Nanobakterien: Zu klein zum Sein

Hinweise auf winzige Mikroorganismen

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Der Gelehrtenstreit tobt schon seit Jahren. Es geht um die Bedeutung winziger Kügelchen, die in menschlichem Körpergewebe gefunden wurden. Diese Partikel sind etwa zehnmal kleiner als die kleinsten bekannten Bakterien, und ein eindeutiger Beweis dafür, dass es sich dabei um Lebewesen handelt, erwies sich bisher als äußerst schwierig. Es könnten neuartige, bisher unbekannte Krankheitserreger sein – oder aber unbelebte Kristalle.

Nun behauptet eine Forschergruppe um John Lieske an der renommierten Mayo-Klinik in Rochester, Minnesota, sie hätte in vier Forschungsjahren starke Hinweise auf eine bakterienähnliche Natur der Partikel gefunden. Die Wissenschafter untersuchten verkalkte und nicht verkalkte Arterien, Herzklappen sowie Ablagerungen an operativ entfernten Blutgefäßen. Im Elektronenmikroskop entdeckten sie an deren Oberfläche winzige Kügelchen, die sich mit einem Farbstoff anfärben ließen, der sich speziell an die Erbsubstanz DNA heftet.

Dies wurde als Hinweis auf Nukleinsäuren gewertet. Nukleinsäuren enthalten die genetische Information einer Zelle und kommen nur in Lebewesen vor. Interessanterweise wurden nur bei kranken, verkalkten Blutgefäßen solche Nanopartikel gefunden, nicht aber bei Adern ohne Kalkablagerungen. Falls es sich bei diesen „Kügelchen“ tatsächlich um einen bakteriellen Erreger handelt, hätte das große Auswirkungen auf die Prävention und Behandlung von Gefäßkrankheiten.

Vermehrbar. „Wir wissen, dass sich die Nanopartikel, die wir aus dem erkrankten menschlichen Gewebe isoliert haben, in einer Nährlösung vermehren“, sagt Virginia Miller, Erstautorin eines Berichts, der im September im renommierten „American Journal of Physiology“ der American Physiology Society erscheinen wird, zu profil. „In einem nährstoffreicheren Medium wachsen sie sogar noch besser.“

Die beobachteten Kügelchen waren extrem klein, manche von ihnen nur 30 bis 100 Nanometer groß. Ein Millimeter entspricht einer Million Nanometer. Auf einem Millimeter hätten über 10.000 dieser Partikel nebeneinander Platz, auf einem Quadratmillimeter gar einige hundert Millionen. Die bisherige Lehrbuchmeinung lautete, dass Lebewesen mit Zellkern nicht kleiner als 140 Nanometer sein können, da sonst Zellbausteine wie Nukleinsäuren, Enzyme, Membranen und das Zellwasser keinen Platz hätten. Ohne diese großen Moleküle könne eine Zelle nicht leben und sich vermehren, hieß es. Viren sind zwar kleiner (bis etwa 20 Nanometer), benötigen aber eine Wirtszelle, um sich dort parasitisch einzunisten und von ihr vervielfältigt zu werden.

„Die Größenlimits für lebende Zellen stammen aus Annahmen, die auf dem Forschungsstand von 1996 basierten“, erklärt Miller. In der Zwischenzeit hätte man aber beispielsweise im Ozean Bakterien-Planktonzellen gefunden, deren Zellvolumen auch nicht größer sei als jenes der Nanopartikel. Tatsächlich haben Wissenschafter aus Regensburg und Heidelberg im Jahr 2002 in der Zeitschrift „Nature“ ein winziges Lebewesen namens Nanoarchaeum equitum beschrieben, das kleiner ist als das bisher kleinste bekannte Bakterium Mycoplasma genitalium. Möglicherweise muss es einer völlig neuen Gruppe von Lebewesen zugeordnet werden. Miller plädiert daher dafür, für Entdeckungen offen zu sein, die nicht ins bisherige Wissenschaftsschema passen. „Geo-Mikrobiologen haben beispielsweise Lebewesen in extremen Lebensräumen nachgewiesen, von denen man bis dahin überzeugt war, dass dort Leben unmöglich ist“, erklärt die Forscherin.

Nachdem Miller und Kollegen das untersuchte kranke Gewebe zerkleinert und durch extrem feine Filter mit 200 Nanometer großen Poren gedrückt hatten, entdeckten sie im Filtrat Partikel mit einer Hülle aus dem Kalkmineral Apatit. Nach Loslösung dieser Hülle zeigten sich im Elektronenmikroskop zellähnliche Strukturen. In einer Kulturlösung nahmen die Partikel radioaktiv markiertes Uridin auf, das ein Baustein der Erbsubstanz RNA ist. Dies deuteten die Forscher als Hinweis darauf, dass in den Partikeln RNA erzeugt wird. Jedoch kann auch das Mineral Apatit, aus dem die Kalkablagerungen bestehen, Uridin in geringen Mengen absorbieren, wandten Kritiker ein.

