Tränen gelacht: Sein letztes Interview

Nachruf: Tränen gelacht

Am vergangenen Freitag starb Gerhard Bronner

Drucken

Schriftgröße

Nach einem Kommentar zum Kniefall der SPÖ bei den Regierungsverhandlungen gefragt, entkam Gerhard Bronner nur eine müde Geste der Angewidertheit. Eine SPÖ mit einem Gusenbauer an der Spitze hatte er sowieso nicht mehr wählen können. Das war genau ab dem Moment unmöglich, als Gusenbauer Peter Ambrozy in Kärnten mit Haider koalieren ließ. Erstmals in seinem Leben hatte Gerhard Bronner bei den Nationalratswahlen grün gewählt.

„Sehen Sie das da drüben“, sagte er dann in dieser unvergleichlichen stimmlichen Geschliffenheit, die zu seinem Markenzeichen wurde, und zeigte auf ein zwei Hände hohes Zahnrad, das zwischen allerlei Zeugs auf einem Regal steht, „mein wertvollstes Stück.“ Das Zahnrad stammt aus der Kulisse von Chaplins „Modern Times“, Gerhard Bronner hatte es von einem Freund testamentarisch vererbt bekommen. Weil er Chaplin „hündisch“ verehrte. Seine wenigen schwachen Momente hatte Chaplin nur, wenn er den Versuchungen des Kitschs erlag.

In der Gefahrenzone des Kitschs hatte sich Bronner nie befunden. Dafür hatte ihn das Leben zu sehr in der Kampfsportart Überleben hergenommen. Als Einziger seiner Familie war das Kind eines Tapezierers aus Wien-Favoriten und einer Näherin dem Holocaust entkommen. Ganz sachte drangen in seiner wohltemperierten Schönspreche manchmal Spurenelemente aus einer Kindheit im Arbeiterbezirk durch. Manchmal hatte in der ärmlichen Wohnung der Bronners auch ein Freund von Gerhards zehn Jahre älterem Bruder Oskar aus der Sozialistischen Arbeiterjugend, ein gewisser Bruno Kreisky, übernachtet, wenn er ideologische Zores mit seinem großindustriellen Vater gehabt hatte.

Seine eigene Jugend musste Gerhard Bronner, politisch bedingt, frühzeitig abbrechen. Dass er das, was folgte, überlebte, grenzte an ein Wunder. Aber als „strenggläubiger Atheist“ hielt er sich nie mit Schicksalsergebenheit auf.

„Warum gerade ich?“, ist dennoch eine Frage, die er sich in seiner 2004 erschienenen Autobiografie „Spiegel vorm Gesicht“ häufig stellt. Sie ist nicht von polemischer Bitternis, sondern von Staunen getragen.

Warum spürte gerade er, im Alter von nur 15 Jahren, knapp nach dem Anschluss 1938, dass Flucht die einzige Überlebensmöglichkeit war? Zu einem Zeitpunkt, als das Gros der 180.000 in Wien lebenden Juden auf die Hoffnung vertraute, „dass es sich bei den Deutschen um ein Kulturvolk handelt und schon nicht so heiß gegessen wie gekocht wird“.

Warum hatte der alte Brünner Gendarm, der den jungen Flüchtling wegen Musizierens auf der Straße und einer abgelaufenen Aufenthaltsgenehmigung wieder über die Grenze nach Österreich und in den wahrscheinlichen Tod abzuschieben hatte, ihn beim Grenzübergang mit den Worten „Ich an deiner Stelle würde nicht mehr dorthin zurückgehen“ zurückgelassen und sich danach nicht mehr umgedreht?

Warum war nicht er, sondern sein Freund Michael, mit dem er sich von Brünn nach Palästina durchschlagen wollte, in einer kalten Septembernacht beim Überschwimmen der Donau vom bulgarischen Ruschtuk nach Rumänien von einem Strudel erfasst worden und ertrunken? Ein Gefühl größerer Einsamkeit als in jenem Moment, als sich in der dunklen Kälte des Stroms siebzehn Kilometer lang nicht enden wollende Stille einstellte, ist kaum vorstellbar. Welcher Gedanke ihn in diesem Moment überkommen war? „Dass ich weiterschwimmen muss“, hatte Gerhard Bronner in einem profil-Gespräch im Jahr 2002 erklärt, als er knapp vor seinem 80. Geburtstag erstmals öffentlich die Geschichte seiner Flucht erzählte.

Leicht kam ihm das Erlebte auch danach nicht über die Lippen. Als er an diesem Nachmittag – einen Tag, bevor ihn ein Schlaganfall niederstreckte – mit profil von dem Masel sprach, als einer der Ersten in jenem November 1938 von dem mit 4500 Menschen restlos überfüllten Flüchtlingsschiff „Draga“ gehen zu dürfen, musste er zu erzählen aufhören. Die Bilder jener Menschen, die erst nach viereinhalb Monaten – gezeichnet von Skorbut und Unterernährung – von Bord gelassen wurden, kamen zu deutlich wieder.

