„Banker sind keine besseren Menschen“

Ewald Novotny: „Banker sind keine besseren Menschen“

Interview. Ewald Nowotny deutet die massive Unterwanderung der Nationalbank durch illegale Nazis als Strategie

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Interview: Marianne Enigl

profil: Die neue Studie über die Oesterreichische Nationalbank und den Nationalsozialismus zeigt zum ersten Mal, dass die Notenbank schon lange vor dem „Anschluss“ Österreichs 1938 sehr viele braune Flecken hatte, einer der ersten Parteigänger Hitlers in Österreich überhaupt saß im Generalsekretariat. Hat Sie das überrascht?
Ewald Nowotny: In dieser Konkretheit hat mich der Befund überrascht. Er macht klar, wie massiv dieser Staat von Nationalsozialisten unterwandert und wie schwach der Rückhalt der Regierung in wichtigen Institutionen war. Auch Polizei und Militär waren ja schon sehr früh mit Nazis durchsetzt.

profil: Wiegt in der Notenbank, einer zentralen Säule des Staates, massive NS-Infiltration nicht schwerer?
Nowotny: Gerade wegen ihrer Bedeutung war die Nationalbank, so meine ich, auch ein Zielpunkt der Nazis. Meine Interpretation ist, dass es einen strategischen Plan gegeben hat, wichtige Institutionen zu unterwandern. Die Studie zeigt auch sehr klar, welche Gesellschaft in der Notenbank der Zwischenkriegszeit vertreten war: Da war eine reaktionäre bürgerliche Dominanz, viele Deutschnationale und eine starke anti-sozialdemokratische Prägung. Das hat bei einer doch großen Minderheit zu NS-Nähe und auch zu einer sehr antisemitischen Grundhaltung geführt. Die Notenbank hatte nur ganz wenige jüdische Beschäftigte.

profil: Vor drei Jahren haben Sie auf die profil-Frage nach Untersuchung der NS-Geschichte der Bank zuerst mit der Begründung abgewinkt, dass es sie als Institution im Dritten Reich nicht gab. Dann haben Sie doch eine Studie beauftragt. Warum der Sinneswandel?
Nowotny: Eine Institution wie die Notenbank muss sich mit ihrer Geschichte auseinandersetzen, das gehört sich einfach. Im Ergebnis zeigt die Untersuchung die Nationalbank sowohl in der Täter- wie auch in der Opferrolle. Die Täterrolle liegt in der sehr frühen und sehr starken NS-Unterwanderung – und diese Leute haben dann 1938 auf teils sehr brutale Weise die Bank übernommen. Gleichzeitig sind Mitarbeiter Opfer geworden. Viele wurden auf sehr rüde Art entfernt, jüdische Angestellte wurden zwangspensioniert und zwei kamen in Konzentrationslagern um. Sie waren bei uns Arbeiterinnen, einfache, arme Leute. Wir ehren sie mit einer Gedenktafel, denn ich will bewusstmachen, dass Antisemitismus und Judenverfolgung nicht nur die Elite getroffen haben, sondern auch einfache, arme Leute.

profil: Die illegalen Nazis in der Bank haben darauf abgezielt, in wichtigen Abteilungen Einfluss zu bekommen. Was hat das für das Standing der Bank bedeutet?
Nowotny: Die Notenbankpolitik der Zwischenkriegszeit war ja, teils auch aufgrund externer Vorgaben, eine betont konservative Währungspolitik, die auf den Nimbus des Alpendollars gesetzt hat. Aus meiner Sicht war es eine katastrophal falsche
Austerity-Politik, die zu extremer Arbeitslosigkeit geführt hat. Von den Nazis in der Bank ist das aber wohl mitgetragen worden. Denen ging es um ideologische Fragen und schlicht und einfach um Macht.

profil: Macht haben sie bekommen: In den höchsten Bank-Positionen war jeder dritte ein illegaler Nazi. Während der Austrofaschismus die Demokratie abschaffte und die Opposition verfolgte, um dem „Anschluss“ an Hitler-Deutschland zu entgehen, haben die Nationalsozialisten teilweise die Nationalbank in ihre Hand bekommen.
Nowotny: Ich glaube, dass die Nationalbank damit – leider – für den österreichischen Regierungsapparat nicht untypisch war. An der Spitze gab es wohl auch in den Ministerien eine Gruppe, die gegen Hitler war, aber gleichzeitig eine autoritäre Politik verfolgt hat. Dadurch ist ein Klima der Doppelbödigkeit entstanden. Viele Mitarbeiter waren entweder schon NS-Parteigenossen oder zumindest Sympathisanten. Die tatsächlich pro-österreichische Position ist in den Hintergrund gedrängt worden.

profil: Aus der Bank sind vor dem „Anschluss“ vertrauliche Informationen sogar an den SD weitergegeben worden, den Nachrichtendienst der SS. Halten Sie es für möglich, dass Hitler und sein Wirtschaftsstab deshalb so gut über die Gold- und Devisenreserven Österreichs informiert waren, die sie für ihre Expansionspolitik dringend gebraucht haben? Und auch, dass deshalb allein im ersten Jahr nach dem „Anschluss“ Reserven im Wert von heute 75 Milliarden Euro in die Deutsche Reichsbank transferiert werden konnten?
Nowotny: Ja, davon bin ich überzeugt. Diese strategische NS-Unterwanderung hat dazu geführt, dass diese Kenntnisse im Deutschen Reich da waren. Die Notenbankführung in Wien hat ja in den Monaten vor dem „Anschluss“ noch versucht, Devisenreserven in die Schweiz zu bringen und einen Teil der Goldreserven zu verlagern. Das hat aber nichts genützt. Bei der Deutschen Reichsbank als Rechtsnachfolger kannte man die Konten offensichtlich und konnte alles sehr rasch ausräumen. Interessant ist für mich die Überlegung, ob eine österreichische Exilregierung, wenn es sie denn gegeben hätte, auf die Reserven zugreifen hätte können.

profil: Ist es für Sie nicht irritierend, zu wissen, dass es die hauseigene NS-„Betriebszelle“ war, die nach der NS-Machtübernahme über Verhaftungen entschieden hat, dass Mitarbeiter der Nationalbank Direktoren verhaften ließen?
Nowotny: Man muss beides sehen. Nicht alle waren Nazis, es hat auch Nazi-Gegner gegeben, die Opfer geworden sind.

profil: Während des NS-Regimes soll in der damaligen Reichsbankfiliale Wien ein Klima der Intrigen und Denunziationen geherrscht haben.
Nowotny: Die Studie zeigt auch, dass Mitarbeiter aufgrund von Vernaderung durch Kollegen vor Gericht gestellt worden sind.

profil: Vernaderung – in einer Notenbank.
Nowotny: Notenbanker waren keine besseren Menschen und ich fürchte, sie sind auch heute keine besseren Menschen. Daher ist meine politische Philosophie, nicht so sehr auf den Einzelnen als auf Strukturen zu vertrauen, die für Sauberkeit und Anstand sorgen.

profil: Und was lehrt die NS-Geschichte der Nationalbank?
Nowotny: Für mich sind es die Lehren, die ich generell aus der Geschichte der Ersten Republik ziehe. Wehret den Anfängen heißt, alles zu tun, um das Entstehen autoritärer und antidemokratischer Strukturen zu verhindern. Und: Man muss jungen Menschen seriöse Perspektiven geben.