Naturgewalten: Globale Gefahr

Manche Katastrophen kön-nen Kontinente verändern

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Im Spätsommer 1783 scharten sich die Bewohner der isländischen Stadt Kirkjubaejarklaustur in höchster Not um ihren Priester Jon Steingrimsson. Seit Wochen schon ergossen sich aus einem 30 Kilometer langen Spalt des Berges Laki oberhalb der Stadt gewaltige Lavamassen. Als sich die Glut geradewegs auf die kleine Stadt zuwälzte und Priester Jon das fließende Gestein beschwor, innezuhalten, schienen dem Kirchenmann höhere Mächte beizustehen: Tatsächlich bog die Feuerwalze in ein Flussbett ab und schob sich vorbei an der Stadt.

Der Jubel der Menschen war jedoch von kurzer Dauer. Denn die folgenden Jahre wurden zu den schlimmsten in der Geschichte Islands. 122 Millionen Tonnen Schwefeldioxid aus dem Schlund der Erde – dies entspricht etwa den derzeit weltweit von Menschen verursachten Emissionen dieser Substanz – verwandelten jeden Regen in ein Säurebad, das die gesamte Ernte der Insel vernichtete. Das Vieh starb an vergiftetem Futter oder verendete an Vulkanpartikeln, die am Heu hafteten. 9000 Bewohner der Insel, ein Viertel der damaligen Bevölkerung, starben an den Folgen des Vulkanausbruchs.

Die Folgen der Katastrophe reichten weit über Island hinaus. Winde verfrachteten die Giftwolken bis nach Mitteleuropa. Auch über dem Kontinent regnete Asche vom Himmel. Die Durchschnittstemperatur sank um ein Grad. Das war die stärkste Abkühlung, die in der Neuzeit von einem Vulkanausbruch verursacht wurde. In diesem Jahr gab es in ganz Mitteleuropa keinen Sommer. Historiker meinen, dass die dadurch ausgelöste Notlage die Französische Revolution mit verursacht hat.

Tödliche Gewalt. Dabei war der Ausstoß des Laki gerade ein Räuspern der Erde im Vergleich zum Ausbruch eines wirklichen Super-Vulkans. Solche Vulkane besitzen keinen typischen Vulkankegel, sondern beziehen ihre zerstörerische Kraft eben aus dem Fehlen eines solchen Abzugventils. Riesige Magmablasen können dann mit geballter Wucht aufplatzen und plötzlich an die Oberfläche dringen.

Der bisher letzte Ausbruch eines Super-Vulkans ereignete sich vor etwa 75.000 Jahren auf Sumatra. Bei der Explosion des Toba flogen 2800 Kubikkilometer glühendes Gestein in die Luft. Zum Vergleich: Die gigantische Eruption des Mount Saint Helens, der dabei 1980 zu einem Drittel weggesprengt wurde, schleuderte einen Kubikkilometer vulkanisches Material empor. Die Staubmassen des Toba hingegen verfinsterten über viele Jahre die Sonne. Die Temperatur sank weltweit um bis zu 20 Grad. Ein Viertel der damals existierenden Pflanzenarten ertrug den Kälteeinbruch nicht und starb aus.

Möglich wären solche Katastrophen jederzeit wieder. Eine der größten bekannten Magmablasen ortet Bill McGuire, Vulkanologe vom Zentrum für Risikoforschung am University College in London, in etwa sechs Kilometer Tiefe unter dem Yellowstone-Nationalpark in den USA. Die Glutkammer misst 60 Kilometer im Durchmesser und wächst beständig durch Schmelzen des Gesteins an den Rändern, während der Innendruck zunimmt.

„Es gibt ernsthafte Anzeichen dafür, dass der schlafende Riese nun erwacht“, warnt McGuire. Der Boden oberhalb der Riesenblase ist seismisch aktiv, denn er hebt und senkt sich, als würde er atmen. In menschlichen Zeitdimensionen gemessen, ist der Super-Vulkan freilich unendlich langsam – für die letzen drei „Atemzüge“ hat er mehr als 10.000 Jahre gebraucht. Dabei hat sich der Erdboden um insgesamt 20 Meter gehoben und wieder gesenkt.

