Nanotechnologie: Das Prinzip Zwerg

Nanotechnologie: Das Prinzip Zwerg

Die „Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts“

Drucken

Schriftgröße

Der Materialwissenschafter Georg Waldner vom Forschungslabor ARC Seibersdorf Research demonstriert den Selbstreinigungseffekt einer speziell beschichteten Glasfläche. Die eine Hälfte der mit Wasser beträufelten Fläche wurde mit UV-Licht bestrahlt, die andere nicht. Während das Wasser auf dem nicht bestrahlten Teil Tropfen bildet, überzieht es die bestrahlte Glasfläche mit einem dünnen Film, der schließlich abfließt und dabei Schmutz mitnimmt, ohne Spuren zu hinterlassen. Das Geheimnis dieses Effekts beruht auf der Nanotechnologie – das ist jene oft als „Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts“ apostrophierte Technik, die sich mit den Strukturen auf molekularer Ebene beschäftigt, also mit den mikroskopisch kleinen Teilen und Strukturen der Materie. Es ist eine interdisziplinäre, Physik, Chemie oder Medizin gleichermaßen erfassende Technologie, die unser Leben nachhaltig verändern wird.

Diese Nanotechnologie (vom griechischen Wort „nano“, der Zwerg) hat, von der Öffentlichkeit lange unbemerkt, längst auch in Österreichs Forschungslandschaft Einzug gehalten. Mittlerweile erfasst sie mit der Entwicklung und Herstellung von neuartigen Produkten auch die heimische Industrie, etwa in der Auto- und Autozuliefersparte. Erst am Donnerstag der Vorwoche trafen sich in Graz deutsche und österreichische Experten aus den Bereichen Forschung und Entwicklung, um bei einem Symposion zum Thema „Multifunktionelle Nano-Beschichtungen im Automobil“ die jüngsten Forschungsergebnisse und Neuerungen ihres Fachs zu diskutieren oder, wie es im Einladungstext zu der im Rahmen der Reihe „Nanomobil – Nanotechnologie für automotive Anwendungen“ abgehaltenen Veranstaltung heißt, „die Initialzündung für die Zukunft des Automobils“.

Tags darauf, am Freitag der Vorwoche, endete im Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie eine für Österreichs Nanotechnologen wichtige Frist: Die in der Österreichischen NANO Initiative zusammengefassten fünf Forschungscluster, deren nanotechnologische Projekte schon in den vergangenen zwei Jahren mit Bundesmitteln gefördert wurden, konnten bis zu diesem Termin um Verlängerung dieser Förderung ansuchen. Als Entscheidungsbasis für eine allfällige Verlängerung dient eine Evaluierung ihrer Arbeiten durch internationale Experten. Das Ergebnis soll im November vorliegen. Drei weitere, in der NANO Initiative geförderte Forschungscluster beginnen im heurigen Jahr mit ihrer Arbeit.

Die NANO Initiative geht auf eine im Jahr 2002 vom Rat für Forschung und Technologieentwicklung an die Bundesregierung adressierte Empfehlung zurück, den Zukunftsbereich Nanotechnologie nach Kräften zu fördern. 35 Millionen Euro standen der Initiative in ersten drei Programmjahren für kooperative Forschungsvorhaben zur Verfügung.

Die geförderten Forschungscluster sind vor allem im Raum Wien, Linz, Graz,

Leoben, Weiz und Innsbruck angesiedelte Think Tanks, die neuartige Materialien und Funktionen erdenken und entwickeln, welche einen Vorgeschmack auf viele Dinge und Bereiche unseres täglichen Lebens geben, die bald nicht mehr so sein werden, wie wir sie bislang kannten.

Beispiel Auto. In Karosseriebleche eingearbeitete Nanopartikel können deren Struktur und Eigenschaften verändern, wie etwa Haltbarkeit, Verformbarkeit oder Korrosionsbeständigkeit. Mit Nanopartikeln ausgestattete Oberflächenbeschichtungen können Lacke und Kunststoffverkleidungen kratzfest machen oder Oberflächen von mechanischen Teilen – auch Motorteilen – mit höherer Verschleißbeständigkeit ausstatten. Nanobeschichtete Scheinwerfergläser, Windschutz- oder Fensterscheiben können wasser- und schmutzabweisend, Rückspiegel beschlagsfrei gemacht werden. Und mit Nanopartikeln beschichtete Textilien lassen sich gegen vorzeitige Abnutzung und Verschmutzung immunisieren, sodass selbst Fette, Ketchup oder Rotwein auf ihnen keine Flecken hinterlassen.

