfe kann eine funktionierende Familie nicht ersetzen,