Die Folgen einer Eruption beschreibt McGuire so: „Etwa 1000 Kubikkilometer Magma würden aus dem Vulkan brechen und durch den gewaltigen Druck 50 Kilometer in die Atmosphäre geschleudert. Das ist genug, um ganz Nordamerika mit einer mehrere Zentimeter dicken Schicht zu bedecken.“ Aufgrund der Erdrotation würde sich die Verseuchung der Atmosphäre schließlich auch global als riesiger Staubmantel bemerkbar machen und die Sonne verdunkeln. Der Menschheit stünde ein bitterkalter vulkanischer Winter bevor. Dass sich die Blase irgendwann entladen wird, gilt als sicher. Ob unsere oder erst eine der nachfolgenden Generationen davon betroffen sein werden, lässt sich allerdings nicht vorhersagen.

Galaktische Geschoße. Ein Szenario, das heutige Generationen indes nicht mehr beschäftigen muss, ist ein Weltuntergang infolge eines Kometentreffers. Diesbezügliche Ängste erwiesen sich als unbegründet, denn inzwischen berechneten Wissenschaftler die Umlaufbahn aller bekannten Kometen und konnten Entwarnung geben: Zumindest in den nächsten paar tausend Jahren befindet sich kein Komet auf Kollisionskurs mit der Erde.

Anders verhält es sich mit Asteroiden. Diese galaktischen Geschoße halten sich kaum an berechenbare Umlaufbahnen. Der folgenschwerste Zusammenstoß endete – zumindest nach einer gängigen Theorie – mit dem Aussterben der Saurier vor 65 Millionen Jahren. Damals schlug ein gigantischer Brocken mit einem Durchmesser von etwa zehn Kilometern auf der mexikanischen Halbinsel Yucatan ein. Forscher gehen davon aus, dass der Asteroid mit rund 72.000 Stundenkilometern auf die Erde traf.

Der größte Einschlag der Neuzeit ereignete sich in Sibirien. Am 30. Juni 1908 explodierte ein Asteroid in der Erdatmosphäre und zerstörte in der Region Tunguska ein Areal von rund 2000 Quadratkilometern. Der Flugkörper war nach vorherrschender Ansicht nicht größer als 60 Meter.

Auch heute registrieren Astronomen immer wieder Asteroiden, die relativ nahe an der Erde vorbeirasen. So passierte vor drei Jahren ein Objekt mit der Bezeichnung „2002 EM7“ den Planeten in 450.000 Kilometer Entfernung. Davor war der Asteroid „1996 JA1“ der Erde noch ein Stück näher gekommen.

Strittig ist indes die Wahrscheinlichkeit einer tatsächlichen Kollision. Gerade in jüngerer Vergangenheit hatten Berichte immer wieder ein nicht zu unterschätzendes Risiko suggeriert – etwa Statistiken, wonach die Gefahr, im Lauf der nächsten 100 Jahre von einem „Killer-Asteroiden“ getroffen zu werden, bei 0,02 Prozent liege. Die Aussicht, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben zu kommen, sei nur halb so groß. Benny Peiser von der Universität Liverpool erwartet für die nächsten 10.000 Jahre „vier massive Einschläge an Land und zwölf im Meer“. Und nennt auch gleich die Zahl der zu erwartenden Toten: 20 Millionen.

Derzeit, so meint Alan Harris vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Berlin, hätte er wegen solcher Vorstellungen allerdings „keine schlaflosen Nächte“. Die meisten der potenziell bedrohlichen kosmischen Trümmer würden schon in der Atmosphäre verglühen – ohne diesen Schutzschild wäre die Erde allerdings von Asteroiden-Volltreffern ähnlich zernarbt wie die Oberfläche des Mondes.