Die dahintersteckende, schmutzabbauende Technologie beruht auf der so genannten Fotokatalyse, einer chemischen Reaktion, die auf eine Entdeckung des japanischen Chemikers Akira Fujishima zurückgeht. Fujishima hatte bereits im Jahr 1967 im Labor beobachtet, dass Titandioxid in Verbindung mit UV-Strahlung und Feuchtigkeit zu einer chemischen Reaktion führt, die imstande ist, organische Stoffe abzubauen. Aber bis zur Oberflächenbeschichtung mit Titanoxid-Nanopartikeln war noch ein weiter Weg zurückzulegen. Erst das im Jahr 1981 erfundene Rastertunnelmikroskop ermöglichte jene Einblicke in molekulare Strukturen, die den Weg zur Nanotechnologie frei machten.

Das Rastertunnelmikroskop wurde zum Hauptwerkzeug des neuen Fachs. Mit seiner Hilfe konnten die Wissenschafter erstmals auch Strukturen im Nanobereich analysieren, diese verändern oder neu aufbauen (1 Nanometer entspricht 1 Milliardstel Meter). Und das nun mögliche Hantieren mit Nanopartikeln (Teilchen im Bereich von weniger als 100 Nanometern) erlaubte die Herstellung von neuartigen Oberflächen mit völlig neuen Eigenschaften. Dazu gehört die Beschichtung von Fensterglas oder anderen Oberflächen mit Titandioxid-Nanopartikeln. Titandioxid ist ein schon lange bekanntes, weißes Pulver, das in der Hygieneartikel-, Kosmetik- und Farbenindustrie Verwendung findet (etwa in Zahnpasten, Sonnencremes oder in Wand- und Fassadenfarben).

Als extrem dünne, nicht mehr sichtbare Fensterglasbeschichtung sind Titandioxid-Nanopartikel dazu in der Lage, den angesammelten Schmutz durch Fotokatalyse abzubauen. „Das Prinzip ähnelt dem System der Solarzellen in der Fotovoltaik“, erklärt der deutsche Physiker Detlef

Bahnemann, Leiter einer der europaweit führenden Arbeitsgruppen im Bereich der Fotokatalyse (siehe auch Interview auf Seite 94). Wie in der Fotovoltaik gibt es einen Halbleiter, der das Licht absorbiert – im konkreten Fall sind das die Titandioxid-Nanopartikel. Durch das absorbierte Licht werden die Träger der elektrischen Ladung zur Katalyse angeregt – im Prinzip nichts anderes als eine beschleunigt ablaufende chemische Reaktion. „Im Unterschied zur Fotovoltaik, wo ein Stromfluss erzeugt wird, kommt es also in diesem Fall zu einer chemischen Reaktion an der Oberfläche, bei der Schadstoffe verbrannt werden“, erläutert Bahnemann. Die Schadstoffe können Schmutz, aber auch Schadstoffe aus der Luft wie etwa Formaldehyd sein. Bahnemann: „Bei Raumtemperatur verbrennen die Schadstoffe zu Kohlendioxid und Wasser.“

Fantasie. Diese längst funktionierende, erstmals in Japan zur Marktreife gebrachte Technologie ist mittlerweile auch in Europa verbreitet. Verschiedene Hersteller bieten neben „selbstreinigendem“ Fensterglas auch schmutzabbauende oder -abweisende Fensterrahmen und Jalousien, Dachziegel oder Fliesen an. Die neue Technologie beflügelt die Fantasie der Forscher. Da die Beschichtung von organischen Materialien wie Holz, Laminat oder Kunststoff mit fotokatalytischen Partikeln nicht möglich ist (die Fotokatalyse frisst das Material), entwickelten deutsche Chemiker ein Verfahren, bei dem die fotokatalytische Schicht durch eine Isolierschicht (zum Beispiel Silikat) vom organischen Untergrund getrennt ist. Das von ARC Seibersdorf unter der Leitung von Nils Stelzer koordinierte Verbundprojekt PHONAS versucht nun, Mittel und Wege zu finden, um bei der Beschichtung von organischem Material ohne diese Zwischenschicht auszukommen, was die Herstellungskosten erheblich senken würde.