Damit schien die Debatte wieder dort angelangt, wo sie Anfang der neunziger Jahre begonnen hatte: Robert L. Folk, ein emeritierter Geologe der Universität Austin, Texas, untersuchte Travertinkalkablagerungen in heißen Quellen Italiens und berichtete ab 1992 auf Fachkongressen von winzigen Kügelchen, die er als Nanobakterien bezeichnete, da sie oft in Ketten und Ansammlungen auftraten. Bei Kollegen stieß er damit zumeist auf Ablehnung, da es keine eindeutigen Beweise für seine These gab, etwa die Kultivierung und Vermehrung der Partikel.

Mars-Meteorit. Im Sommer 1996 tauchte das Thema erstmals in den Medien auf: NASA-Wissenschafter hatten an einem vom Planeten Mars stammenden Meteoriten winzige längliche Strukturen entdeckt. Diese umstrittenen Partikel, die als mögliche fossile Mikroorganismen gedeutet wurden, waren mit etwa 100 Nanometer Länge viel zu klein für das damalige Verständnis von Lebewesen. Umso mehr versuchte man in der Folge, die Existenz von irdischen Nanobakterien zu beweisen oder zu widerlegen.

1998 untersuchte ein Team der Universität von Queensland Bohrkerne aus drei bis fünf Kilometer Tiefe unter dem Meeresgrund vor der australischen Westküste. Im Sandstein und auf den Behältern der Gesteinsproben wurden bei Routineuntersuchungen im Elektronenmikroskop große Mengen an rundlichen oder länglichen Partikeln entdeckt, die 20 bis 1000 Nanometer groß waren. Drei verschiedene DNA-spezifische Färbesubstanzen zeigten eine positive Reaktion, was die Forscher vermuten ließ, die Partikel könnten genetisches Material enthalten, seien also winzige Mikroorganismen, die im Gestein leben.

Im selben Jahr behaupteten die Biochemiker Olavi Kajander und Neva Ciftcioglu von der finnischen Universität Kuopio, in Nierensteinen winzige Mikroorganismen entdeckt zu haben, die von einer Hülle des kalziumreichen Minerals Apatit umgeben seien. Sie gaben an, dass die Partikel sich in einer Kulturlösung vermehrten, und nannten den angeblichen Organismus „Nanobacterium sanguineum“, wobei sich der zweite Begriff vom lateinischen Wort für „Blut“ herleitet. Sogar eine DNA-Sequenz der mutmaßlichen Mikroorganismen gaben sie an, also jene Basenreihenfolge im Erbmaterial, die den Bauplan jedes Lebewesens beschreibt.

John Cisar vom amerikanischen National Institute of Health versuchte diese Ergebnisse nachzuvollziehen. Er fand jedoch heraus, dass die von den beiden Autoren veröffentlichte DNA-Sequenz keinen neuen Organismus beschreibt, sondern von einem Phyllobacterium stammt, einer recht häufigen Bakteriengattung, die manchmal als Verunreinigung bei molekularbiologischen Arbeiten auftritt. Die behauptete Vermehrung der Partikel erklärte er damit, dass es zu einer anorganischen Vermehrung von Apatitkristallen käme.

Die finnische Forschergruppe hat inzwischen die Firma Nanobac Life Sciences Inc. in Tampa, Florida, gegründet und vermarktet einen Antikörper-Testkit, der Nanopartikel in menschlichem Körpergewebe nachweisen kann. Ein Antikörper ist ein Eiweißmolekül des Immunsystems, das hochselektiv an ganz bestimmte Mikroorganismen bindet. Wenn das Antikörper-Eiweiß mit einem Farbstoff verbunden wird, kann man damit genau jene Stellen anfärben, an denen Zellen der jeweiligen Bakterienart sitzen. Die kommerziellen Aktivitäten dieser Firma stoßen allerdings bei manchen Kollegen auf Skepsis, da es ihrer Meinung nach verfrüht ist, eine Testmethode für Mikroorganismen zu vermarkten, wenn die Existenz dieser Lebewesen noch nicht gesichert ist.

Drucktauglich. Die Ergebnisse der Gruppe um John Lieske an der Mayo-Klinik stammen jedenfalls von einem Team ohne kommerzielle Interessen. Im Auftrag des angesehenen „American Journal of Physiology“ wurde die Publikation von internationalen Gutachtern in einem siebenstufigen Prozess auf mögliche Fehler durchleuchtet und für drucktauglich befunden. In den nächsten Jahren wird sich zeigen, ob diese Arbeit das Tor zur Erforschung einer völlig neuen Organismengruppe öffnet, die vielleicht bei der Entstehung mehrerer Krankheiten eine Rolle spielt. Oder ob zukünftige Untersuchungen doch noch zeigen, dass bei der Interpretation der Experimente Fehler gemacht wurden, die bisher niemandem aufgefallen sind.