Permafrost. Dennoch steigt in manchen Regionen der Erde die Gefahr, von Gestein erschlagen zu werden. Es rauscht zwar nicht aus dem Weltall herab, hat aber dennoch genug Kraft für Verwüstungen. Vorzeichen solcher Ereignisse sind die immer häufiger auftretenden Hangrutschungen und Steinschläge. Im Jahre 2003 wurden allein in den europäischen Alpen 50 Berggeher von Felsbrocken erschlagen. Einige Gebirgszüge, darunter das Matterhorn, mussten wochenlang für Alpinisten gesperrt werden. Mag sein, dass das schöne Wetter des Jahrhundert-Sommers mehr Menschen in die Berg führte als in anderen Jahren. Die Hauptursache für die zahlreichen Unfälle liegt aber anderswo: Die weltweite Erwärmung des Klimas macht sich bemerkbar. Derzeit ist noch etwa ein Viertel der Erdböden dauerhaft gefroren. Doch nach und nach tauen sie auf, und die bislang gebundenen Gesteinsmassen werden mitunter recht plötzlich zur tödlichen Gefahr.
Andere Naturgewalten brechen zwar nicht so unvermittelt über die Menschen herein, sind in ihren Auswirkungen aber nicht minder dramatisch. Da bei niedrigen Temperaturen organisches Material kaum abgebaut wird, sind die Permafrostböden reich an Kohlenstoff. Im Norden Sibiriens lagern beispielsweise gigantische Mengen an Methangas. Mit den steigenden Temperaturen löst sich das Gas aus den Böden und gelangt in die Atmosphäre. Die Folge wäre ein Turboschub für den Treibhauseffekt: Ein gefährlicher Rückkoppelungseffekt könnte in Gang geraten, der die Polkappen zum Schmelzen bringt und den Meeresspiegel ansteigen lässt. Schließlich würden ganze Inselgruppen überflutet und Küstenstädte bedroht.
Vorerst freilich sind die Menschen bekannteren Gefahren ausgesetzt. Laut Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien starben im 20. Jahrhundert etwa 1,5 Millionen Menschen bei Erdbeben. Und es gibt keinerlei Anzeichen, dass sich die Erde beruhigt und die Anzahl der Beben zurückgeht.

Im Rahmen einer Studie prüfte die amerikanische Geologische Gesellschaft 2003 die Wahrscheinlichkeit des Eintretens sowie voraussichtliche Verluste für „the Big One“ in San Francisco. Demnach liegt die Wahrscheinlichkeit, dass innerhalb der nächsten 30 Jahre ein Erdbeben mit einer Stärke von mindestens 6,7 die Bay Area erschüttert, bei 62 Prozent. Im „worst case scenario“, dem mit einer Amplitude von 7,9 die gleiche Stärke wie dem Beben von 1906 zugrunde liegt, rechnen die Fachleute mit etwa 5800 Toten – und dies, obwohl nirgendwo stengere Bauvorschriften bestehen. In Gebieten der Dritten Welt wären die Folgen ungleich dramatischer.

Megabeben. Das stärkste je gemessene Erdbeben ereignete sich am 22. Mai 1960 vor der Küste Chiles. Mit einer Stärke von 9,6 auf der Richterskala löste das Beben einen Tsunami aus, der über den Pazifik nordwestwärts Richtung Hawaii raste. Am 23. Mai erreichte die Welle die Stadt Hilo und verwüstete große Teile der Innenstadt.

Dennoch war die Opferzahl – im Vergleich zur aktuellen Katastrophe – mit einigen hundert Todesopfern verhältnismäßig gering: Die Küste Chiles ist in dieser Region relativ schwach bevölkert, und über die mehr als 4000 Kilometer lange Seestrecke bis Hawaii ging zudem viel von der Anfangswucht verloren.