Doch die Forscher sind sich darin einig, dass die derzeit praktizierten Beschichtungen erst ein Anfang sind. Den nächsten technologischen Schritt haben sie schon im Auge – eine mit Nanopartikeln angereicherte „intelligente Beschichtung, welche auch den Wärmeeintrag in Glasfassaden moduliert, also die Fassade heizt oder kühlt“, so Günther Leising, Leiter des zum Joanneum Research gehörenden Instituts für nanostrukturierte Materialien und Fotonik in Weiz. Oder eine Beschichtung, die Schmutz und Schadstoffe oder auch Bakterien bei Innenraumbedingungen, also notfalls auch ohne UV-Licht, durch Fotokatalyse abbauen kann. Sobald diese Technologie Wirklichkeit wird, könnte man die Innenräume, das Mobiliar und die OP-Utensilien ganzer Spitäler mit mikrobenvernichtenden Beschichtungen überziehen, von der Wand über den Fußboden, die verchromten Bettgestelle und die Kacheln bis zu verchromten Armaturen, OP-Schalen und OP-Besteck. Auch die Textilien ließen sich durch bakterienvernichtende Nanopartikel bis zu einem gewissen Grad dauersterilisieren.

Textilien sind überhaupt ein weites Betätigungsfeld der Nano-Tüftler. Schon gibt es in Japan erste Textilien, die Schmutz abwehren oder Gerüche eliminieren. Die Textilforschung befasst sich auch mit Geweben, die bestimmte Stoffe, wie etwa Medikamente, langsam an die Haut abgeben. Ansonsten erschöpft sich die derzeitige Technologie in so genannten Wearable Electronics und Wearable Computing, also in elektronischen Geräten wie MP3- und CD-Player oder PDAs, die in Kleidungsstücke integriert sind. „Die Zukunft wird eine neue Elektronik mit neuen Funktionen brauchen, die mit der Kleidung getragen werden“, sagt Materialforscher Leising. Deshalb befasst sich seine Gruppe mit Elektronik, bei der die aktiven Schichten nicht aus Silizium, sondern organische Moleküle oder Polymere sind.

Ins Gewebe integrierte Nanosensoren könnten die Außen- und die Körpertemperatur messen und aufgrund dieser Daten die Eigenschaften des Textils verändern. Sie könnten beispielsweise die Luftdurchlässigkeit des Gewebes bei Kälte reduzieren und bei Hitze erhöhen, durch spezielle Nanobeschichtungen ließe sich das Licht in Heiz- oder in Kühlenergie umwandeln. Zu Leisings Zielvorstellung „Living Comfort“ gehören aber noch ganz andere Dinge – etwa künstliches Licht, das mittels Leuchtdioden Stimmungen erzeugen kann oder die so genannte Radiofrequenz-Identifikation (RFID). Darunter versteht Leising elektronische Sensoren und Datenspeicher, die beispielsweise die Qualität von Lebensmitteln oder Blutkonserven überwachen, die Entlehnvorgänge in Bibliotheken oder den Einkauf im Supermarkt automatisch registrieren.

Auch Anton Köck, stellvertretender Leiter der Nano-Systemtechnologien bei Seibersdorf Research, befasst sich mit der Entwicklung von nanotechnologisch hergestellten Sensoren. Diese sollen imstande sein, selbst ein einzelnes Molekül eines Stoffes zu erkennen. Solche ins Handy integrierte „elektronische Nasen“ (Köck) könnten etwa als Brandmelder dienen und empfindlicher sein als die Nase des Menschen. Ultrasensible elektronische Nasen könnten selbst Spuren von Sprengstoff entdecken oder vor einem gefährlichen Krankheitserreger warnen, noch bevor die Krankheit ausgebrochen ist.

Aber birgt die schöne neue Nanowelt mit ihren unsichtbar kleinen Partikeln nicht auch Gefahren für Leib und Leben, etwa indem diese Partikel über die Haut oder Lunge in die Blutbahn gelangen? In Österreich und Deutschland herrscht dafür ein Problembewusstsein. Beide Länder arbeiten an der Entwicklung begleitender Maßnahmen. Der Münchner Physiker Wolfgang Heckl, Berater der deutschen Bundesregierung und der Europäischen Kommission für den Bereich Nanotechnologie, plädiert zwar für das „Vorsichtsprinzip“, sagt aber: „Fortschritt ist nur mit einer gewissen Risikobereitschaft möglich.“

Von Robert Buchacher und Markus Grundtner