Das Gefühl, weiterschwimmen zu müssen, sollte ihn zeitlebens nicht mehr verlassen. Fast zehn Jahre lebte Gerhard Bronner im damaligen Palästina, dort heiratete er eine Wienerin (die erste von insgesamt drei Ehen), und dort kam sein Sohn Oscar (das erste von insgesamt vier Kindern und der spätere profil-Gründer) zur Welt.

Daneben brachte Gerhard Bronner es in den Dingen, von denen er keine Ahnung hatte, zur Meisterschaft: Er gab Klavierunterricht, tingelte mit einem Showprogramm durch die britischen Soldatencamps und gestaltete eine Radioshow für den Besatzungssender.

1948 kehrte Bronner mit seiner Familie nach Wien zurück. Die Stadt, mit der ihn bis zu seinem Lebensende keinerlei Sentimentalitäten verbanden, war eigentlich nur als Zwischenstation für eine bereits geplante Übersiedlung nach London gedacht. Das Intermezzo sollte über 40 Jahre dauern – bis Bronner 1989 wegen Problemen mit der Steuer und des Klimawandels nach der Waldheim-Affäre temporär nach Florida übersiedelt war.

In diesen 40 Jahren wirkte Gerhard Bronner maßgeblich am humoristischen Wiederaufbau eines von Minderwertigkeitskomplexen und Verdrängungssymptomen gezeichneten Landes mit. Neben einem Job als Barpianist in der „Marietta“, die er später selbst besitzen sollte und die er zu einer Spielwiese für neue Talente (wie Peter Alexander und Louise Martini) transformierte, arbeitete er als „Scherzchen-Erzähler“ und Programmgestalter für den US-Besatzungssender Rot-Weiß-Rot. Anfang der fünfziger Jahre lernte Bronner in der „Sauna im Grünen“ einen jungen, dünnen Mann kennen, der ihm auffiel, da er, obwohl nur mit einer Badehose bekleidet, stets seine Aktentasche dicht an sich gedrückt trug. Auf Bronners Frage nach der Ursache für dieses seltsame Benehmen erklärte ihm der Mann, der sich als Helmut Qualtinger vorstellte, dass er das Risiko, seine schriftstellerischen Werke unbeobachtet zu lassen, nicht eingehen wollte. „Ist das ein Verrückter?“, wollte Bronners siebenjähriger Sohn Oscar wissen, als „Quasi“ in Begleitung von zwei Bierflaschen in seinem Kinderzimmer vorübergehend als Bettgeher Unterschlupf fand. Die Begegnung, die über Jahrzehnte zu einer kongenialen Partnerschaft führte, sollte entscheidend für die Wiederbelebung des österreichischen Nachkriegskabaretts werden. Als weitere Streitkräfte wirkten Carl Merz, Michael Kehlmann, später Georg Kreisler und Peter Wehle mit. Als Autor und Komponist gestaltete Bronner mit Liedern wie „Der g’schupfte Ferdl“, „Der Bundesbahnblues“ und „Der Papa wird’s schon richten“ gnadenlose Zustandsberichte jener Wien-immanenten „A bissl was geht immer“-Verschlagenheit.

Mit Kabarettsendungen wie dem „Guglhupf“ und „Zeitventil“ leistete er Pionierarbeit, indem er im Verbund von kreativen Mitstreitern jegliche Beißhemmung auch in Rundfunk und Fernsehen abschaffte.

An den Wänden von Gerhard Bronners Leopoldstädter Wohnung gab nichts Zeugnis seines fast siebzigjährigen Künstlerlebens. Anstelle von Fotos oder Plakaten sind sie gepflastert mit Regalen, auf denen tausende Spielfilme in DVD-Form stehen. Der Computer leuchtete an jenem Nachmittag wie immer. Jeden Tag arbeitete Bronner an einem neuen Buch – „so eine Anekdotensammlung … nebbich“.

Er besaß die Arroganz der falschen Bescheidenheit.

Weil er sich seiner Sache sicher war. Im Klappentext seiner Anthologie über den jüdischen Humor „Tränen gelacht“ beschreibt er sich als einen, dessen Beruf es ist, „Bronner zu sein“, weil es der einzige Beruf ist, den er gelernt hat. Bronner zu sein bedeutete auch, sich ständig neu zu erfinden und dabei doch unverwechselbar zu bleiben. In „Tränen gelacht“ betrieb Gerhard Bronner auch Ursachenforschung, was die Jahrtausende währende Zwangsgemeinschaft von Judentum und Komik betrifft. Die Antwort fand er in einem Zitat des Dichters Scholem Alejchem: „Wenn ein Tier einen tiefen Schmerz fühlt, dann schreit es. Der Mensch – als einziges Lebewesen dieser Erde – hat noch eine zweite Möglichkeit: Er kann lachen.“

Von Angelika Hager