Ein überregionaler Gefahrenherd, der die Katastrophe in Südasien sogar noch übertreffen könnte, wurde im Atlantik lokalisiert. Auf La Palma, einer Kanareninsel, befindet sich der Vulkan Cumbre Vieja. Er besteht aus sehr porösem Gestein und wird bei jedem Ausbruch rissiger. „Die gesamte Westseite des Cumbre Vieja bewegt sich als großer Block Richtung Ozean“, warnt der Londoner Geologe Simon Day. „Stürzt die gesamte Bergflanke ins Meer, käme es zu einem Mega-Tsunami unvorstellbaren Ausmaßes.“

Tsunami. An der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie der Technischen Hochschule Zürich hat Hermann Fritz den Beginn einer solchen Megawelle simuliert. „Dabei entsteht ein Tsunami mit einer Anfangshöhe von 650 Metern“, so Fritz. Die Wellenlänge des Tsunamis würde 30 bis 40 Kilometer betragen und mit 750 Stundenkilometern über den Atlantik Richtung Westen rasen, bis er auf die Ostküste Amerikas und die vorgelagerten Inseln aufläuft. Millionenstädte wie New York, Boston, Miami und die Karibikinseln würden unter zehn bis 25 Meter hohen Wellen versinken.

Doch Simon Day räumt ein, dass sich dieses Ereignis nicht genau vorhersagen lässt. „Vielleicht“, mutmaßt der Geologe, „passiert dieses Ereignis schon beim nächsten Ausbruch, vielleicht auch erst nach dem zwanzigsten.“ Und er fügt hinzu: „Wenn ich in New York oder Miami wohnen würde, bliebe ich jedenfalls in der Nähe des Fernsehers, wenn ich hören würde, dass der Cumbre Vieja ausbricht.“

Im Indischen Ozean am Golf von Bengalen leben die Menschen seit jeher mit der Bedrohung, die ebenfalls vom Meer ausgeht. In den vergangenen 100 Jahren fegten gut 400 Zyklone – tropische Wirbelstürme, die bei Wassertemperaturen von mehr als 26 Grad über dem offenen Meer entstehen und bis zu 300 Stundenkilometer erreichen können – über Orissa, einen besonders exponierten Bundesstaat im Nordosten Indiens. Mehr als 30 dieser Wirbelstürme hatten verheerende Wirkung. Der letzte Superzyklon im Oktober 1999 trieb bis zu sieben Meter hohe Flutwellen kilometerweit ins Landesinnere und hinterließ rund 10.000 Tote. Die bislang größte Tragödie ereignete sich im September 1970 im Nachbarstaat Bangladesch. Hier forderte ein Wirbelsturm mehr als 300.000 Menschenleben.

Nicht minder dramatisch, wenn auch völlig anderer Ursache, können Seuchen und Infektionskrankheiten sein – und dies nicht nur als Folge von Naturgewalten wie in Südasien. Zwar hat der Mensch viele dieser Krankheiten prinzipiell im Griff – doch just scheint er die Gefahr nun selbst heraufzubeschwören. So werden, offiziell zu Forschungszwecken, künstliche Grippeviren im Reagenzglas erzeugt, virale Hybride zwischen menschlichen und tierischen Grippe-Erregern.

Das menschliche Immunsystem ist zwar gut drauf trainiert, Grippeviren zu identifizieren und auszuschalten. Vogelgrippeviren werden jedoch nicht so schnell erkannt. Kreuzt man die beiden, entsteht ein Supervirus, der dem menschlichen Immunsystem unbekannt ist. Pandemien sind wahrscheinlich, weil das Immunsystem keine Möglichkeit hat, den neuen Erreger abzuwehren. Der Grippeforscher Karl Nicholson von der Universität of Leicester zieht einen drastischen Vergleich: „Für Länder, die sich zu den Versuchen durchringen, bedeutet der Entschluss so etwas wie die einseitige Aufkündigung des Atomwaffensperrvertrags.“